Berlin. Auf der Berlinale-Bühne wurde teils deutliche Kritik am Vorgehen Israels im Gaza-Streifen geäußert – und das Publikum klatschte.

Die 74. Berlinale blieb sich bis zum Finale treu: Geprägt von politischen Botschaften haben die Filmfestspiele ihre Auszeichnungen vergeben. Bei der Preisgala ging es auch immer wieder um den Gaza-Krieg, der seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas vom 7. Oktober 2023 tobt. Auf der Bühne wurde teils deutliche Kritik am Vorgehen Israels in dem palästinensischen Gebiet geäußert. Auffällig war, dass viele Beteiligte einseitig Vorwürfe gegen Israel erhoben, ohne den Terrorangriff zu erwähnen oder eine Rückführung der israelischen Geiseln zu fordern.

Das stieß im Nachgang bei mehreren Politikern auf Kritik. Auch die Berlinale distanzierte sich von den Äußerungen einzelner Filmschaffender. „Die Äußerungen von Preisträger*innen sind unabhängige individuelle Meinungen. Sie geben in keiner Form die Haltung des Festivals wieder“, teilte eine Berlinale-Sprecherin mit. „Solange sie sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegen, müssen wir sie akzeptieren“, hieß es weiter. Die Berlinale habe Verständnis dafür, dass die Äußerungen einiger Preisträgerinnen und Preisträger „als zu einseitig empfunden wurden“ – wies aber auch darauf hin, dass Meinungsäußerungen bei Kulturveranstaltungen nicht grundsätzlich verhindert werden könnten und sollten. Lesen Sie auch:Israelfeindlicher Post – Berlinale spricht von Hackerangriff

Berlinale: „Feuerpause jetzt“ – Protest-Zettel auf der Bühne

Die Berlinale war in diesem Jahr besonders stark von politischen Debatten geprägt – bereits bei der Eröffnungsgala hatten viele Filmschaffende etwa gegen Rechtsextremismus protestiert. Andere forderten ein Ende der Kämpfe in Gaza zwischen Israel und der Hamas. Bei der Preisverleihung trugen mehrere Menschen auf der Bühne einen Zettel mit der Aufschrift „Ceasefire Now“ (etwa: „Feuerpause jetzt“).

Basel Adra und Yuval Abraham.
Basel Adra und Yuval Abraham. © DPA Images | NADJA WOHLLEBEN

Der palästinensische Filmemacher Basel Adra forderte Deutschland auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Daraufhin kritisierte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck (Grüne), auf der Plattform X (vormals Twitter), dass dieser Auftritt beklatscht worden und unkommentiert geblieben sei. Das sei „ein kultureller, intellektueller und ethischer Tiefpunkt“ der Berlinale, schrieb Beck.

Adra hatte mit drei anderen Filmemachern die Dokumentation „No Other Land“ gedreht und dafür den Dokumentarfilmpreis gewonnen. Der Film dreht sich um die Vertreibung von Palästinenserinnen und Palästinensern in den Dörfern von Masafer Yatta, südlich von Hebron im Westjordanland.

Filmemacher spricht von Genozid – Grünen-Politiker: „Solche Auftritte sind unerträglich“

Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen)
Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) © dpa | Monika Skolimowska

Scharfe Kritik kam auch von Grünen-Politiker von Notz, nachdem – an anderer Stelle der Berlinale-Gala – der Filmemacher Ben Russell im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg von „Genozid“ gesprochen hatte. „Es ist schlicht ekelhaft und eine perfide Täter-Opfer-Umkehr. Solche Auftritte sind unerträglich“, schrieb Konstantin von Notz bei X.

Ben Russell (l.) steht mit einem sogenannten Palästinensertuch auf der Bühne. Neben ihm: Guillaume Cailleau.
Ben Russell (l.) steht mit einem sogenannten Palästinensertuch auf der Bühne. Neben ihm: Guillaume Cailleau. © AFP | John Macdougall
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Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagskulturausschusses, Marco Wanderwitz (CDU), schrieb bei X: „Diese @berlinale müssen wir als Bundeskulturpolitik sehr genau auswerten.“ Auf der Bühne und aus dem Publikum habe „es leider mehrfach unwidersprochen antiisraelische Statements“ gegeben, die nicht zu akzeptieren seien.

Kai Wegner: „Berlin hat eine klare Haltung“

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) übte heftige Kritik an der Veranstaltung. „Das, was gestern auf der Berlinale vorgefallen ist, war eine untragbare Relativierung. In Berlin hat Antisemitismus keinen Platz, und das gilt auch für die Kunstszene“, schrieb Wegner am Sonntag auf der Plattform X. Er erwarte von der neuen Berlinale-Leitung, dass sich „solche Vorfälle“ nicht wiederholten.

Kai Wegner (CDU), Regierender Bürgermeister von Berlin
Kai Wegner (CDU), Regierender Bürgermeister von Berlin © DPA Images | Soeren Stache

„Berlin hat eine klare Haltung, wenn es um Freiheit geht. Berlin steht fest auf der Seite Israels. Darüber gibt es keinen Zweifel. Die volle Verantwortung für das tiefe Leid in Israel und dem Gazastreifen liegt bei der Hamas“, ergänzte Wegner, der am Samstagabend selbst im Publikum gesessen hatte. Die Hamas allein habe es in der Hand, „dieses Leid zu beenden, indem sie alle Geiseln freilässt und die Waffen niederlegt.“

Joe Chialo (CDU), Senator für Kultur
Joe Chialo (CDU), Senator für Kultur © DPA Images | Britta Pedersen

Auch Berlins Kultursenator Joe Chialo fand deutliche Worte: „Die Kultur sollte Raum für vielfältige politische Meinungsäußerungen bieten, doch die diesjährige Preisverleihung der Berlinale war geprägt von selbstgerechter antiisraelischer Propaganda, die nicht auf die Bühnen Berlins gehört“, schrieb der CDU-Politiker am Sonntag bei X. Es sei zu hoffen, dass die Festivalleitung die Vorfälle konsequent aufarbeite.

Der Zentralrat der Juden wies auf X am Sonntagabend darauf hin, dass bei der Berlinale „schon wieder eine der wichtigsten Kulturveranstaltungen in Deutschland für ideologische Hetze gegen Israel und Juden missbraucht“ wurde. Damit spielt der Zentralrat wohl auf die vergangene documenta fifteen im Jahr 2022 an, die vom Umgang mit als antisemitisch kritisierter Kunst überschattet wurde.

Israels Botschafter: Antisemitische Rhetorik bei Berlinale

Ron Prosor, Botschafter Israels in Deutschland
Ron Prosor, Botschafter Israels in Deutschland © dpa | Fabian Sommer

Israels Botschafter machte der „deutschen Kulturszene“ heftige Vorwürfe. „Antisemitische und israelfeindliche Äußerungen“ seien mit tosendem Applaus bedacht worden, schrieb Ron Prosor auf X. „Es scheint, dass die Lektion aus der Documenta nicht begriffen wurde. Unter dem Deckmantel der Rede- und Kunstfreiheit wird antisemitische und antiisraelische Rhetorik zelebriert.“

Die deutsche Kulturszene rolle den Roten Teppich „ausschließlich für Künstler“ aus, die sich für „Israels Delegitimierung“ einsetzen. Prosor forderte: „Ihr Schweigen, sogenannte Kultur-Elite, ist ohrenbetäubend! Es ist an der Zeit, Ihre Stimme zu erheben und dieser grotesken Scharade eine Absage zu erteilen. Handeln Sie jetzt, oder seien Sie für immer Teil dieses beschämenden Erbes.“ dpa/BM

Preisträger der 74. Berlinale im Überblick:

  • Goldener Bär für den besten Film: „Dahomey“ von Mati Diop
  • Silberner Bär Großer Preis der Jury: „Yeohaengjaui pilyo“ („A Traveler‘s Needs“) von Hong Sangsoo
  • Silberner Bär Preis der Jury: „L‘Empire“ von Bruno Dumont
  • Silberner Bär für die beste Regie: Nelson Carlos De Los Santos Arias für „Pepe“
  • Silberner Bär für die beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle: Sebastian Stan in „A Different Man“
  • Silberner Bär für die beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle: Emily Watson in „Small Things Like These“
  • Silberner Bär für das beste Drehbuch: Matthias Glasner für „Sterben“
  • Silberner Bär für herausragende künstlerische Leistung: Kameramann Martin Gschlacht für „Des Teufels Bad“

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