Suhl/Weimar. Zwei kinderreiche Mütter berichten, wie sie sich im Lockdown von der Politik im Stich gelassen fühlen.

Haben Politiker, ganz besonders die kinderlosen, eigentlich eine Vorstellung davon, wie sehr der wochenlange und immer wieder verlängerte Lockdown vielen Familien mit Kindern zusetzt? Wie schwierig unter diesen Bedingungen der Alltag ist? Friederike* aus Suhl hat da so ihre Zweifel. Alles Wichtige zur Corona-Pandemie in Thüringen lesen Sie in unserem Blog

Die Fünffachmama, deren jüngstes Kind erst wenige Monate alt ist, hatte sich sehr auf die Babyzeit und die exklusiven Stunden mit ihrem Jüngsten gefreut. Das Kleine sollte wenigstens einen Teil des Tages die besondere Zuwendung genießen, die im Babyalter auch jedes ihrer anderen Kinder genossen hat.

Stattdessen aber zerreißt sich Friederike nun zwischen der Betreuung des Babys, der anderen beiden Vorschulkinder und dem Homeschooling der Größeren. Länger als zwei bis drei Stunden am Tag kann sie die Schulkinder kaum am Schreibtisch halten. Dann ist, erzählt Friederike, die Luft raus und es ist höchste Zeit, mit der ganzen Familie rauszugehen.

"Mehr ist unter diesen Umständen einfach nicht möglich"

Zumindest das Winterwetter habe der Familie in den vergangenen Tagen in die Karten gespielt. Dass das Schulische seit Wochen unterm Strich zu kurz kommt, die beiden schulpflichtigen Kinder zuhause längst nicht so viel lernen wie in der Schule, nimmt Friederike zugunsten ihres Nervenkostüms in Kauf. "Mehr ist unter diesen Umständen einfach nicht möglich", sagt die Suhlerin, deren Mann im öffentlichen Dienst beschäftigt ist und vom Arbeitgeber keinen Sonderurlaub bewilligt bekommt.

Doch abgesehen davon, dass neben Mahlzeiten zubereiten, einkaufen gehen und Wäsche für eine Großfamilie waschen viel zu wenig Zeit für jedes einzelne Kind bleibt, ärgern sich Friederike und ihr Mann auch über die Ein-Freund-Politik: Danach dürfte sich am Tag nur eines ihrer Kinder mit einem Freund treffen.

Wie aber will man das bei vier Kindern im Kindergarten- und Schulalter entscheiden, ohne dass die anderen sich zurückgesetzt fühlen? Friederike hat den Eindruck, dass darüber noch kein Politiker nachgedacht hat.

Politik sollte mehr auf Eigenverantwortung der Familien setzen

Katharina* aus Weimar versteht nicht, warum die Politik nicht mehr auf Eigenverantwortung der Familien setzt. "Ich wünschte mir, dass Familien eine Wahlmöglichkeit haben, ob Kinder zum Beispiel die Schule besuchen oder den Unterrichtsstoff lieber zuhause lernen", sagt die Vierfachmutter.

Diese Möglichkeit käme nicht nur den Familien entgegen, die befürchten, dass sich die Kinder in der Einrichtung infizieren. Sie würde aus Katharinas Sicht auch der Tatsache Rechnung tragen, dass andere Familien sehr beengt leben, Eltern im Homeoffice unter Druck stehen, Kinder oft unterschiedlichen Förderbedarf haben oder sie eben Eltern in Elternzeit sind, um sich um ein Baby zu kümmern.

"Das würde anerkennen, wenn die Situation besonders belastend ist. Es kann doch nicht sein, dass erst das Jugendamt wegen Kindeswohlgefährdung einschreiten und deshalb auf Betreuung in Kita oder Schule drängen muss", sagt die Weimarerin. Katharina hat in der ersten Januar-Woche noch versucht, ihre Arbeit und die Betreuung ihrer beiden schulpflichtigen Kinder halbwegs unter einen Hut zu bekommen, "weil ich im Dezember davon ausgegangen war, dass es nur diese erste Woche zu überbrücken gilt".

Krankenkasse streicht Haushaltshilfe für Familie mit sechs Kindern

Doch als es dann hieß, dass der Lockdown noch länger währt, sei sie sehr erleichtert darüber gewesen, dass sie beide Kinder nun vormittags in die Notbetreuung geben darf. "In der Zeit kann ich in Ruhe arbeiten, und die Kinder kommen entspannt zurück. Denn sie erledigen ihre Schulaufgaben im gewohnten Lernumfeld und treffen Klassenkameraden."

Zudem habe die Schule organisiert, dass die Kinder in der Notbetreuung an den Telefonkonferenzen mit anderen Lehrern und den Schülern, die zu Hause sind, teilnehmen können. "Aber nicht alle Familien haben eine solche Möglichkeit", sagt Katrin und denkt an Mütter wie Friederike, die einen gnadenlos harten Alltag zu bewältigen haben.

Katharina weiß von einer Familie mit sechs Kindern, das jüngste drei Monate alt, der Vater Student. Bis Ende Dezember hatte die Familie eine Haushaltshilfe, finanziert von der Krankenkasse. Doch die lehnte eine Verlängerung dieser Unterstützungsmaßnahme ab. Die Ausnahmesituation mit coronabedingtem Notbetrieb in Kindergärten und Schulen war für die Krankenkasse kein hinreichendes Argument, der Familie weiter unter die Arme zu greifen...

Familien empfanden den Lockdown als eine dauerhafte Überlastung

Katharina, die vierfache Mutter aus Weimar, würde sich freuen, wenn über alternative Betreuungsmöglichkeiten - etwa die Bildung kleiner Teams durch Eltern befreundeter Kinder - wenigstens diskutiert werden würde. Denn das Fazit, das Familien schon nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 zogen, sei ernüchternd und eigentlich ein Beleg dafür gewesen, dass ihnen nie wieder ein solches Pensum aufgebürdet werden darf: Eine Umfrage des Verbandes kinderreicher Familien Thüringen habe gezeigt, dass Familien den Lockdown als eine dauerhafte Überlastung empfanden, die ihre Lebensqualität minderte und im Einzelfall sogar krank machte.

"Diesmal aber kommt noch hinzu, dass die Familien nicht erst seit dem Lockdown extrem gefordert sind, sondern es auch schon vorher waren", sagt Katharina. Schließlich seien an vielen Schulen die Unterrichtszeiten schon seit dem Herbst wieder stark eingeschränkt gewesen, so dass die Eltern wieder jonglieren mussten zwischen beruflichen und Betreuungsaufgaben im Distanzunterricht.

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