Jena. Seit Jena seine Flüchtlinge nach ihren Bedürfnissen fragt, gelingt die Annäherung besser – ein Gespräch mit den Integrationsprofis.

Was brauchen Geflüchtete? Vor allem ein Dach über dem Kopf, ein Bett und Essen sowie Sicherheit. Aber was ist mit Zuwendung, Sehnsucht nach Heimat und Familie, mit unausgesprochenen Bedürfnissen? In Jena hat man Flüchtlinge danach gefragt. Sie partizipieren lassen.

Seit einem Besuch im Aufnahmelager Friedland (Kreis Göttingen/Niedersachsen) weiß Dörthe Thiele genau, was sie will. „Mehr miteinander reden! Die Menschen, die wir abgeholt haben, haben beim Essen die Wurst weggeschmissen. Es gab kein Schild, kein Piktogramm mit einem durchgestrichenen Schwein, keine Info. „Was für eine Verschwendung, was für ein Frust auf beiden Seiten!“, empört sich Dörthe Thiele. Die 47-Jährige hat Deutsch als Fremdsprache und Interkulturelle Kommunikation studiert. Sie ist die Integrationsbeauftragte der Stadt Jena. Ihr Kollege Andreas Amend, 50, ist studierter Sozialpädagoge und Integrationsmanager. Sein Schwerpunkt sind geflüchtete Menschen, ihrer die Angelegenheit aller Ausländer in der Stadt. Jena zählt etwas mehr als 10.000 Bürger mit ausländischer Nationalität, 3000 davon sind jüngst Zugewanderte. Für sie hat die Stadt zwei Gemeinschaftsunterkünfte – eine Sanierung und ein Neubau – eingerichtet und dabei waren auch die Wünsche der Bewohner wichtig: Privatsphäre, ein eigener Briefkasten, kein nächtliches Dauerflutlicht in den Fluren.

Partizipation hat natürlich ihre Grenzen. „Wenn bei der Unterbringung nur die Frage ist: Turnhalle oder Turnhalle, da ist nichts zu debattieren“, unterstreicht Andreas Amend. Aber selbst da kann man Frauen und Mütter fragen, was sie sich wünschen. In anderen Fällen kann sich etwa ein Sprecherrat der Bewohner regelmäßig mit der Hausleitung treffen. Man kann die Zuwanderer fragen, was sie möchten, kostenloses W-LAN für den Kontakt nach Hause, Mitsprache bei der Auswahl und Zubereitung von Essen etc.

Die Lebenswelt der anderen besser verstehen

In Jena gab es zwar seit etwa 2010 Integrationskonzepte und Strukturen zum Thema „Migration“, aber laut Dörthe Thiele „nichts zur Partizipation von Flüchtlingen. Es gab keine Blaupausen.“ Das Projekt „Ankommen in Deutschland“ der Bertelsmann Stiftung hat hier Hilfe leisten können. Ein halbes Dutzend Mal hat der Steuerungskreis aus allen beteiligten Gruppen, Ämtern und Stellen über Teilhabe und Teilnahme Geflüchteter gesprochen. Vier schon teils seit vielen Jahren bestehende Arbeitsgruppen – für Kinder, junge Migranten, Senioren und Familien – wurden gebeten, ihre Vertreter in den Initiativkreis zu schicken. Der Initiativkreis brachte die Arbeitskreise und die ehrenamtlich Aktiven in der Flüchtlingsarbeit an einen Tisch. Zentrale Themen waren Freizeit und Teilhabe von Migranten. Im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hat Organisationsberaterin Ellen Ehring den Prozess begleitet. „Das Wichtigste war, alle zu ermutigen, die Geflüchteten direkt zu befragen, also nicht über, sondern mit den Betroffenen zu sprechen.“

50 Kinder und junge Erwachsene mit Fluchthintergrund wurden u.a. in einem Kinder- und Jugendzentrum befragt. Was ihnen wichtig sei, was gefalle, wo man sich in fünf Jahren sehe usw. Entgegen der Erwartung war das Thema Freizeit eher nachrangig. Der Fokus der jungen Geflüchteten war auf Ausbildung, Schule und Arbeit gerichtet. Auf diesen Feldern war auch das Unverständnis am größten. Warum dauert es so lange bis man arbeiten darf? Warum muss ich zum Jobcenter, wenn die Arbeit doch in der Firma ist? Das Alltagsverständnis der jungen Zugewanderten blieb fremd.

Mit Geflüchteten zu Koch- und Essensrunden

Unter vielen Beteiligungsformaten war das Projekt „Salz und Suppe“, was Dörthe Thiele und Andreas Amend nach einem Stuttgarter Vorbild übernahmen, hilfreich. Einwohner der Stadt finden sich mit Geflüchteten zu Koch- und Essensrunden zusammen. Gemeinsam kochen, gemeinsam essen, miteinander sprechen, das Ganze moderiert nach einem thematischen Leitfaden. Am Ende kommt es vor allem auf das Ergebnis des Gesprächs an, um die Lebenswelt des anderen besser zu verstehen. Viele Bürger von Jena haben bei den Salz-und-Suppe-Aktionen zu sozialem Engagement zusammengefunden. An solchen Abenden verändert sich das Bewusstsein der Menschen von „Asylanten“ zu „Zugewanderten“.

Dörthe Thiele: „Wir müssen uns unsere klare Haltung erhalten. Wir können mit unserer Arbeit zeigen, dass Menschen verschiedener Herkunft überwiegend friedlich und vernünftig zusammenleben können und wir müssen uns auch die klare politische Position erhalten, dass wir eine offene, weltzugewandte, internationale Stadt sind.“

Zur Sache

Weitere Erfolgsstorys aus 23 Kommunen können Interessierte zum Projekt „Ankommen in Deutschland“ demnächst nachlesen. Wie haben Kommunen Geflüchtete in Bildung, Arbeit und Gesellschaft integriert? Wie haben sie es geschafft? Welche Bedürfnisse hatten die Geflüchteten selbst? Wie lassen sich Integrationsangebote aufeinander abstimmen oder aus einer Hand anbieten?

Seit 2015 begleitete die Bertelsmann-Stiftung Gemeinden und Landkreise bei der herausfordernden Aufgabe einer Zusammenarbeit aller Akteure. Sie half mit, konkrete Strategien und Konzepte für die Integration von Geflüchteten zu erarbeiten und umzusetzen. Die Publikation „Ankommen im neuen Zuhause“ präsentiert Lernerfahrungen, Good-Practice-Beispiele und Evaluationsberichte in gekürzter Form. Darüber hinaus zeigen spannende Einzelgeschichten, mit welchen Hoffnungen, Schwierigkeiten Und Bedürfnissen Geflüchtete in Deutschland leben und zu welchen Leistungen unser Land fähig war und ist.

Das Buch erscheint Ende April 2019 im Bertelsmann-Verlag als E-Book und Printausgabe und ist online zu beziehen.

„Ankommen im neuen Zuhause – Flüchtlingsintegration als Chance für weltoffene Kommunen“ ca. 120 Seiten, Broschur ca. € 18,- (D) ISBN 978-3-86793-856-3 Bertelsmann Stiftung