Gera. Vor dem Landgericht Gera muss sich ein Landwirt aus dem Saale-Orla-Kreis verantworten, der seinen Nachbarn angegriffen hat. Eine psychiatrische Sachverständige bescheinigte dem Angeklagten, dass er über Jahre Wahn­vorstellungen aufgebaut hatte.

An den 22. April 2017 erinnert sich der 57-Jährige im Zeugenstand noch ganz genau. „Ich war morgens gerade vom Zeitungszustellen zurückgekehrt, als mein Nachbar mit einem Totschläger auf mich zulief. Da dachte ich gleich, dass etwas faul ist“, sagt der Rentner, der in einem kleinen Ort im Saale-Orla-Kreis lebt.

„Knie nieder, du ungläubiges Schwein, ich brech‘ dir deine Knochen kaputt“, habe sein Nachbar, ein inzwischen 60 Jahre alter Landwirt, gesagt. Jener habe versucht, ihn mit der Stahlrute zu schlagen, aber er habe mit einer Zeitung die meisten Schläge abwehren können. „Er hat mich nur am Knie getroffen, aber das war nicht der Rede wert“, sagt der Zeuge.

Er habe sich sehr über die Attacke gewundert und konnte sie sich nicht erklären, schließlich habe er nie Probleme mit dem Nachbarn gehabt und seit Jahren ein gutes Verhältnis gepflegt. Allerdings habe er vermutet, dass der Angreifer nervliche Probleme habe. „Er hatte einen kalten Stierblick“, sagt der Zeuge im Prozess, der am Donnerstag am Landgericht Gera stattgefunden hat. Der Sohn des Opfers hörte die Hilferufe, schaute aus dem Fenster – der Angreifer flüchtete und wurde später von der Polizei mitgenommen.

Der Nachbar sitzt auf der Anklagebank und lässt durch seine Verteidigerin Silke Lehmann erklären, er könne sich an nichts erinnern. Er wolle die Tat aber nicht in Abrede stellen und habe sich in Behandlung beim Psychiater begeben. Er habe sich medikamentös einstellen lassen, sich mit dem Nachbarn ausgesprochen und wieder vertragen.

Die psychiatrische Sachverständige Angela Trommer-Wentzel hat den Angeklagten untersucht. Sie stellte fest, dass der Mann über Jahre Wahn­vorstellungen aufgebaut hatte: Nach einer schweren Krebs­erkrankung sei ihm die Erleuchtung gekommen, dass die Heilung mit seinem Glauben zusammenhänge. Er sei oft in die Kirche gegangen und habe begonnen, Schmerzen selbst zu therapieren. Er habe geäußert, dass die Ursache seiner Schmerzen in Erdstrahlen liegen.

Die Schuld am Tod seines Hundes gab er anderen Personen, die sich mit Dämonen verbündet hätten. „Er hat Salz hinter Leute gestreut, um ihnen die Dämonen auszutreiben. Das ist seiner Ehefrau zunehmend komisch vorgekommen“, sagt die Gutachterin. Vor der Tat hat der Mann ganze Tage im Heizungskeller verbracht und kaum noch geschlafen. Beim Überfall auf den Nachbarn habe er unter Wahnvorstellungen gelitten, resümiert die Sachverständige. Sie geht deshalb davon aus, dass der Mann zum Tatzeitpunkt nicht schuldfähig war.

Dieser Linie folgen sowohl Staatsanwaltschaft und Verteidigung als auch das Gericht. In einem solchen Fall ist der Angeklagte freizusprechen. „Seine Steuerungsfähigkeit war aufgrund der wahnhaften Störung aufgehoben“, sagt der Vorsitzende Richter Uwe Tonndorf.

Allerdings muss das Gericht in einem solchen Fall noch prüfen, ob die Gefahr weiterer schwerer Straftaten durch den Angeklagten besteht. Auch hier stützt sich die Kammer auf die Expertise der Gutachterin. Zwar sei eine Restsymptomatik vorhanden. Der Mann müsse weiter Medikamente nehmen. Das sei gewährleistet, er sei sozial eingebunden. Zudem habe es vor dem Vorfall keine Straf­taten gegeben und auch danach keine. „Deshalb ist eine dauerhafte Einweisung in ein psychiatrisches Fachkrankenhaus nicht angebracht“, sagt Tonndorf. Das Urteil ist rechtskräftig.