Berlin. 40 Prozent der Deutschen glauben, dass Künstliche Intelligenz ihren Job gefährden könnte – doch längst nicht alle müssen sich fürchten.

Spätestens seit ChatGPT ist klar: Künstliche Intelligenz (KI) ist in unserem Alltag angekommen. Schon heute können generative KIs wie Textbots in Sekundenschnelle Texte erstellen, komplizierte Sachverhalte erklären oder Gedichte verfassen. Andere KI-basierte Programme erstellen auf der Grundlage simpler Vorgaben komplexe Bilder oder produzieren ganze Videoclips. Doch KI wird nicht nur unseren Alltag verändern – sondern auch die Arbeitswelt.

Eine aktuelle Umfrage der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG), die im „Handelsblatt“ veröffentlicht wurde, ergab, dass 40 Prozent der befragten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland Sorgen haben, dass KI ihren Arbeitsplatz gefährden könnte. Weltweit teilten 36 Prozent der Befragten diese Angst. Doch wie berechtigt sind die Befürchtungen?

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Tatsächlich ist es bisher kaum möglich, exakt vorherzusagen, wie sich die Entwicklung der künstlichen Intelligenz auf den Arbeitsmarkt auswirken wird. Bis konkrete Effekte wissenschaftlich erfasst werden können, werden nach Einschätzung von Expertinnen und Experten noch einige Jahre vergehen. Dennoch gibt es bereits jetzt erste Projektionen. „Was momentan getan wird, ist zu klassifizieren, was die KI eigentlich kann und welche Tätigkeiten sie potenziell übernehmen könnte“, erklärt der deutsche Ökonom Jens Südekum.

Experte: „Von Massenarbeitslosigkeit kann nicht die Rede sein“

Der Professor für internationale Volkswirtschaftslehre berät unter anderem die Bundesregierung auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Auf Grundlage erhobener Daten werde analysiert, in welchen Berufen aktuell Tätigkeiten ausgeübt werden, die prinzipiell auch von KI übernommen werden könnten. So kam etwa eine Untersuchung der Investment Bank Goldman Sachs Anfang des Jahres zu dem Ergebnis, dass weltweit bis zu 300 Millionen Jobs durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden könnten.

Und: Zwei Drittel der Arbeitsstellen in den USA und Europa könnten zumindest zu einem Teil von Automatisierungen durch KI betroffen sein. Die Autorinnen und Autoren der Studie weisen allerdings gleichzeitig darauf hin, dass es in bisherigen technologischen Entwicklungsschüben immer einen langfristigen Beschäftigungswachstum gegeben hätte – und damit davon auszugehen sei, dass auch im Falle von KI an anderen Stellen neue Jobs entstehen würden.

Die FUNKE-Serie zu Künstlicher Intelligenz beschäftigt sich mit den Vor- und Nachteilen der Technologie.
Die FUNKE-Serie zu Künstlicher Intelligenz beschäftigt sich mit den Vor- und Nachteilen der Technologie. © iStock | iStock/FMG

Das ist ein Bild, dass viele deutsche Expertinnen und Experten teilen. „Von einer durch technologische Entwicklungen ausgelösten Massenarbeitslosigkeit kann nicht die Rede sein“, sagt Südekum. „Es wird sicherlich viele Umwälzungen geben, weil sich Jobs verändern oder Tätigkeiten angepasst werden müssen.“ In Einzelfällen würden wahrscheinlich auch ganze Jobs wegfallen, so der Ökonom. Er gehe allerdings davon aus, dass in Summe mindestens genauso viele, wenn nicht sogar mehr neue Jobs entstehen würden.

KI wird Jobs wohl vor allem verändern – nicht ersetzen

Ganz ähnlich ist auch die Einschätzung von Michael Stops, der in dem durch das Bundesarbeitsministerium geförderten Projekt „aiconomics“ zu den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf den Arbeitsmarkt forscht. „Wir erwarten vor allem, dass sich überall da, wo KI eingesetzt werden wird, Tätigkeiten verändern werden – ohne dass ganze Jobs wegfallen“, sagt der Experte. Dieser Wandel würde nicht nur dadurch geschehen, dass einzelne Teilaufgaben von der KI übernommen werden könnten, sondern vor allem auch dadurch, dass mit der KI umgegangen und die Ergebnisse verarbeitet werden müssten. „Das bedeutet, es werden auch neue Tätigkeiten zu beobachten sein“, sagt Stops.

Schon jetzt, sagt der Experte, werde in vielen Bereichen KI eingesetzt – allerdings meist sehr spezifisch. Das sei zum Beispiel in der medizinischen Diagnostik der Fall. „Das bedeutet allerdings nicht, dass Radiologen dadurch arbeitslos werden, sondern nur, dass sich ihre Tätigkeit verändert“, erklärt Stops. Denn die Ergebnisse, die von der KI produziert werden würden, müssten verstanden, analysiert und weiterverarbeitet werden. Er ist deswegen überzeugt: „Es braucht Menschen, die die Ergebnisse der Maschine auswerten und Schlussfolgerungen daraus ziehen.“

Künstliche Intelligenz könnte vor allem Schreibtisch-Jobs verändern

Die Branchen, die die Auswirkungen von KI am deutlichsten zu spüren bekommen könnten, sind laut aktuellen Untersuchungen vor allem Schreibtisch-Jobs mit einem hohen Routine-Gehalt. So kam etwa die Goldman-Sachs-Studie zu dem Schluss, dass Büro- und Verwaltungsjobs, Rechtsberufe sowie Architektur- und Ingenieurstätigkeiten am stärksten betroffen sein könnten.

Wie verändert KI die Arbeitswelt? Einige Branchen werden vom Jobabbau betroffen sein – andere nicht.
Wie verändert KI die Arbeitswelt? Einige Branchen werden vom Jobabbau betroffen sein – andere nicht. © iStock | istock

Eine andere Untersuchung, die von den Entwicklern von ChatGPT – dem US-Unternehmen OpenAI – in Zusammenarbeit mit Forschenden der University of Pennsylvania durchgeführt wurde, ergab, dass sich vor allem Buchhalterinnen und Buchhalter, Mathematikerinnen und Mathematiker, Programmierende, Schriftstellende, Dolmetscherinnen und Dolmetscher sowie Journalistinnen und Journalisten darauf einstellen müssen, dass KI-Sprachmodelle wie ChatGPT einen Teil ihrer Aufgaben übernehmen könnten.

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„Das ist sehr interessant, weil das ganz andere Berufe sind als bei früheren technologischen Entwicklungsschüben“, sagt Ökonom Südekum. So hätte sich die Einführung von Robotern beispielsweise vorwiegend auf Arbeitende in der Produktion ausgewirkt, der Einsatz von KI könnte nun aber vor allem Berufsgruppen mit höheren Bildungsabschlüssen betreffen.

Handwerkliche und soziale Tätigkeiten wohl deutlich weniger betroffen

Deutlich weniger Effekte könnte KI auf Berufe haben, in denen soziale Interaktionen im Vordergrund stehen. Aber auch Jobs, die einen hohen Grad an Kreativität oder handwerkliche Tätigkeiten beinhalten, könnten eher weniger betroffen sein, sagt Südekum: „Das sind zum Beispiel die Bereiche Erziehung, Bildung oder Pflege sowie Handwerksberufe.“ Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch die Goldman-Sachs-Studie: Sie ergab, dass vor allem Reinigungs- und Wartungsarbeiten, Installations- und Reparaturarbeiten sowie Bauarbeiten auch zukünftig nicht von Künstlicher Intelligenz übernommen werden könnten.

Die größte Herausforderung sieht Südekum darin, den Übergang zwischen den möglicherweise durch KI ersetzten und den neu entstehenden Jobs zu bewerkstelligen. „Wir müssen eine Infrastruktur für Umschulungen, Weiterbildungen und lebenslanges Lernen etablieren“, sagt der Ökonom. Das sei auch grundsätzlich wichtig, weil sich die Arbeitswelt zukünftig nicht nur durch KI wandeln werde: „Auch durch den Klimawandel werden beispielsweise an manchen Stellen Jobs wegfallen und es muss dafür gesorgt werden, dass diese Menschen anderswo wieder Fuß fassen.“

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Auch KI-Experte Stops geht davon aus, dass ein einmaliges Lernen zu Beginn des Arbeitslebens zukünftig nicht mehr ausreichen wird. „Stattdessen sollte man sich viel mehr auf ein lebenslanges Lernen einstellen“, sagt er. Der Diplom-Volkswirt betont allerdings: „Wir sollten in jedem Fall bedenken, dass die Nutzung von Technologien kein Schicksal ist, sondern auf menschlichen Entscheidungen basiert.“ Unternehmen sollten daher abwägen, in welchen Bereichen der Einsatz von KI tatsächlich die Innovationsfähigkeit und Qualität ihrer Produkte erhöhen könne – und wo nicht.