Leipzig. Nach Einschätzung der Polizei trugen 90 Prozent der Teilnehmer bei der Querdenker-Demo in Leipzig keinen Mund-Nasen-Schutz. Justizministerin fordert Aufklärung.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat die Ausschreitungen bei der «Querdenken»-Demonstration in Leipzig scharf verurteilt und eine «gründliche Aufklärung» gefordert. «Was wir gestern in Leipzig gesehen haben, ist durch nichts zu rechtfertigen. Die Demonstrationsfreiheit ist keine Freiheit zur Gewalt und zur massiven Gefährdung anderer», erklärte Lambrecht am Sonntag. Eine solche Situation inmitten der Pandemie dürfe sich nicht wiederholen. Auch aus Thüringen kamen mehrere Reisebusse mit Querdenker-Teilnehmern angereist.

Tausende dicht an dicht ohne Masken seien ein Gipfel der Verantwortungslosigkeit und des Egoismus. «Jeden Tag sterben Menschen am Coronavirus. Wer diese Gefahr leugnet, stellt sich gegen den übergroßen Teil unserer Gesellschaft, der sich an Regeln hält, um sich und alle anderen zu schützen», sagte Lambrecht.

Angriffe auch auf Journalisten

Auch FDP und Grüne forderten eine Aufarbeitung des Polizeieinsatzes. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, kritisierte am Sonntag: «Es kann nicht sein, dass der Rechtsstaat quasi dabei zusieht, wie Journalisten bei ihrer Arbeit angegriffen werden und ein Großteil der Demonstranten die Auflagen erkennbar ignoriert.» Die Versammlungsfreiheit sei ein wichtiges Grundrecht, es unterliege aber auch Regeln. «Die Polizei muss mit ausreichenden Kräften vor Ort in der Lage sein, eine Versammlung konsequent zu beenden, wenn diese aus dem Ruder läuft und Regeln nicht beachtet werden.»

Grünen-Parteichef Robert Habeck sagte: «Offensichtlich waren das Innenministerium und die Polizei in Sachsen auf diese Aufgabe am Wochenende nicht vorbereitet und folglich überfordert», konstatierte Habeck am Sonntag.

Erst nicht, dann doch mitten durch die Stadt

In Leipzig hatten am Samstag mindestens 20.000 Menschen aus ganz Deutschland gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung protestiert. Zunächst verlief die Kundgebung größtenteils friedlich. Dann löste die Stadt Leipzig den Protest auf, weil viele Menschen keine Mund-Nasen-Bedeckung trugen und den Mindestabstand nicht einhielten. Doch Tausende widersetzten sich und marschierten auf dem Innenstadtring.

Die Stadt hatte die Demo eigentlich aus Infektionsschutzgründen an den Stadtrand verlegen wollen. Das Verwaltungsgericht Leipzig hatte dies bestätigt, das OVG entschied anders: Es erlaubte eine Kundgebung mit 16.000 Teilnehmern. Aufzüge blieben untersagt.

Leipzigs Polizeipräsident verteidigt Einsatz bei «Querdenken»-Demo

Der Leipziger Polizeipräsident Torsten Schultze hat das Vorgehen der Polizei bei der «Querdenken»-Demonstration am Samstag in Leipzig verteidigt. Der Einsatz habe drei Ziele gehabt: die Gewährleistung eines friedlichen Verlaufs, die Verhinderung möglicher Gewalttaten und die Durchsetzung des Infektionsschutzes, sagte Schultze in einem Videostatement.

Demnach seien die ersten beiden Ziele seien weitgehend erreicht worden, das dritte Ziel allerdings nicht. Die Versammlung war wegen der Verstöße gegen die Auflagen kurz vor 16 Uhr für aufgelöst erklärt worden. Faktisch blieben die Menschenmassen aber einfach in der Innenstadt stehen und verlangten einen Zug um den symbolträchtigen Leipziger Ring. Im weiteren Verlauf kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Querdenker-Teilnehmern und Gegnern der Stuttgarter Bewegung. Dabei wurden auch Polizisten verletzt.

Aufzüge sind laut Coronaschutzverordnung derzeit nicht gestattet. Dennoch erzwangen die «Querdenker» den Rundgang über den Ring. An der Polizeisperre sei großer Druck entstanden, sagte Schultze. Gewalt einzusetzen sei «nicht angezeigt» gewesen. «Man bekämpft eine Pandemie nicht mit polizeilichen Mitteln, sondern nur mit der Vernunft der Menschen», erklärte der Polizeipräsident.

Lesen Sie auch

Nach Demo in Leipzig: Polizeigewerkschaft mit Appell an Verwaltungsgerichte