Tim Braune über die Bedeutung der Steuerschätzung.

Kitt besteht zu 85 Prozent aus Schlämmkreide und zu 15 Prozent aus Leinöl. Altkanzler Gerhard Schröder erzählte einmal über seine Kindheit in bitterer Armut, er habe Fensterkitt fressen müssen. Ganz so schlimm kommt es für die heutigen Akteure an der Spitze der Koalition nach der neuesten Steuerschätzung nicht. Doch der Kitt, der das schwarz-rote Fenster im politischen Rahmen hält, bröckelt. Viele Bruchstellen wurden bislang mit Milliarden einfach zugekleistert. Die Delle bei den Steuereinnahmen, die sich unverändert auf Rekordniveau bewegen, ist keine Katastrophe. Aber sie engt politische Spielräume ein.

Sind CDU, CSU und SPD mutig genug, sich von lieb gewonnenen Forderungen zu trennen? Der von der SPD geplante Griff in die Rentenkasse, um die Grundrente zu bezahlen, wäre ein Sündenfall, den künftige Generationen teuer bezahlen müssten. Wird die CDU ihren „Evergreen“ Angela Merkel nach der Europawahl opfern, damit Annegret Kramp-Karrenbauer die Hauptrolle im Kanzleramt spielen darf? Wann erwischt es bei der SPD An­drea Nahles, deren Einschaltquote nach der Sozialismus-Attacke von Kevin Kühnert noch einmal abgesackt ist? Zerbröselt der Kitt zwischen Schwarz und Rot, kursiert in Berlin schon ein Datum einer möglichen Neuwahl. Es wäre der 27. Oktober. Dann wird in Thüringen ohnehin gewählt.