Jeder kennt jemanden mit einem künstlichen Knie- oder Hüftgelenk. Die Operationsmethoden haben sich kontinuierlich entwickelt.

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Ob Knie- oder Hüftgelenke – die Lebensdauer der eingesetzten Prothesen ist angestiegen, auf 20 bis 30 Jahre. Operationen mit kürzerer Dauer und kürzere Genesungszeiten – die Patenten kommen heute schneller wieder auf die Beine als noch vor 10 Jahren. Prof. Dr. Michael Müller, Leiter des Endoprothetikzentrums der Zentralklinik Bad Berka über moderne Endoprothetik, Teilprothesen und besondere Verfahren.

Gibt es die Hüfte to go?

Prinzipiell gibt es die Hüfte to go, wenn man es denn möchte und es auch möglich ist. Es ist sicher nicht für jeden Mann oder jede Frau geeignet, aber aufgrund zunehmender minimalinvasiver OP-Techniken, kürzerer OP-Zeiten, moderner Schmerztherapie und der entsprechenden präoperativen Vorbereitung, kann der Patient theoretisch am OP- oder Folgetag nach Hause gehen. Doch für jeden ist es sicherlich nicht sinnvoll, insbesondere für ältere Patienten die mehr Unterstützung und Mobilisation nach solch einer Hüft-OP benötigen.

Wie hat sich die Endoprothetik in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt?

Die moderne Endoprothetik hat sich tatsächlich in den letzten beiden Jahrzehnten sehr gut entwickelt. Die Prothesen und deren Gleitpaarungen sind haltbarer, haben modernere Oberflächen, in welche der Knochen sehr gut einwachsen kann und sind auch zum Teil, insbesondere die Schäfte deutlich kleiner bzw. kürzer geworden. Wir können insgesamt knochenerhaltender operieren und zusätzlich hat die minimalinvasive Technik dazu geführt, dass die Patienten nach der OP weniger Schmerzen haben, dass wir Muskeln und Knochen besser schonen und Blutverluste minimieren können. Dadurch sind die Patienten einfach schneller wieder mobil.

Prof. Dr. Michael Müller, Leiter des Endoprothetikzentrums der Zentralklinik Bad Berka.
Prof. Dr. Michael Müller, Leiter des Endoprothetikzentrums der Zentralklinik Bad Berka. © Zentralklinik Bad Berka

Was wird heute von den Patienten erwartet? Sie müssen schnell aktiv werden? Überfordert das nicht gerade auch die älteren Patienten?

„Müssen“, muss erst einmal niemand. Die Patienten wollen natürlich selber wieder schneller aktiv werden und sich auch schneller wieder in den Alltag - schmerzfrei und mit guter Gelenkfunktion – zurück kehren. Ebenfalls ist es aber auch der Anspruch des Mediziners, dass sein Patient nach einer OP so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommt. Für körperlich gesunde und fitte Patienten beläuft sich mittlerweile die Krankenhausverweildauer nach einer Prothesenimplantation auf 3 bis 5 Tage. Vor 15 Jahren lag diese noch bei 10 bis 14 Tagen. Für ältere Patienten kann sich natürlich die postoperative Mobilisation etwas schwieriger gestalten und für diese Patienten planen wir selbstverständlich auch längere Mobilisationsphasen im Krankenhaus ein. In Dänemark oder auch beispielsweise in den Niederlanden, werden fast alle Patienten innerhalb der ersten drei Tage aus dem Krankenhaus entlassen. Dort gibt es allerdings auch eine angepasste ambulante Nachsorge. Der Vorteil, wenn ein Patient ein paar Tage länger in der Klinik bleibt, wir können natürlich den Heilungsverlauf und die Mobilisation besser beobachten und kontrollieren. Dennoch müssen ältere Patienten nach einer Hüft- oder Knieprothesenoperation mittlerweile auch nicht mehr länger als 6 bis 7 Tage im Krankenhaus verbleiben. Das ist sehr gut.

Was ist mit der Doppelhüfte an einem Tag?

Das ist natürlich auch möglich, es kommt auf den Operateur und den Patienten an. Ich wäre hier etwas vorsichtiger mit einer sehr raschen Entlassung aus dem Krankenhaus nach doppelseitiger Prothesenimplantation und würde den Aufenthalt im Krankenhaus etwas länger planen.. Zwei Hüftendoprothesen bedeuten auch ein doppeltes Risiko für potentielle Komplikationen. Auch muss der Patient nach der OP beide Seiten voll belasten. Das ist zum Teil auch eine koordinative Herausforderung. Der Patient sollte vor der OP gut geschult und vorbereitet sein.

Früher hat man die langen Schnitte bei jedem Menschen gesehen, der eine Hüft-OP hatte, heute geht das minimalinvasiv – bei wem und was bleibt sichtbar zurück?

Das ist richtig, die Narben sind deutlich kürzer. Wichtig ist aber nicht nur der kürzere Hautschnitt, sondern das, was darunter passiert. Sehnen und Muskeln dürfen nicht verletzt und müssen maximal geschont werden. Die Schonung von Muskulatur und Sehnen bedeutet die eigentliche Minimalinvasivität. Ein sehr kurzer Hautschnitt nutzt nichts, wenn die darunter liegenden Muskelschichten zerrissen oder überdehnt werden. Das ist nicht das Ziel.

Ist ein normal muskulöser Mensch einfacher zu operieren als ein Bodybuilder?

Ja, das ist definitiv so. Ein gut durchtrainierter Sportler hat mehr Muskulatur. , Es ist deutlich herausfordernder, durch die Muskellücken der sehr kräftigen Muskulatur hindurch zu operieren.

Die künstlichen Gelenke sind belastbar, aber sicher gibt es auch dort Verschleiß, welchen Anteil hat die Revisionsendoprothetik im OP-Alltag?

Die Revisions- oder auch Wechselendoprothetik hat weiterhin ihren Stellenwert, auch wenn in den letzten Jahren der Anteil an aseptischen (Verschleiß-bedingten) Lockerungen erfreulicher Weise deutlich zurückgegangen ist. Dieser Rückgang liegt vor allem an den modernen Gleitpaarungen, die in der Regel aus einem hochvernetzten Kunststoff-Inlay und einem Keramikkopf bestehen oder auch aus einem Keramik-Inlay und Keramik-KopfDiese Gleitpaarungen haben mittlerweile so wenig Abrieb (dieser Abrieb führt zu Ansammlung von Mikropartikeln im Gewebe und dadurch langfristig, durch die einhergehenden Entzündungsreaktionen, zur Prothesenlockerung) , dass 85-90% unserer Prothesen bis zu 20 Jahre problemlos funktionieren. Aktuell sind die häufigsten Gründe für einen Wechsel die Infektionen der Prothese. Es gibt Patienten, die haben ein höheres Risiko für Infektionen, wie zum Beispiel sehr kranke Patienten, Patienten mit schlecht eingestelltem Diabetes mellitus oder Patienten mit einem Vitamin-D-Mangel. Ein weiterer Grund für eine Wechsel-OP liegt in dem Auftreten von Frakturen. Diese Frakturen sehen wir ebenfalls häufiger, da unsere Patienten immer älter werden und durch mögliche Stürze, in Kombination mit verminderter Knochenqualität, periprothetische Frakturen auftreten können.

Von der Hüfte zum Knie – nicht immer muss das gesamte Gelenk ersetzt werden, mitunter reichen Teilprothesen, sogenannte Schlitten – für wen eignet sich eine solche Therapie und welche Vorteile ergeben sich?

Das ist ein interessantes Thema. Wir sehen viele halbseitige Arthrosen, die meisten davon im innenseitigen Kniegelenk. Die Ursache dafür liegt in der, vor allem bei Männern häufiger auftretenden O-Bein-Arthrosen, das sogenannte Fußballer-Knie. Bei diesen Patienten ist es sinnvoller, anstatt des gesamten Kniegelenkes, nur den innenseitigen Verschleiß zu ersetzen. D. h. wir sehen einen Trend zur halben Prothese (Schlittenprothese) und ersetzen wirklich nur das endoprothetisch, was auch nur von der Arthrose betroffen ist. Der Vorteil: Bei der halben Prothese bleibt die natürliche Knie-Kinematik, also der natürliche Bewegungsablauf des Kniegelenks, erhalten. Die Mobilität und die Funktion sind dadurch etwas besser als bei einer kompletten Knieendoprothese. Wir operieren inzwischen bis zu 30 Prozent unserer Kniearthrosepatienten mit einer Schlittenprothese. Das waren früher nur ca. fünf Prozent.

Häufig werden Endoprothesen eingesetzt, weil die Ursprungsgelenke abgenutzt sind, eine Arthrose vorliegt – welche Ursachen bzw. Gründe gibt es noch für kaputte Gelenke?

Als Gründe haben wir z.B. angeborene Fehlstellungen, wie das O-Bein oder das X-Bein. Weitere Gründe sind Übergewicht, Sportverletzungen, Rheuma und Überbeanspruchungen. Auch Frakturen führen zu Arthrosen. Beim Hüftgelenk kann eine angeborene Hüftdysplasie oder durchlaufenen Erkrankungen im Kindesalter die Ursache für eine Arthrose sein. Dennoch wissen wir häufig nicht die Ursache, warum manche Patienten eher eine Arthrose bekommen und manche nicht. Eine erbliche Komponente spielt auch eine Rolle.

Wie anstrengend ist es, eine Hüfte zu operieren, haben Sie einen Knochenjob?

Das ist definitiv ein Knochenjob. Eine Hüft-OP ist dabei wesentlich körperlich anstrengender als eine Knie-OP: Wenn ich hintereinander vier Patienten mit einer neuen Hüftprothese operiert habe, fühle ich mich schon wie nach einem guten Kraft- oder Athletiktraining. Das ist daher auch nicht für jedermann geeignet- eine gewisse körperliche Voraussetzung ist schon notwendig.. Für die Operateure heißt das: Sie müssen viel selber für sich tun, brauchen eine gute sportliche Kondition.

Interview: Anke Geyer