Weimar. Im Freistaat sind derzeit rund 100 Anhänger der radikalen Klimabewegung „Extinction Rebellion“ aktiv

Um drei Uhr in der Früh hatte sie die Marschallbrücke in Berlin erklommen, er ließ sich an ein Floß anketten. 60 Stunden harrten sie aus, dann ließen sie sich von der Polizei wegtragen. Tino Pfaff gehört zu jenen Aktivisten, die im Oktober für Tage Teile der Berliner Innenstadt lahmlegten. Das war Teil einer europaweiten Aktion von Anhängern der „Extinction Rebellion“, in Kurzform „XR“, die dafür stehen, dass sich der Klimaprotest radikalisiert.

Klimathema mobilisiere über Generationen hinweg

Die Bewegung entstand im vergangenen Jahr in Großbritannien und ist seit diesem Juni auch in Thüringen angekommen. Es gebe Gruppen in Weimar, in Jena, in Erfurt und Nordhausen, zählt Tino Pfaff auf, insgesamt seien es etwa 100 Aktivisten. Der 35-Jährige hat in Erfurt soziale Arbeit studiert und ist jetzt an der Universität in Jena eingeschrieben. Die Mehrheit der Aktivisten sind Studenten wie er, aber es sei nicht so, dass die Bewegung allein Angelegenheit jugendlicher Rebellion ist. Neben der Universitätsstadt Ilmenau, so Tino Pfaff, gebe es auch Anfragen aus Suhl und Saalfeld. In Nordhausen gebe es Aktive, die seien 40 bis 50 Jahre alt. Als sich in Erfurt die Klimarebellen bei einer „Die Inn“-Aktion das leise Sterben symbolisierend auf den Boden legten, habe sich neben ihm spontan ein 70-Jähriger dazugelegt. Etwa 70 Prozent der Aktiven, sagt Pfaff, haben sich vorher höchstens mal an Demonstrationen beteiligt, mit auffälligen Protestaktionen haben sie keinerlei Erfahrungen, das sei schon auffällig. Das Klimathema mobilisiere über Generationen hinweg.

Zeit läuft davon

Trotzdem: Besetzte Kreuzungen, blockierte Brücken, warum muss dafür der Alltag lahmgelegt werden? Warum diese radikale Protestform? Weil unser Alltag ein Teil des Problems ist, sagt er. Er spricht von „dekadentem wohlständigem Lebensstil“ . Und weil sonst niemand hinhört, müssen die Aktionen auffällig sein und spürbar. Auch wenn er mit dem Wort „radikal“ Schwierigkeiten hat. Es klingt nach Gewaltbereitschaft, und genau das sei die XR-Bewegung eben nicht. Man habe bei den Aktionen eigene Deeskalationsteams dabei. Der Begriff des „zivilen Ungehorsams“ ist ihm lieber.

Das Logo der Klimarebellion ist eine stilisierte Sanduhr: Die Zeit läuft uns davon. Er selbst besitzt kein Auto, für seine Lebensmittel geht er „containern“, holt sich, was Kaufhallen als unverkäuflich aussortieren, oder er kauft in Biomärkten. Meine Entscheidung, sagt er. Im Verzicht übe er sich schon recht stark. Ihm sei schon klar, dass andere anders leben, auch weil sie es müssen. Weil der Einkauf im Biomarkt teuer ist. Weil man nicht gegen Autos wettern kann, solange der Nahverkehr auf dem flachen Land ausgedünnt ist. Er sagt aber auch: Ich finde es schade, wenn Menschen Verzicht als Verlust empfinden.

Nächste Aktionen? Womit muss man rechnen? Darüber sagt er nichts. Nur so viel: Man wolle künftig mehr dort für das Anliegen werben, wo Thüringen am ländlichsten ist.