Axel Lukacsek über die hitzigen Debatten um Zweifelderball.

Wenn der blaue Bock ins Spiel kam, rollte so mancher mit den Augen. Einst war es nicht nur der Titel einer, nun ja, schon damals ziemlich angestaubt wirkenden Volksmusiksendung im Westfernsehen, bei der Moderator Heinz Schenk seinen Gästen hessischen „Ebbelwoi“ servierte. Im Sportunterricht in der kleinen Eisenacher Werner-Seelenbinder-Halle sorgte der blaue Bock in den 1980er- Jahren bei manchem nicht minder für Abwehrreaktionen. Es war der Kasten mit seinen vier blau angestrichenen Beinen aus Metall, über den wir waghalsig springen mussten. Gerätturnen war selten beliebt, und selbst die meisten Sportskanonen in der Klasse sahen das so. Richtigen Spaß versprach dagegen Zweifelderball. Nicht bei allen, aber bei vielen.

Gerade nun ist eine hitzige Debatte über jene recht simple Form des Sportunterrichts entbrannt, ob nun via Twitter oder auf Facebook. Es geht einfach darum, einen Spieler auf der anderen Seite des Feldes mit dem Ball zu treffen, der dann ausscheidet. Ist niemand mehr auf dem Feld, hat die Mannschaft verloren. Für mächtigen Wirbel sorgt jetzt also eine Studie von kanadischen Wissenschaftlern aus Vancouver, die Schüler im Alter zwischen 12 und 15 Jahren zu ihren Erfahrungen aus dem Sportunterricht befragt haben. Angeblich empfinden Schülerinnen und Schüler das Spiel als Mobbing und es würde Aggressionen befeuern. Und so etwas gehöre einfach nicht in den Sportunterricht, so der Tenor. Die Diskussionen in den sozialen Netzwerken haben sogar den Deutschen Turner-Bund (DTB) auf den Plan gerufen, unter dessen Dach das Spiel als Wettkampfsport betrieben wird. Getrieben von so manch kritischem Internet-Eintrag kündigten die Sportfunktionäre an, das Spiel unter die Lupe nehmen zu wollen.

Zweifelderball wird in anderen Landstrichen auch als Völkerball oder in der Schweiz nur kurz als Völk bezeichnet und galt tatsächlich einmal als ein rituelles Kriegsspiel und sollte in der Vergangenheit die Schlacht zweier Völker widerspiegeln. Heute ist das längst niemandem mehr bewusst, schließlich steht der Spaß am Sport im Vordergrund. Vor allem die Motorik, die bei vielen Kindern immer mehr verloren geht, soll geschult werden. Gewandtheit sowie Schnelligkeit sind gefragt, Ausdauer ebenso und Fangen wie Werfen sind auch von Vorteil. Dass es dabei auch Verlierer und Gewinner gibt, liegt in der Natur der Sache.

Aber ist das nicht im Schulalltag generell so? Die Mathematik-Genies – wer weiß, wie die das hinbekommen haben – waren stets viel eher fertig, als die Schüler, die nicht so problemlos mit Zahlen jonglieren konnten. War das dann auch Mobbing? Die Frage ist wohl, wie die Pädagogen jene Kinder und Jugendliche motivieren, trotz ihrer Schwächen auch Erfolgserlebnisse zu feiern. Ob nun in der Mathematik oder beim Zweifelderball.

Tatsächlich muss man heute nicht alles gut finden, was einst so passierte. Der Sportunterricht damals in Eisenach hatte eine aus heutiger Sicht wohl ziemlich pietätlose Note. In den oberen Klassen wurde nämlich nicht mehr mit dem Ball geworfen, sondern mit einem der sowjetischen Handgranate namens F1 nachempfundenen Gerät. Entschärft versteht sich. Und weil man für jene Disziplin viel Platz benötigt, flogen die Dinger eben gleich neben der Sporthalle auf dem Alten Friedhof in Eisenach, der 1867 seine ursprüngliche Funktion verlor, aber ja weiterhin Ruhestätte ist.

Aber Zweifelderball, wie es in der DDR hieß, aus dem Sportunterricht verbannen? Die Sportlehrerinnen damals haben es durchaus verstanden, solche Werte wie Fairness oder Ehrlichkeit im Zuge dieses Spiels zu vermitteln. Es stimmt. Ein Körpertreffer – und man ist raus. Aber niemand wurde ins Abseits geschoben. Nicht erst gestern wurden die Regeln des alten Kriegsspiels abgewandelt. Denn jeder abgeschossene Spieler darf vom Feldrand durch eigene Treffer ins aktive Geschehen zurückkehren.

Ja, es stimmt. Es gibt ganz sicher auch Kinder oder Jugendliche, die ihre Aggressionen ausleben und schwächere Kinder vielleicht sogar demütigen. Nicht nur im Sportunterricht. Entscheidend ist, was der Sportlehrer daraus macht. Immerhin wird Völkerball sogar auch in mancher psychiatrischen Klinik als therapeutische Maßnahme angeboten.

Wenn wir Völkerball aus dem Unterricht wirklich verbannen wollten, wo müssten wir dann weitermachen? Beim Fangenspielen, bei dem wohl jedes Kind schon seinen Spaß gehabt hat? Dort verliert auch immer der Langsame.