Jena. Serie Stumme Zeugen (38): Letzte Geheimnisse aus dem Griesbachschen Garten sind bis heute nicht gelüftet.

Wer einmal an der Straße „Am Planetarium“ auf der rechten Seite stadtauswärts läuft und in Höhe des Griesbachschen Gartenhauses den Hang hinaufblickt, entdeckt vielleicht geradeso einen Adler zwischen den Bäumen. Das schwarze Tier ist dabei keinesfalls lebendig, sondern ziert vielmehr das Haupt eines Denkmals, über dessen Bedeutung sich die Gelehrten bis heute uneins sind. An sich könnte es ja so schön sein, denn genau dieses Denkmal wird auch als das älteste seiner Art gesehen, das dem großen Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe gewidmet wurde. Ausgerechnet in Jena und nicht in Frankfurt am Main oder Weimar steht es, wären da nur nicht berechtigte Zweifel an dieser These, sodass sich ein genauerer Blick auf diesen stummen Zeugen lohnt.

Der Dichterfürst weilte in unmittelbarer Nähe

Um die Ursprünge des Steins zu ergründen muss etwas weiter ausgeholt werden. Zunächst gehörte das Areal, auf dem er errichtet wurde, zum Anwesen des Jenaer Theologieprofessors Johann Jakob Griesbach (1745-1812), der seit 1775 an der Saale weilte. In den 1780er Jahren ließ er sich das heute noch zu sehende Landhaus errichten, das damals noch weit außerhalb der Stadt lag und damit seinen Namen auch verdiente. Hinzu kam, dass Griesbach den Garten nach englischem Vorbild gestalten ließ. Nicht zuletzt war das Griesbachsche Gartenaus auch ein Treffpunkt vieler großer und gelehrter Köpfe. Klingende Namen wie Goethe, Schiller, Fichte, Hegel, Wieland, die beiden Humboldt-Brüder oder Herder waren des Öfteren zu Gast und blieben nicht selten für mehrere Wochen.

Nach dem Tod des Professors interessierte sich vor allem die Großherzogin Maria Pawlowna von Sachsen-Weimar-Eisenach (1786-1859) für den geschichtsträchtigen Ort und mietete das Anwesen von der Witwe Griesbachs. 1818 kam es schließlich, dank der Vermittlung Goethes, zum Kauf des Hauses nebst dem Park durch die Adelige aus Weimar. Ihre beiden Töchter Marie und Augusta (die spätere Frau von Kaiser Wilhelm I.) verlebten fortan in Frühjahrs- und Sommeraufenthalten viel Zeit in Jena. Im Volksmund hatte sich deshalb schon bald die Bezeichnung „Prinzessinnengarten“ und für das Haus „Prinzessinnenschlösschen“ eingebürgert, da den Jenensern die Anwesenheit der hohen Damen und Fräuleins natürlich nicht verborgen blieb.

Der Dichterfürst Goethe weilte in jenen Jahren ebenfalls in Jena in unmittelbarer Nähe, da er im Inspektorenhaus des botanischen Gartens lebte und arbeitete. Nicht selten kam es dabei zu Begegnungen zwischen der Großherzogin und Goethe, vor allem zwischen den Kindern und dem Dichter, der auch für deren Erziehung und Bildung engagiert wurde.

Aus Dankbarkeit für die hervorragenden Dienste – Goethe war bei den Mädchen offensichtlich sehr beliebt, weil er unter anderem als Märchenonkel fungierte – soll dann Maria Pawlowna am 15. August 1821 das Denkmal für Goethe errichtet haben. Ohne dessen Wissen versteht sich, quasi als Überraschung zum 72. Geburtstag. Johann Heinrich Meyer (1760-1832), ein enger Freund des Dichterfürsten und Berater in künstlerischen Fragen lieferte den Entwurf. Die Adlerplastik geht auf den Weimarer Hofbildhauer Johann Peter Kauffmann (1764-1829) zurück. Das Denkmal selbst ist im Stil des Klassizismus angelegt. Eine steinerne Plinthe bildete den Grund, darauf wurde ein gusseiserner Pyramidenstumpf gesetzt, an dessen drei Seitenflächen in goldenen Majuskeln zu lesen ist: „Zierlich Denken, und suess erinnern, ist das Leben im tiefsten Innern“ (Frontseite), „Wem wohl das Glueck die schoenste Palme beut? Wer freudig thut, sich des gethanen freut.“ (rechte Seite) und „Irrtum verlaesst uns nie, doch zieht ein hoeher Beduerfnis immer den strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan.“ (linke Seite). Die Verse stammen aus Goethes „Vier Jahreszeiten“ und „Sprichwörtlich“. Als oberer Abschluss sitzt ein Adler aus Gusseisen auf dem Denkmal. Seine Bedeutung ist bis heute nicht restlos geklärt. Man kann hierin eine antike Anspielung sehen, die beispielsweise an den Gott Jupiter erinnern soll. Andere Deutungen bezeichnen indes den Adler als Symbol für Goethes hochfliegenden Geist. Nicht zuletzt war der Adler aber seit der Antike ein Herrschaftssymbol, der seit 1804 auch am Weimarer Hof als Hoheitszeichen eingeführt wurde. Als heutiger Betrachter könnte man meinen, man stünde in der Tat vor einem Denkmal aus dem Jahr 1821, das in der Vergangenheit restauriert wurde. Wäre da nicht ein kleiner Zusatz, der auf der rechten Seite des Steinsockels zu lesen ist: „Goethe-Denkmal 1821 / Neu aufgestellt 28. August 1974 / Am 225. Geburtstag Goethes“.

An diesem Punkt beginnt ein weiteres Kapitel der Geschichte des Steins, denn es handelt sich hierbei nicht um das Original, sondern um eine Replik. Das ursprüngliche Denkmal stand bis 1962 an seinem heutigen Platz. Dann entschied man sich im Zuge einer gärtnerischen Neugestaltung des Griesbachschen Anwesens das Denkmal, genauer gesagt den Adler nebst Pyramidenstumpf zu verschrotten. Dies geschah ohne eine vorherige Fotodokumentation oder Hintergrundrecherche, was aus heutiger Sicht zumindest die berechtigte Frage stellen lässt, ob man ein Goethe-Denkmal so ohne Weiteres entfernt hätte? Als eine Begründung wird eine Missinterpretation des Adlers als Symbol des deutschen Imperialismus gesehen, der demzufolge auf Grund des damaligen Zeitgeistes zu entfernen war. Zudem wird davon berichtet, dass der Adler angeblich in äußerst schlechtem Zustand gewesen sei und nur ein teurer Neuguss als Rettungsmaßnahme in Frage gekommen wäre. Wie viel Wahrheit hinter dieser Aussage steckt, ist heute kaum mehr zu belegen. In jedem Fall kam es dann 1973 zum Kuriosum, als der damalige Kustos der Universität, Günter Steiger, die Anregung gab, das Denkmal wieder aufzustellen. Wie er selbst schreibt, bedurfte es dafür „der Begründung und in gewissem Sinne auch der Rechtfertigung“. In wieweit dabei die Behauptung half, dass es sich bei diesem Goethe-Denkmal, um das älteste seiner Art handelte, ist ebenfalls kaum mehr zu klären. Demnach wurde das elf Jahre zuvor zerstörte Denkmal anhand von Bildern rekonstruiert und am besagten Tage im August 1974 etwas abseits des heutigen Standortes wieder aufgestellt.

Der Jenaer Kunsthistoriker Ulf Häder hat in den vergangenen Jahren immer wieder Zweifel an der Behauptung, es sei das älteste Goethe-Denkmal, angemeldet. Nach seinen Recherchen gibt es in den Weimarer Archiven keinen Hinweis darauf, dass dieses Denkmal dem Dichterfürsten gewidmet war. Für die These Häders spricht außerdem, dass ältere Reise- und Stadtführer über Jena das Denkmal vollkommen ausklammern. Selbst die älteren Lokalhistoriker Herbert Koch und Friedrich Thieme erwähnen es nicht. Die Frage bleibt also: Wenn es das älteste oder eines der ältesten Goethe-Denkmale gewesen wäre, wieso wurde dann nicht schon vor 1974 darüber berichtet? Dennoch ist bis heute weder pro noch kontra in dieser Frage eindeutig belegt. Wobei auch zu fragen wäre, warum Goethe 1830 ausgerechnet die Adlerplastik aus Gips, die als Modell für den Adler auf dem Denkmal diente, aus dem Nachlass des ein Jahr zuvor verstorbenen Hofbildhauers Hoffmann erwarb und dann in seinem „Juno-Zimmer“ in Weimar aufstellte. Zufall oder doch nur ästhetischer Feinsinn des Dichters? Die letzten Geheimnisse sind diesem stummen Zeugen bis heute jedenfalls noch nicht entlockt.

Dies gilt übrigens auch für das zweite „Goethe-Denkmal“, dass sich im Griesbachschen Garten befindet und gut vom Zwischenweg, der zum Philosophenweg hinaufführt, zu sehen ist. Es besteht aus einem Sockel, auf dem das Zitat aus Goethes „Beschilderter Arm“ zu lesen ist: „Manches Herrliche der Welt ist in Krieg und Streit zerronnen. Wer beschützet und erhält, hat das schönste Los gewonnen.“ Oben auf sitzt als Abschluss eine größere Schale.

Nach Angaben der Kustodie der Uni Jena könnte auch dieses Denkmal aus dem Jahr 1821 stammen, da ein Entwurf aus diesem Jahr überliefert ist. Wer es aber anfertigte und von wem es in Auftrag gegeben wurde, bleibt unklar. Es muss aber zu DDR-Zeiten ebenfalls restauriert worden sein, da gerade die Schrift sonst heute kaum mehr lesbar wäre. Vielleicht erfuhr ja auch dieser stumme Zeuge eine Umwidmung?