Der Ministerpräsident gesteht Fehler ein, greift seine Kabinettsmitglieder an und kritisiert Krankenhaus-Mitarbeiter, die sich nicht impfen lassen

Der Thüringer Regierungschef ist eher nicht dafür bekannt, seine Meinung zu verbergen. Doch die Offenheit, mit der Bodo Ramelow (Linke) am Dienstag im Deutschlandfunk zur aktuellen Pandemielage Stellung nahm, war selbst für ihn ungewöhnlich.

Allerdings ist auch die Situation ungewöhnlich. Am frühen Morgen hatte sein Gesundheitsministerium die neuesten, dramatischen Zahlen gemeldet. Danach sind binnen 24 Stunden 56 Menschen mit dem Corona-Virus gestorben – ein tragischer Rekordwert für Thüringen. Dies sei eine „Zahl, die mich wirklich sehr demütig werden lässt“, sagte Ramelow. Seine gerade mal zehn Wochen alte Bemerkung, dass ja wohl nur „sehr wenige“ Menschen direkt an dem Virus stürben, wiederholte er nicht.

Insgesamt zeigte sich Ramelow vor der nächsten Videoschalte von Bund und Ländern an diesem Dienstag selbstkritisch. „Es ist zu lange von uns gedacht worden, mit einem soften Lockdown den Wellenbrecher zu kriegen“, sagte er. Er habe sich am 28. Oktober, als die damaligen Maßnahmen von den Ministerpräsidenten beschlossen wurden, „zu sehr von Hoffnungen leiten lassen, dass eine gemeinsame Kraftanstrengung und eine Schließung von Gaststätten, Hotels der Beitrag sein könnte“, um die Pandemie zu bekämpfen. Heute müsse er sagen: „Er war es nicht.“

Nicht erwähnte der Regierungschef im Deutschlandfunk, dass er zuvor sogar die Schließung von Gaststätten und Hotels abgelehnt hatte. „Wir sind medizinisch gut gewappnet, ich erwarte keinen Kollaps des Gesundheitssystems in Thüringen“, sagte er etwa am 26. Oktober dieser Zeitung.

Am 27. Oktober teilte er seinem Kabinett mit, dass er einem neuen Lockdown aus „grundsätzlichen Erwägungen“ nicht zustimmen werde. „Wir sehen, dass die Zahlen steigen und verschärfen die Einschränkungen“, sagte er. „Aber gleichzeitig sage ich: Keine Panik bitte!“

Thüringen hat große Sorgen

Erst am Tag der Ministerpräsidentenkonferenz am 28. Oktober vollzog der die Kurswende. Gut zwei Monate später räumte Ramelow nun seinen Irrtum offen ein. „Wir haben lange gedacht, das Virus macht einen Bogen um Thüringen“, sagte er im Deutschlandfunk. „Und da muss ich zugeben, dass ich mich da sehr getäuscht habe.“

Laut dem Regierungschef gelte inzwischen das Gegenteil: „Wir haben große Sorgen.“ 5200 neue Corona-Infizierte allein in der letzten Woche in Thüringen bedeuteten 570 Krankenhaus-Patienten zusätzlich in einer Woche. Damit sei „das Limit“ erreicht.

Daraus kann Ramelow nur eine Konsequenz ziehen: „Ein härterer, schärferer und klarere Lockdown ist der einzige Weg, wie wir die Infektionszahlen runtergekommen.“ Dazu gehöre auch die von ihm geforderte Einschränkung des Bewegungsradius der Menschen auf 15 Kilometer um ihren Wohnsitz.

Ramelow frustriert über Art der Kritik aus dem Kabinett

Die Kritik an dieser Maßnahme aus seinem Kabinett – von Innenminister Georg Maier, Finanzministerin Heike Taubert (beide SPD) und Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) – wies der Ministerpräsident zurück. Es habe am Sonntag eine lange Videoschalte des Kabinetts gegeben, sagte er. Dort habe er angekündigt, dass er diese Vorschläge unterbreiten werde. „Und ich erlebe dann die Kommunikationssituation, dass meine eigenen Kabinettsmitglieder die ersten sind, die dagegen ihren Protest artikulieren“, sagte er. „Öffentlich.“ Das mache ihn ein „bisschen ratlos“.

Nicht nur an dieser Stelle des Interviews klang Ramelow frustriert. „Ich habe das Gefühl, dass wir alle so unter Druck sind, dass jeder von uns sich wünscht, dass es endlich vorbei ist“, sagte er. „Aber ich muss nüchtern einschätzen, es ist gar nichts vorbei.“ In den Krankenhäusern und Altenheimen stehe man noch „vor dem größeren Teil der Herausforderung“.

Kein Verständnis für Impf-Gegner

Umso weniger Verständnis zeigte der Ministerpräsident für Mediziner und Pflegekräfte, die Impfungen ablehnten. „Wenn wir im Gesundheitsbereich, dort, wo die Patienten sind, da, wo die Infizierungen stattgefunden haben oder wo Infizierte behandelt werden, wenn wir dort erleben, dass sich ein Teil der Mitarbeiter einfach nicht impfen lässt, dann haben wir eine Situation […], dass die Behandlung am Ende daran scheitert, dass wir nicht genug Personal haben“, sagte Ramelow. Als Beispiel verwies er auf das Krankenhaus in Eisenach, dass sich von der Versorgung von Covid-19-Patienten abgemeldet habe, weil rund 100 Mitarbeiter infiziert seien oder sich in Quarantäne befänden.

Am Montagabend hatte das Gesundheitsministerium auf Twitter gemeldet, dass von den knapp 40.000 nach Thüringen gelieferten Dosen 33.715 an die Krankenhäuser gegangen seien. „Der Impfstoff soll bis Ende der nächsten Woche verimpft werden“, hieß es. Dagegen sollten in den Pflegeheimen in dieser Woche nur „rund 2000 Impfungen“ erfolgen. 2400 Menschen seien bereits geimpft worden.

Pressekonferenz am Dienstagnachmittag

Ramelow verteidigte im Deutschlandfunk die umstrittene Strategie. „Wir haben alle Krankenhäuser in Thüringen mit ausreichend Serum versorgt“, sagte er. „Dafür werden wir ja auch kritisiert, dass wir die Dosen nicht für die hohen Zahlen des schnellen Impfens zur Verfügung gestellt haben.“

Aber die Landesregierung habe eben anders entschieden, sagte der Regierungschef. „Zuerst geht es in die Krankenhäuser, damit wir dort, wo am Patienten gearbeitet wird, den höchsten Schutz organisieren.“ Das Problem sei aber: „Wenn diese Impfseren zurückgegeben werden und in die allgemeine Verimpfung gegeben werden, dann ist das zwar nett, aber leider falsch.“

Nach der erwarteten Entscheidung von Bund und Ländern über eine Verlängerung des Lockdowns will das Landeskabinett am Dienstagnachmittag die entsprechenden Beschlüsse für Thüringen fassen. Ramelow wird dazu gegen 17 Uhr in einer Video-Pressekonferenz Stellung nehmen.