Axel Lukacsek über Deutschlands größten Dopingskandal, der vor genau einem Jahr ans Licht kam.

Als die Fahnder im vergangenen Winter am Rande der Nordischen Skiweltmeisterschaft in Seefeld zuschlugen, steckte noch die Kanüle im Arm. Max Hauke war des Dopings überführt. Der österreichische Skilangläufer, der im Oktober zu einer, noch nicht rechtskräftigen, fünfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde, hatte einen Monat zuvor vor laufenden Kameras beteuert, von Doping nichts zu wissen.

Aber die Staatsanwaltschaft München setzte unverzüglich alle Hebel in Bewegung, nachdem Johannes Dürr ein paar Stunden zuvor in der ARD-Dokumentation „Gier nach Gold“ über verbotene Praktiken zur Leistungssteigerung berichtete. Vor einem Jahr, im Januar 2019, nahm der bislang größte Dopingskandal in Deutschland entscheidend Fahrt auf.

Seinen Anfang nahm er bereits vorher, und das eher schleppend. Hajo Seppelt, der Dopingaufklärer der ARD, war schon im Sommer 2018 auf die Geschichte des Skilangläufers Dürr angesprochen worden, wie der Journalist in seinem Buch „Die Feinde des Sports“ erzählt. Der 32-Jährige, der während der Winterspiele 2014 zum ersten Mal des Dopings überführt wurde, nun sein Comeback plante und ein Buch darüber schrieb, weckte jedoch zunächst nicht im Geringsten das Interesse von Seppelt. Er wollte nicht dafür herhalten, die Verkaufszahlen des Buches in die Höhe zu treiben. Aber Dürr ließ nicht locker.

Im Sommer 2018 hörte sich der Journalist in einem Berliner Restaurant im Prenzlauer Berg dann doch die Geschichte an. Der Skilangläufer zeichnete seinen verhängnisvollen Weg in den Sportbetrug nach. Der Fernseh-Journalist fand es schließlich doch ziemlich spannend, wie man als Hochleistungssportler immer tiefer in das Geflecht von Abhängigkeiten des Profisports bis in den Dopingsumpf geraten kann, wie es Seppelt selbst beschreibt.

Schon damals führte die Spur – noch unbemerkt von der Öffentlichkeit – nach Thüringen. Im Herbst 2018 drehte das ARD-Team mit sechs Kameras das Hauptinterview mit Dürr in einem kleinen Hotel in Oberhof. Aber die überraschende Wende vollzog sich ein paar Tage später. Dürr nämlich gestand zur Überraschung der Journalistencrew plötzlich, einst auch Blutdoping betrieben zu haben. Das Filmprojekt war auf dem besten Wege, zu einer Kriminalgeschichte zu werden. Auf einem Parkplatz in Luisenthal stellte man schließlich nach, wie dem jungen Österreicher in einem Auto Blut infundiert worden war.

Als die 45-minütige Dokumentation schließlich ausgestrahlt wurde, packte Johannes Dürr aus. Jedenfalls ein bisschen. Er räumte ein, dass auch ein deutscher Arzt beteiligt gewesen sei. Namen nannte er nicht. Aber in München hatte die für Doping zuständige Staatsanwaltschaft I genau zugeschaut und nahm noch am selben Tag die Ermittlungen auf. Die Operation Aderlass war geboren.

Für den Doping-Kronzeugen hatten dessen Aussagen unmittelbare Folgen. Nur fünf Tage nach der Ausstrahlung des Films wurde Dürr vernommen. Offenbar sah er sich bei seiner Aussage unter Druck gesetzt – und nannte die Namen der Hintermänner, die er vor der Kamera noch nicht preisgeben wollte. Der Erfurter Arzt Mark Schmidt, aus Sicht der Staatsanwaltschaft der Hauptverdächtige, war so ins Visier der Fahnder geraten und wurde zum Teil rund um die Uhr überwacht, bis die Beamten nur einen Monat später zuschlugen. Dem Erfurter Mediziner und vier seiner Helfer soll nun der Prozess gemacht werden.

Und Dürr? Nachdem in Erfurt und Seefeld am 27. Februar 2019 neun Verdächtige festgenommen worden waren, fiel auch das Lügengebilde des Skilangläufers zusammen. Noch während der Dreharbeiten im Herbst 2018 – so wurde später bekannt – dopte er ungeniert weiter. So etwas nennt man wohl gespaltene Persönlichkeit. Inzwischen ist er in Österreich lebenslang gesperrt.

Nun, am kommenden Montag, beginnt gegen ihn in Innsbruck der Strafprozess. Die Enthüllungen des von Erfurt aus operierenden mutmaßlichen Dopingnetzwerkes hatte er – vor genau einem Jahr – selbst ins Rollen gebracht.