Dirk Pille über Mut und Angst im Handballtor.

So ein Handball ist schnell, sauschnell – und schmerzhaft, wenn er mit über 100 km/h auf der Zwölf einschlägt. Torhüter wissen, wovon ich spreche. Steht man im Handball im Tor, braucht man Mut. Den hatte ich nur im Spiel. Als Ende der Siebzigerjahre die Würfe knapp über den Scheitel aufkamen, wollten das meine Mannschaftskameraden natürlich auch im Training ausprobieren. Leider zielten sie oft ungenau, was mich erst sauer machte und dann meine einigermaßen hoffnungslose Karriere freiwillig beendete.

Heute gibt es für Kopfschüsse auch mal die Rote Karte. Schutz muss sein, schließlich steht der mutige Keeper am Ende allein auf der Linie. Unser Nordhäuser Fotografen-Kollege Christoph Keil, der im Hauptberuf Sport und Erdkunde im Lehramt in Göttingen studiert, hat mir dieser Tage seine Bachelor-Arbeit geschickt – Titel „Das komplexe Anforderungsprofil des Handball-Torhüters“. Keil ist ein Fachmann. Von der Jugend bis zu den Männern in der Thüringenliga spielte er beim Nordhäuser SV im Tor.

Die erste Überraschung erlebte unser angehender Sportlehrer, als er nach Daten der Bundesliga-Torhüter(innen) suchte. Während bei den Herren der Schöpfung Größe, Alter und Gewicht brav angegeben wurden, fehlten bei den Damen schon mal das Alter, vor allem aber die Kilos. Irgendwie logisch, denn kennen Sie eine Frau, die gern über derart intime Dinge spricht? Für Keil wären Zahlen bei den Frauen spannend gewesen, schließlich standen beispielsweise beim Thüringer HC mit Dinah Eckerle und Jana Krause ganz unterschiedliche Typen von Weltklasseformat im Tor.

Bei den Männern ist die Tendenz übrigens eindeutig. Die Keeper werden immer größer und schwerer, um so höher es in den Ligen geht. 1,95 Meter groß und 98 Kilogramm schwer ist der durchschnittliche Erstliga-Torhüter. Nur die Kreisläufer sind mit 105 Kilogramm noch gewichtiger. Der gebürtige Bad Langensalzaer Nationaltorwart Silvio Heinevetter liegt mit 1,94 Meter und 97 Kilogramm übrigens ziemlich genau im Schnitt. Unglaublich, wie sich im Handball die Schwergewichte auf der Linie fast federleicht bewegen. Bei Würfen bis zu 130 km/h haben die Torhüter ganz 0,4 Sekunden Reaktionszeit für eine Parade. Der dickste Torwart der Bundesliga wäre wohl Dejan Milosavljev gewesen. Der 1,96 Meter große Serbe wog mal 136 Kilogramm. Doch mit dem Vertrag bei den Füchsen Berlin musste er 20 Kilo abnehmen und schaffte das auch.

Spannend vor allem für Handballtrainer sind die Zahlen, die Keil beim siebten Feldspieler, der seit der Regeländerung 2016 den Handball revolutioniert, entdeckt hat. Zunächst mal müssen die Torhüter je nach Trainertaktik mächtig laufen. Im Schnitt 20 Meter hin und 20 Meter zurück sprinten sie bei jedem Wechsel vom Tor auf die Bank. Am meisten lief übrigens mit Stuttgarts Jogi Bitter (37) mit 4720 Metern der älteste Keeper.

Überraschend ist eine Analyse bei der WM 2019. Sie ergab, dass im Überzahlspiel „7 gegen 6“ vier Prozent weniger Treffer gelangen als bei gleicher Teamstärke. Die Angst vor Treffern ins verlassene Tor bremst offenbar das Risiko im Angriff. „Der Ballverlust ist immer im Kopf“, glaubt Keil. Bei den rund 40 bis 60 Angriffen pro Spiel wurde 14 Mal der Torhüter zugunsten eines Feldspielers gewechselt.

Analysen des Torwartspiels sind selten. Auch im Trainingsbetrieb gibt es Defizite. Immerhin rief der DHB zur Aktion „Halten wie die Großen“ auf. Dabei wird von Experten empfohlen, junge Torhüter vorher überall auszuprobieren. „Sie sollten wie ich Erfahrungen als Feldspieler sammeln. Schließlich ist die Abstimmung mit den Vorderleuten elementar, damit ein Torwart ein Spiel für seine Mannschaft gewinnt“, meint Keil.

Weil ich in meiner Jugend eher ein Hänfling war, musste ich auf Rechtsaußen und am Kreis auf Bälle warten. Der spätere Frauen-Nationaltrainer Dago Leukefeld war damals als Zehnjähriger auch mal mein Coach. Genutzt hat es nicht viel. Doch, einmal! Mit der Journalisten-Auswahl und mir als Kapitän haben wir vor Äonen mal die Südthüringer Kollegen haushoch geschlagen.