Wien/Berlin. Er war ein Titan – auf der Bühne wie beim Film. Jetzt ist der Schauspieler Peter Simonischek im Alter von 76 Jahren gestorben.

Für seine berührendste Rolle brauchte er eine zottelige Langhaarperücke und ein falsches Gebiss. Scherzartikel, die man eher für Krachboulevardtheater einsetzen würde. Und er machte sich damit buchstäblich zum Affen. Aber in Maren Ades gefeiertem Film „Toni Erdmann“ brauchte der Alt-68er, den Peter Simonischek da spielte, genau diese Requisiten, diese Verstellung, um sich seiner ihm entfremdeten, karrieristischen, überstrengen Tochter, brillant verkörpert von Sandra Hüller, zu nähern.

Sein größter Kinoerfolg: mit falschem Gebiss und struppiger Perücke in Maren Ades Film „Toni Erdmann“ an der Seite von Sandra Hüller.
Sein größter Kinoerfolg: mit falschem Gebiss und struppiger Perücke in Maren Ades Film „Toni Erdmann“ an der Seite von Sandra Hüller. © pA/AP Photo | Komplizen Film

Der Mann, der im Laufe seines Lebens zahllose Kinder unterrichtet und angewiesen hat, braucht diese unbeholfenen Mittel, um seinem eigenen Kind spät zu zeigen, was er ihr nie hat sagen können: dass er sie liebt.

Mit falschem Gebiss in „Toni Erdmann“, vor leerem Gemälde in Rezas „Kunst“

Sonst hatte Peter Simonischek solche Quatschutensilien nicht nötig. Seine massige, riesige Gestalt und die markante, sonore Stimme reichten aus, um die Bühne zu füllen und sein Publikum in Beschlag zu nehmen. Und mit seinen 1,90 Meter überragte er so ziemlich jeden, der neben ihm spielte. Da musste man sich buchstäblich aus seinem Schatten befreien. Nun aber ist der große Theater- und Filmschauspieler mit 76 Jahren gestorben. Ein Titan tritt da von der Bühne der Welt.

Den Berlinern ist er vor allem in Erinnerung durch sein langjähriges Wirken an der Schaubühne, der er über zwei Dekaden, von 1979 bis 1999 angehörte und wo er in so legendären Inszenierungen wie Tschechows „Drei Schwestern“, Schnitzlers „Der einsame Weg“ oder Kleists „Amphitryon“ mitspielte.

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Unvergessen auch, wie er hier mit Udo Samel und Gerd Wameling 1995 die deutsche Erstaufführung von Yasmina Rezas Komödie Kunst“ spielte: ein Stück über drei Freunde, die sich über ein Gemälde streiten, das nichts zeigt als eine leere, weiße Leinwand, und die Frage, ob das wirklich Kunst ist. Bei der Premiere argwöhnten noch einige, das Stück sei zu seicht für die hehre Schaubühne. Doch sie wurde zum Bühnenhit. Und die Drei spielten es auch noch, als sie alle längst nicht mehr an der Schaubühne waren. Spielten es dann ab dem Jahr 2000 am Renaissance-Theater.

Und nicht wenige Zuschauer kamen ein zweites, ein drittes, ein x-tes Mal, um diese drei Hochkaräter des deutschsprachigen Theaters in diesem saukomischen Stück zu sehen. Im September 2018 fiel dann, nach fast einem Vierteljahrhundert, zum 432. und wirklich allerletzten Mal der Vorhang für diese Inszenierung. Ein großer, aber natürlich auch trauriger Abschied. Man hatte damals schon ein bisschen Angst um einen der anderen Schauspieler. Aber nun ist es Simonischek, der Älteste, der aber noch am vitalsten wirkte, der als Erster geht.

Wäre es nach dem Vater gegangen, wäre er Zahnarzt geworden

Die bloße, weiße Leinwand aber, um die es in „Kunst“ geht, ist irgendwie auch eine Metapher auf Simonischek. Denn er brauchte keine großen Verstellungen oder Masken, um in Figuren aufzugehen. Er machte sie sich einfach so zu eigen. War eine solche Leinwand. Ist das Kunst? Diese Frage stellte sich bei ihm nicht.

Peter Maria Simonischek, am 6. August 1946 in Graz geboren, war Sohn eines Zahnarztes. Insofern ist das Scherzgebiss in „Toni Erdmann“ auch eine Replik an den eigenen Vater. Der wollte eigentlich, dass sein Sohn Medizin studierte. Und zwang ihm, als der sich weigerte, eine Ausbildung zum Zahntechniker auf. Der aber fiel in der Gesellenprüfung durch, weil er den praktischen Teil nicht bestand: Die Goldkrone, die er anfertigen musste, bestand den Zungen-Ansaugtest nicht.

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Ein Bühnen-Hit über 23 Jahre: Gerd Wameling, Peter Simonischek und Udo Samel (v.l.) in Yasmina Rezas Komödie „Kunst“.
Ein Bühnen-Hit über 23 Jahre: Gerd Wameling, Peter Simonischek und Udo Samel (v.l.) in Yasmina Rezas Komödie „Kunst“. © (c) Martin Walz

Das klingt wie eine grandiose Theater-Anekdote. Und den Zungenbrecher muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Aber was für ein Glück für den Rest der Welt! Denn längst war bei dem Filius die Liebe zum Theater und zum Schauspiel entbrannt. Schon während der Ausbildung hatte er sich heimlich in seiner Heimatstadt an der Akademie für Musik und darstellende Kunst angemeldet.

Und dass er diesen Beruf gegen den erklärten Willen der Eltern ergriff, daran war der Vater selbst nicht ganz unschuldig. Er hat ihn früh mit ins Theater mitgenommen, in eine „Hamlet“-Aufführung. Und „nach diesem ,Hamlet‘“, bekannte er gern, „war ich verloren.“

Froh über den Gastarbeiter-Status: „Wenn Sie fremd sind, strengen Sie sich mehr an“

Der Österreicher galt zunächst nichts im eigenen Land. Erste Engagement führten in ihn die Schweiz, nach St. Gallen und Bern, und dann nach Deutschland, nach Darmstadt und Düsseldorf. Bis der Ruf nach Berlin kam. An die Ruppigkeit der Stadt musste er sich erst mal gewöhnen, wie er gestand. Aber er war auch ganz froh, nicht im behüteten Österreich zu wirken, sondern quasi mit Gastarbeiter-Status. Denn, so seine Begründung: „Wenn Sie fremd sind, strengen Sie sich mehr an.“

Aber dann übernahm er auch immer wieder Gastrollen bei den Salzburger Festspielen, wo er schließlich, von 2002 bis 2009, die Rolle spielte, die jeder österreichische Schauspieler, der auf sich hält, spielen muss: Hofmannsthal Jedermann.

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Keiner spielte den Jedermann häufiger als er: Peter Simonischek bei den Salzburger Festspielen, hier 2003 mit Veronica Ferres als Buhlschaft.
Keiner spielte den Jedermann häufiger als er: Peter Simonischek bei den Salzburger Festspielen, hier 2003 mit Veronica Ferres als Buhlschaft. © dpa | Hans Klaus Techt

Keiner hat diese Rolle öfter gespielt als Simonischek, der dabei nicht weniger als vier verschiedene Buhlschaften an seiner Seite hatte. Und 1999, als mit Thomas Ostermeier eine neue Ära an der Schaubühne begann und viele der alten Stars das Haus verließen, ging der Österreicher ans Wiener Burgtheater, wo er vor vier Jahren per Staatsakt zu dessen Ehrenmitglied ernannt wurde. Eine Art späte Heimholung.

Immer wieder spielte Simonischek aber auch vor der Filmkamera, die wie gemacht war für seine bloße Präsenz. Kaum eine Krimiserie, in der er nicht mal mitgespielt hätte. Aber auch große Dramen wie „Fürchten und lieben“ (1987) von Margarethe von Trotta oder Hans Steinbichlers „Hierankl“ (2003), wo er neben einem anderen großen Grantler, Joseph Bierbichler, spielte.

Zuhaus bewahrte er nicht nur seine Preise auf, sondern auch die „Toni Erdmann“-Zähne

Für „Toni Erdmann“ wurde er 2017 mit dem Deutschen Filmpreis , und, als erster österreichischer Schauspieler, mit dem europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Sein letzter Kinoauftritt war kürzlich in Lars Kraumes Drama über deutsche Kolonialverbrechen, „Der letzte Mensch“. Bei der Premiere war er schon deutlich abgemagert und sichtlich gezeichnet. Nun ist er am Montag in Wien gestorben, im Kreis seiner Familie. Nach, wie es heißt, kurzer, schwerer Krankheit

Anders als sein Vater hat Simonischek den Wunsch seines SohnesMax Simonischek unterstützt. Auch der ist längst Schauspieler. Und in seiner Wiener Altbauwohnung hat Peter Simonischek nicht nur seine vielen Auszeichnungen aufbewahrt, darunter auch den Grimme-, den Nestroy-, den Ernst-Lubitsch-Preis. Sondern auch acht Gebisse und die filzige Perücke aus „Toni Erdmann“.