Das Wort zum Sonntag von Gisela Zeh von der Nordhäuser Domgemeinde.

Ostern als wichtigstes Fest für Christen ist in diesem Jahr für viele Menschen nahezu ausgefallen. Dafür blieb mehr Zeit zum Nachsinnen über Ostern. Vieles aus der Bibel hat heute an Aktualität nichts verloren. Da wird Jesus ein triumphaler Empfang in Jerusalem bereitet. Die Menschen jubeln ihm zu. Ein paar Fake-News reichen, und kurze Zeit später kippt die Stimmung. Besserwisser sind unterwegs und bestimmen das Geschehen. Aus den Jubelrufen „Hosianna“ wird „Kreuzigt ihn!“, weil die Menschen verhetzt wurden.

Und heute? Eben noch wurde die verantwortliche Politik in der Coronakrise gelobt. Kurze Zeit später sind Fake-News und Besserwisser unterwegs. Sätze – wie „Freiheitsberaubung durch eine Hygienediktatur“ oder „Wir retten Menschenleben, die in einem halben Jahr sowieso gestorben wären!“ – machen die Runde. Sie erschrecken mich. Wie schnell folgt dann die moderne Form von „Kreuzigt ihn!“: „Die Merkel muss weg“ oder wer auch immer.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Demokratie lebt vom Streit der Meinungen und vom Disput. Aber auch heute ist ein Kompass nötig, der vor Fake-News und Besserwissern schützt. Die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren zeigt uns noch einmal sehr drastisch, wohin es führt, wenn eine Gesellschaft sich blenden und verhetzen lässt. Wie kann ich mich vor Fake-News, Besserwisserei, falschen Propheten und Verhetzung schützen, wenn ich kein Theologe, Mediziner oder Politikwissenschaftler bin?

Der wichtigste Kompass ist für mich die Achtung der Würde des einzelnen Menschen. Als Christ sage ich: Diese Würde ist jedem Menschen von Gott verliehen. Ich glaube an den Gott der Liebe, ich weiß davon in meinem Herzen. Dieser Glaube lässt mich skeptisch bleiben, wenn es um Fake-News und Besserwisserei geht. Aus meinem Glauben ziehe ich dann auch mein weltanschauliches Wertefundament, das mich abhält, meine Fahne immer nach dem Wind zu drehen.

Gisela Zeh ist von der Domgemeinde in Nordhausen.