Berlin. Eine Erdbebenserie an Neujahr erschüttert Japan. Betroffene berichten von ihrer Furcht – und was anders war als beim Tsunami 2011.

„Als das erste Erdbeben kam, haben wir Familientreffen gehabt“, schildert Yumemi Nose ihre Erlebnisse gegenüber unserer Redaktion. Nose lebt in Japan, genauer gesagt in der Präfektur Niigata an der Westküste hin zum Japanischen Meer. Mit der Nichte, dem Neffen, deren Eltern und ihre eigenen Eltern habe sie mit ihrer Familie an Neujahr vor dem Fernseher gesessen.

„Zunächst spürten wir ganz leichte Beben. Plötzlich kamen viele Warnungen über das Handy und in den Fernsehnachrichten, dass das Erdbeben in ein paar Minuten kommt. Dann kam das richtig starke Erdbeben“, erinnert sich die Japanerin. „Ich hatte Angst und habe sie immer noch, weil ich mit Nachbeben rechne und mir nicht sicher bin, wann das alles vorbei ist. Vielleicht kommt noch ein großes.“

So wie Yumemi Nose starteten Millionen Japanerinnen und Japaner nicht mit Feiern, Freude und Zuversicht ins neue Jahr – sondern mit Angst vor der gewaltigen Macht der Natur. Eine Serie starker Erdbeben an der Westküste Japans hat am Neujahrstag Warnungen vor Tsunami-Flutwellen ausgelöst und beträchtliche Schäden verursacht. Mindestens 30 Menschen kamen (Stand Dienstagmorgen) ums Leben. Die Suche nach Vermissten dauert an. Am Montag um 8.10 Uhr deutscher Zeit, als hierzulande viele Menschen nach den Silvesterfeierlichkeiten noch ausschliefen, war es in Japan schon 16.10 Uhr. Da meldete die japanische Wetterbehörde eine Erschütterung der Stärke 7,6 auf der Richterskala.

Erdbeben in Japan: „Sorgen vor einem Tsunami wie damals bei Fukushima“

Der japanische Fernsehsender NHK warnte am Montag in der am schwersten betroffenen Präfektur Ishikawa vor einer Flutwelle von bis zu fünf Metern. Die Bewohner wurden eindringlich dazu aufgerufen, sich auf Anhöhen oder auf Gebäuden in Sicherheit zu bringen.

Das Epizentrum des Bebens lag in der am Japan-Meer gelegenen Region Noto. Die Behörden gaben für Ishikawa eine starke und für die übrigen Küstenregionen im Westen des Archipels geringere Tsunami-Warnungen aus. In einigen Regionen wurden bald darauf erste Flutwellen von mehr als einem Meter registriert. Die Regionen wurden von weiteren Erschütterungen heimgesucht.

Japan in Angst: Die Furcht vor einem „zweiten Fukushima“ ist groß

Yumemi Nose hat Glück, sie wohnt nicht direkt an der Küste. „Daher habe ich persönlich keine Angst vor Tsunamis. Aber natürlich mache ich mir Sorgen, dass ein Tsunami wie damals bei Fukushima entstehen wird“, sagt sie. Zu präsent sind bei vielen Japanerinnen und Japanern die schrecklichen Erinnerungen an den März 2011, als es nach einem Seebeben der Stärke 9 und einem verheerenden Tsunami zu einer Unfallserie im Atomkraftwerk (AKW) Fukushima kam.

Derzeit sieht die Lage nach den ersten Beben allerdings weniger beunruhigend aus. „In den Nachrichten wurde schon darüber informiert, dass man sich keine Sorge um die Funktionsfähigkeit des AKW machen muss. Trotzdem habe ich Angst davor.“

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Auffällig gewesen seien die frühzeitigen Warnmeldungen der japanischen Behörden über Handydienste und Fernsehstationen sowie die in weiten Teilen rechtzeitigen Evakuierungen der örtlichen Bewohner. „Man merkt, dass die Japaner viel von Fukushima gelernt haben“, so Nose.

Erdbeben und Tsunamis: Japans Behörden und Medien warnen früher und stärker

Den Eindruck einer stärkeren Wachsamkeit seit Fukushima bestätigte auch der 24-Jährige Yasuaki Ono aus Naha auf der südjapanischen Insel Okinawa dieser Redaktion. „Die Nachrichtensprecher warnten die Menschen immer wieder in einem schärferen Ton und mit eindringlichen Worten, sich von den Küstengebieten fernzuhalten, da in der Vergangenheit, insbesondere beim Tsunami 2011, viele Menschen nicht auf die Medien hörten und so an der Naturkatastrophe starben. Im Fernsehen schreien viele Reporter, vor allem von der NHK (Japan Broadcasting Corporation), immer wieder „RUN, RUN“, um auf die Gefahr des Tsunamis hinzuweisen.“

Yasuaki Ono hat schon 2011 die Tsunami-Katastrophe von Fukushima vor Ort miterlebt.
Yasuaki Ono hat schon 2011 die Tsunami-Katastrophe von Fukushima vor Ort miterlebt. © ZRB | Privat

Der 24-Jährige weiß aus eigener Erfahrung, wovon er spricht. Zum Zeitpunkt des verheerenden Erdbebens vor knapp 13 Jahren war Yasuaki Ono zwölf Jahre alt und lebte in der Stadt Sukagawa, nicht weit entfernt von Fukushima. Das Erdbeben jetzt an Neujahr habe bei vielen Japanern Erinnerungen an das Beben von 2011 geweckt. Das japanische Wort für „Großes ostjapanisches Erdbeben“ rangiere auf der Plattform X (früher Twitter) wieder in den Trends der meistdiskutierten Begriffe.

„Ständige Erinnerung, dass der Mensch nicht stärker ist als die Natur“

„Viele Menschen in Japan glauben, dass es bald ein großes Erdbeben geben wird, das Tokio trifft“, sagt Ono. „Und Naturkatastrophen wie die, die wir gerade erleben, sind eine ständige Erinnerung daran, dass die Hauptstadt Japans jederzeit von einer solchen Katastrophe getroffen werden könnte und dass der Mensch nicht stärker ist als die Natur.“

Bei den Bildern aus den Nachrichten kommen dem 24-Jährigen schlimme Erinnerungen wieder hoch. Viele Menschen versuchten nach den Erschütterungen, ihre Angehörigen unter ihren Häusern zu finden, die durch das Erdbeben völlig zerstört wurden, und hofften, dass sie noch am Leben sind. „Das weckte Erinnerungen an Zeiten, als ich direkt nach der Katastrophe von 2011 in Iwaki, Fukushima, eine Tsunami-Stelle besucht hatte. Alle Gebäude waren weggeschwemmt worden, und was übrig blieb, war ein leerer Raum mit Stücken dessen, was einmal die Häuser der Menschen waren.“

Die Angst wird bleiben, nicht nur bei Ono. Japan ist eines der am stärksten von Erdbeben gefährdeten Länder der Welt. Für die kommenden Tage erwarten Experten weitere Beben in der Region. (mit dpa)