Axel Eger über Vereinstreue.

Von Alex Meier ist überliefert, dass er in seinem indischen Stammrestaurant in Frankfurt die Speisekarte nie brauchte. Chicken Chilli oder Mango-Curry – warum was Neues ausprobieren, wenn er Gutes gefunden hatte? Auch auf dem Fußballrasen blieb der Mann mit dem Zopf anderthalb Jahrzehnte beim gleichen Angebot. 14 Jahre bei der Eintracht, das besitzt Seltenheitswert in einer Branche, in der der Wechsel das einzig Beständige ist. Oder, wie es einst Andy Möller, der Visionär des einigen Europas verkündete: egal, ob Mailand oder Madrid – Hauptsache Spanien.

Ein anderer Frankfurter, Karl-Heinz Körbel, mit 602 Bundesligaspielen für die Hessen die Inkarnation der Vereinstreue schlechthin, bestätigt Meiers Ansicht. „Es hat sich gelohnt, über eine so lange Zeit bei einem Verein zu bleiben“, sagt der treue Charly, „das ist mein Kapital geworden. Damals wusste ich das nicht, aber heute weiß ich es.“ Für kein Geld der Welt möchte er das missen.

Natürlich: Die Fluktuation, die ständigen Wechsel der Spieler gab es vor 30, 40 Jahren noch nicht so wie heute. Die Traditionsvereine hatten über Jahre hinweg nahezu identische Mannschaften. Erst die zunehmende Ökonomisierung des Ballbetriebes, der, wie es der Unternehmensberater Olaf Kortmann beschreibt, zur Maschinerie des Kapitalismus geworden ist, setzte das Spielerkarussell nachhaltig in Gang. Der moderne Fußball muss immer größere Umsätze generieren, um selbst finanziell zu überleben.

Einige Etagen tiefer und mit kleinerem Ball taugt der Eisenacher Daniel Luther als Muster an Verlässlichkeit. Seit April 1998, da hieß der Kanzler noch Kohl und der Bundesliga-Schützenkönig Ulf Kirsten, spielt er im blau-weißen Trikot der ThSV-Handballer. Hier fühle ich mich wohl, hat er mal gesagt, weil das Gesamtpaket passt. Und wenn er dann am vergangenen Sonnabend zum Ende seiner Karriere als erster aktiver Spieler in die Hall of Fame des Vereins aufgenommen wird, trägt ihn das Volk auf Händen.

Es scheint, als könnten nur die ganz Großen, die Messis und Ronaldos dieser Welt, den Verein wechseln wie das Handtuch. Ihnen rollen die Fans immer und überall den roten Teppich ih­rer Zuneigung aus. Ansonsten sind es die Bodenständigen, die Körbels, See­lers und Luthers, die Bonuspunkte beim Publikum sammeln.

Aus der Perspektive der Fans ist es im einen Fall die ewige Sehnsucht, dass ein kleiner Schein des großen Glanzes auch auf sie fallen möge, im anderen das Bekenntnis zur eigenen Biografie, wie der Soziologe Markus Friedrici sagt. Der Vereinsbesuch wird zum identitätsstiftenden Ritual, zum empfundenen Teil der eigenen Persönlichkeit, der die gelebte Loyalität auf die der Spieler projiziert.

Vereinstreue ist, schon mangels Alternativen, nicht einfach austauschbar. Und so kommen die Fans in Eise­nach auch in der 3. Liga in Scharen, so wie sie in Hamburg dem Zweitligisten HSV das Stadion füllen, weil eine Abkehr – und sei es nur für ein Jahr – Eingeständnis des eigenen Scheiterns wäre. Bei der Suche nach Identität ist die Spielklasse nebensächlich. Der Verein wird zur Familie, innerhalb der man im Falle des Versagens ja auch Verständnis aufbringt und Erklä­rungen für Enttäuschungen parat hat.

So sehr Veränderung, beklebt mit dem Etikett der persönlichen Selbstverwirklichung, in unserer To-Go-Gesellschaft als hip gilt, so sehr Sportler Vereinstrikots wechseln und Vorstandschefs ihre Sessel, so wenig hat das angestaubte Image der Beständigkeit an Wert verloren. Boris Groysberg, ein Wirtschaftsprofessor aus Harvard, untersuchte in einer Studie führende Investmentbanken der Wall Street und stellte fest, dass die Performance von Topbankern sank, sobald sie die Firma wechselten. Er folgerte, dass Leistung stets auch vom Gefühl der Geborgenheit abhängt, von der Gewissheit, Aura und Struktur des Unternehmens zu kennen. Es ist dieselbe Stärke, die aus dem Gefühl entsteht, in einem Verein zu Hause zu sein.

Rot-Weiß-Legende Sacco Schröder, der am Freitag verabschiedet wird, hat diese Kraft ein ganzes Leben lang bezogen. Seit fast sechs Jahrzehnten hält der inzwischen 75-Jährige den Erfurtern die Treue, nie war er anderswo Clubmitglied, eine geradezu Fritz-Walter-hafte Bedingungslosigkeit. Dem Kapitän der 54-er Weltmeisterelf hatte Atletico Madrid einst 250.000 Mark Handgeld und 10.000 Mark Gehalt geboten. „Schätzsche, was mache mer?“, fragte Walter nur kurz seine Frau – und blieb mit drei in der heutigen Welt des globalen Geldes nicht mehr denkbaren Worten auf seiner pfälzischen Scholle: dehäm is dehäm.