Jena. Sollen Friesweg und Hans-Berger-Straße umbenannt werden? – der Stadtrat stößt Diskussion an

Jakob Friedrich Fries und Hans Berger im Namensschilde: Ist das noch hinnehmbar? – Martin Michel setzt zum Finale der Legislaturperiode ein Zeichen. Der fraktionslose Alleinkämpfer von der Partei „Die Guten“ bringt jetzt zur letzten Stadtratssitzung vor der Kommunalwahl im Mai zwei Beschluss-Anträge ein, wonach der Friesweg am Ost-Auslauf des Landgrafen-Berges und die Hans-Berger-Straße in Lobeda-West umbenannt werden sollen.

In Jakob Friedrich Fries (1773 bis 1843) sei nicht nur der mit einem Denkmal am Fürstengraben geehrte Philosoph zu sehen, sagte Michel gegenüber der Zeitung. Fries habe als Vordenker der Burschenschafter und glühender Antisemit „die Juden-Vernichtung vorgezeichnet“.

Und zu Berger: Der Neurologe und Psychiater (1873 bis 1941) ist der Erfinder der Elektroenzephalographie – des EEG; er war Direktor der Jenaer Psychiatrie und zudem Rektor der Uni in den Jahren 1927 und 1928. Gesichert ist nach Michels Beschreibung die Erkenntnis, dass der dazumal für den Nobelpreis nominierte Berger im so genannten Erbgesundheitsobergericht über Zwangssterilisationen mitentschieden hat.

Fries und Berger zur Antisemitismus-Frage „in einem Atemzug“ abgehandelt

Martin Michel berichtete, dass der Verwaltungsrat des Studentenwerks schon am 8. Juli 2015 beschlossen habe, sich für die Umbenennung des Friesweges einzusetzen, zumal der Weg an einem Studentenwohnheim entlangführe und der Name umso mehr in der internationalen Wahrnehmung der Stadt und der Uni mitschwinge.

Michel sprach Fries‘ Schrift aus dem Jahre 1816 „Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden“ an. Darin habe Fries ausgeführt, dass „man die Juden ausrotten“, ihnen zunächst ein Kennzeichen auf die Kleidung geben und sichergestellt werden müsse, dass „kein Christ sich ihnen verdinge“. Judenpogrome seien schließlich, so fährt Fries fort, in der Vergangenheit nicht durch „Hass gegen die Unchristen“ entstanden, sondern durch „den Hass gegen die vom Betrug lebenden, schleichenden Trödler und Volksausplünderer“. Und: Es müsse „von größter Wichtigkeit sein, der Judenschaft baldmöglichst ein Ende zu machen“. In Spanien sei es „allem Volke zur Freude“ geworden, „sie zu tausenden auf dem Scheiterhaufen verbrennen zu sehen“.

Zu Hans Berger erwähnt die Online-Enzyklopädie Wikipedia unter anderem dessen Förder-Mitgliedschaft in der SS. 1938 habe mit seiner Emeritierung seine Tätigkeit im Erbgesundheitsobergericht geendet. Als ihn 1941 der Rassenhygieniker und Uni-Rektor Karl Astel aber bat, erneut am Erbgesundheitsobergericht tätig zu werden, habe Berger am 4. März 1941 „sehr gerne“ zugestimmt und sich für die Berufung bedankt.

Jenas Stadthistoriker Rüdiger Stutz sieht im Nebeneinander der beiden Beschlussanträge von Martin Michel das Problem, dass Fries und Berger zur Antisemitismus-Frage „in einem Atemzug“ abgehandelt werden könnten. „Ein Vordenker der Massenvernichtung war Fries aber nicht; das konnte er auch nicht sein“, sagte Stutz im Zeitungsgespräch. Dass Fries Auschwitz vorgedacht haben könnte, „das ist Nonsens“. Derlei habe außerhalb des Vorstellungsvermögens der Menschen im 19. Jahrhundert gelegen. Die biologisch-rassistische Trennung habe ein Fries nicht gekannt.

Praktizierter Antisemitismus

Nicht übersehen dürfe man dabei, dass es eine ganze Reihe von Fries-Zeitgenossen gab, die offen als Judengegner auftraten, sagte Rüdiger Stutz. Etwa die 2001 erschienene Schrift „Antisemitismus bei Kant und anderen Denkern der Aufklärung“ sei dazu sehr aufschlussreich. Und wie bekannt – jüngst zum Reformationsjubiläum sei Luthers Judenfeindlichkeit neuerlich ins Licht gerückt worden. Nein, er wolle auch Luthers „ganz schlimme antisemitische Ausfälle“ nicht relativieren, sagte Stutz, aber doch mahnen: Wenn schon kein Friesweg in Jena mehr, dann bitte auch den Immanuel-Kant-Ring (Zwätzen) und den Lutherplatz (Kreuzung „Schwarzer Bär“/Inselplatz) umbenennen!

Weil Antisemitismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf eine „sittlich moralische Auslöschung“ des Judentums hin justiert, aber im 20. Jahrhundert „von der Rasse her gedacht und somit ganz anders konnotiert war“, sieht Stutz den Fall Hans Berger „wesentlich kritischer und dramatischer“. Eine sehr gute Annäherung an die „schwer zu beurteilende Sachlage“ biete im Übrigen die Dissertation der Historikerin Kristin Tolk zur Jenaer Psychiatrie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts („Wie die Jenaer Psychiater um Hans Berger in der Zwischenkriegszeit ihre Patienten behandelten“; Jena, 2018). Hans Berger sei somit anzulasten, dass er „in der Maschinerie der wissenschaftlichen Expertise und auch Entrechtung und Verfolgung von Personen involviert war“, wie Stutz sagte. „Das war praktizierter Antisemitismus.“

Insofern lägen, wie Stutz formuliert, „graduell Welten zwischen Fries und Berger“. Rüdiger Stutz kann sich nun lebhaft vorstellen, dass öffentliche Diskussionen angestoßen werden, „um den Einzelfall zu kontextualisieren“. Weshalb also keine Gesprächsrunde zum Beispiel im Studentenwohnheim am Friesweg, fragt er.

Das sei doch nachhaltiger, als ein Straßenschild abzumontieren.

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