Wort zum Tage: Wenn man am liebsten heulen und weglaufen möchte

Ist Ihnen auch nach Weglaufen zumute? Mir ging es in den vergangenen Tagen gelegentlich so. Am liebsten weglaufen! Und heulen, oder?

Es ist doch zum Heulen und zum Weglaufen, was uns derzeit zugemutet wird: Plötzlich ist die Sicherheit weg. Alles kommt ins Rutschen: Arbeitsplätze auf der Kippe, Routinen unterbrochen, Freiheit und Freizügigkeit eingeschränkt! Unser Staat, den wir in den vergangenen Jahren vielleicht schätzen gelernt haben – der freiheitliche halt, der uns als mündige und wache Bürger behandelt und ernst nimmt – plötzlich macht er uns Vorschriften.

Er reglementiert uns, beschneidet uns und schränkt uns ein. Das Virus hat uns fest im Griff.

Heute weiß keiner, wie es morgen aussehen wird, wohin sich die notwendigen Maßnahmen in den kommenden Tagen und Wochen noch entwickeln werden. Wir wissen nicht, wie wir in drei Wochen Ostern feiern werden, und eigentlich weiß niemand, wie sich unser Leben in einem Vierteljahr anfühlen und wie es aussehen wird. Wir ahnen jedoch: Vieles wird sich verändert haben. Wir begreifen derzeit: Es wird einschneidend. Wir spüren bereits den Schmerz.

Es ist zum Heulen und zum Weglaufen! Doch wohin mit dem Kummer? Wohin mit den Sorgen und Ängsten? Wohin mit der Einsamkeit im besucherfreien Pflegeheim? Wohin mit dem Frust in der engen Wohnung mit den so schnell gelangweilten Kindern? Wohin mit der Not angesichts des ohnehin angeknacksten Immunsystems im Krankenbett? Wohin mit der Angst, weil die Firma dicht gemacht hat? Weglaufen?

Die biblische Losung für diesen Tag macht uns ein Angebot: „Gott deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes.“ (Psalm 27,5)

Ja, manchmal ist mir nach Weglaufen zumute – als Kind konnte man das noch. Irgendwohin, wo man Schutz suchen und sich (ver-)bergen konnte. Als Erwachsener tut man das eher nicht. Gott jedoch weiß, dass seine großen Menschenkinder immer wieder in Situationen stehen, in denen sie weglaufen und heulen möchten. Er lädt uns ein zu sich, sieht uns in unserer Not, gibt uns Schutz und Halt in schwerer Zeit.

Pfarrer Friedemann Witting ist Superintendent im Kirchenkreis Gotha