Schmiedebach. Die Schieferdorfgemeinschaft Schmiedebach hat ein verschollenes Hörspiel für Kinder von einem Leipziger Radiosender vertonen lassen

Der kleine Klaus sitzt zu Hause, irgendwo in Deutschland, an einer Schulaufgabe und zankt sich mit seiner Schiefertafel. Was soll er bloß als sein schönstes Ferienerlebnis aufschreiben? Ihm fällt nichts ein. Da erwacht die Tafel plötzlich zum Leben und beginnt zu sprechen, erzählt aus ihrem Leben. Gemeinsam starten sie zu einem Flug übers Land, fahren mit dem Zug ins ferne Ludwigsstadt, wo der Schiefer herkommt. Hier erfährt Klaus, was es mit dem wertvollen Gestein auf sich hat. Endlich hat er etwas zu Schreiben.

Das ist, grob umrissen, die Handlung des Hörspiels „In der Heimat der Schiefertafel“ aus dem Jahre 1933. Der in Weimar geborene Lehrer und Kinderbuchautor Paul Kettel (1899-1977) schrieb es als „Lehrspiel für das vierte Schuljahr“. Gedacht war es für den reichsweiten Einsatz im Unterricht, insbesondere für Schüler in Regionen, die keinen Schiefer haben.

Am Donnerstag, den 15. Juni 1933 hätte es im damaligen Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig live gesendet werden sollen – eigentlich. Das Manuskript war schon fertig. Doch über den Äther wird die Schiefertafel nicht mehr geschickt: Der Thüringer Gauleiter Fritz Sauckel entließ den Sozialdemokraten Kettel kurz zuvor aus dem Staatsdienst. Als Ersatz wird der Direktor des Staatsbruchs im Sender interviewt. Das Stück geriet in Vergessenheit, wurde niemals aufgeführt. Heute, auf den Tag genau 86 Jahre nach der geplanten Sendung, wird das halbstündige Werk doch noch gesendet: Heute Abend im Schmiedebacher Gasthaus Linde in einer Neuaufnahme des Leipziger Universitätsradios Mephisto 97.6. Initiator von alldem ist Carsten Reitz, Vorsitzender des Vereins Schieferdorfgemeinschaft Schmiedebach. Der betreibt nicht nur das Schiefermuseum im Ort, sondern auch Heimatforschung wie diese.

Gut einen Monat Arbeit für 30 Minuten Hörspiel

„Als wir alte Akten durchsahen, stießen wir auf den Vorgang rund um das Hörspiel und seinen Verfasser“, erklärt Carsten Reitz den Zufallsfund. Paul Kettel kannte er bis dato nicht. Im Deutschen Rundfunkarchiv recherchierte der studierte Museologe, dass seinerzeit bereits eine Schallplatte mit typischen Arbeitsgeräuschen aus dem Schieferabbau sowie allgemeinen atmosphärischen Klängen vorlag, aber den Krieg nicht überstand. Zum Klang der laufenden Platte wäre dann der Text im Sender live gesprochen worden. Schnell kam dem 36-Jährigen die Idee, das Hörspiel im Dornröschenschlaf endlich vertonen zu lassen. Er macht Paul Kettels hochbetagten Sohn ausfindig, der im Westen lebt.

„Der fand die Idee sofort sehr gut“, sagt Carsten Reitz. Doch wie umsetzen? „Anfangs war die Idee, es - ganz passend - mit lokalen Schülern einzusprechen, aber wir fanden es dann doch zu lang und zu schwer für sie“, so Reitz. Auch von Vereinsgedanken, sich selbst vors Mikro zu stellen, nimmt man schnell Abstand. „Wir sind keine Profis, es sollte nicht dilettantisch klingen.“ Reitz denkt an freie, nichtkommerzielle Radiosender ähnlich dem Saalfelder Bürgerradio SRB und besinnt sich seiner Leipziger Studienzeit. „Das Hochschulradio Mephisto 97.6 der Uni hat schließlich Interesse gezeigt und zugesagt“, so Carsten Reitz. Einen Monat lang arbeitet das Studentenradio an dem Hörspiel, für den Verein ist das kostenlos.

Seit Mittwoch liegt Carsten Reitz die Aufnahme vor. „Es ist wirklich sehr gelungen, gekonnt eingesprochen, wirkt authentisch, weil nahe am Skript.“ Das wäre überhaupt sehr frisch und modern verfasst und auch für die heutige Zeit gut verständlich. Und: „Es hat tatsächlich keinen politischen Unterton“, findet Reitz. Nur eine Stelle, an der die deutsche Arbeiterschaft thematisiert werde, könne man allenfalls in die Nähe von Propaganda rücken. Der Sender habe sich viel Arbeit gemacht, „es treten etliche Protagnisten auf, Klaus, die Tafel, Bergmänner und Zugschaffner...“, sagt Reitz.

Mephisto 97.6 schickte zwei Versionen nach Schmiedebach. „Eine, die mit verschiedenen Effekten einer Radiosendung von früher nachempfunden ist, und eine ‚neutrale‘“. Welche von beiden er dem Publikum im Gasthaus heute Abend vorführt, will der Vereinschef noch entscheiden. Wann Mephisto selbst das Hörspiel sendet, ist noch nicht sicher, eine Ausspielung auch im SRB und dem Offenen Kanal Ludwigsstadt sei aber geplant.

Heute, 18 Uhr im Gasthaus Linde in Schmiedebach. Eintritt frei, Spenden fürs Schiefermuseum sind willkommen. Gruppen mögen sich unter Tel. (036653) 22252 im Gasthaus anmelden.