Moskau. Nach dem Söldner-Aufstand wackelt Putins Macht in Russland. Kritik wird schon im Keim erstickt. Nun trifft es einen beliebten General.

In Russlands Armee brodelt es. Erst die Wagner-Rebellion, jetzt Kritik und Machtkämpfe innerhalb des Militärs – und alles mehr oder minder öffentlich ausgetragen auf diversen Telegram-Kanälen. Seit den ukrainischen Angriffen in der Grenzregion Belgorod hat das Vertrauen der Russinnen und Russen in ihre Armee Risse bekommen. Inzwischen halten 46 Prozent aller Russen die Kritik von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin an der Armeeführung für berechtigt.

Für Russlands Präsidenten Wladimir Putin besteht Handlungsbedarf. Jüngstes Beispiel: Die Entlassung von Iwan Popow. Ausgerechnet der Telegram-Kanal „Gray Zone“, der der Söldnertruppe Wagner von Prigoschin nahesteht, berichtete als erster von der Entlassung des Armeegenerals. Popow war Oberbefehlshaber der im Süden der Ukraine stationierten 58. Russischen Armee.

In einer Sprachnachricht bestätigte Popow: Er sei wegen seiner Kritik an der ineffizienten Kriegsführung seines Postens enthoben worden. „Ich habe die Aufmerksamkeit auf die größte Tragödie des modernen Krieges gelenkt – auf das Fehlen der Artillerieaufklärung und -bekämpfung und die vielfachen Toten und Verletzten durch die feindliche Artillerie.“

Kritik an Popows Entlassung: „Terrorakt gegen die Moral der Armee“

Derartiger Kritik wollte Wladimir Putins Generalstabschef Waleri Gerassimow wohl ein Ende setzen. Die sogenannten „Militärkorrespondenten“ – meist einflussreiche Blogger, die in sozialen Medien Vorgänge rund um das russische Militär kommentieren – reagierten empört auf die Entlassung Popows. Es sei „ein schrecklicher Schlag für die gesamte Armee“, hieß es unisono.

Auf diesem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums am Donnerstag, den 8. Juni 2023, veröffentlichten Foto ist Generalmajor Iwan Popow, Kommandeur der 58. russischen Armee, an einem ungenannten Ort zu sehen.
Auf diesem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums am Donnerstag, den 8. Juni 2023, veröffentlichten Foto ist Generalmajor Iwan Popow, Kommandeur der 58. russischen Armee, an einem ungenannten Ort zu sehen. © dpa | Uncredited

Von einem „Terrorakt gegen die Moral in der Armee“ schrieb etwa Roman Saponkow. Der General genieße „kolossale Unterstützung“ durch seine Soldaten, erklärte Michail Swintchuk, Moderator des Telegram-Kanals Rybar. Popows Entlassung „demoralisiere die Kämpfer an der Front erheblich“. Eine Kontroverse gibt es aber längst nicht mehr nur um Popow.

Heftig diskutiert wird auch, ob dessen Sprachnachricht überhaupt für die Öffentlichkeit bestimmt war – und wie sie dorthin gelangte. Veröffentlich wurde sie auf dem Telegram-Kanal des Duma-Abgeordneten Andrej Guruljow, einem früheren Armeekommandeur, der gerne auch im Staatsfernsehen auftritt. Guruljow handelte sich für die Veröffentlichung Kritik von der Kreml-Partei „Geeintes Russland“ ein. Man warnte davor, eine „Show“ aus dem Fall zu machen.

Putin: Rein rechtlich gesehen existiere die Wagner-Söldnergruppe nicht

Widerspruch kam von Andrei Kartapolow, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses in der Duma, der forderte, dass die Militärführung die angesprochenen Probleme lösen müsse. Es sei Aufgabe jedes Chefs, Probleme zu erkennen und seinen Untergebenen zuzuhören. „Deshalb glaube ich, dass das gehört und gesehen wurde und nun Maßnahmen ergriffen werden von denen, die dafür zuständig sind“, sagte Kartapolow mit Blick auf das Verteidigungsministerium, das sich selbst aber nicht äußerte.

Auch Prigoschin hatte die russische Militärführung immer wieder kritisiert. Wenige Tage nach der abgesagten Rebellion trafen er und einige seine Wagner-Kommandeure sich mit Putin. Jetzt veröffentlichte die Zeitung Kommersant Details des Gesprächs. Demnach sagte Putin: „Sie hätten sich alle an einem Ort versammeln und ihren Dienst fortsetzen können und nichts hätte sich geändert.“ Viele der Kämpfer hätten zustimmend genickt. Prigoschin hingegen habe geantwortet: „Nein, die Jungs werden mit einer solchen Entscheidung nicht einverstanden sein.“

Dieses vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums zur Verfügung gestellten Foto zeigt ein Militärfahrzeug der Gruppe Wagner vor ihrer Übergabe an das russische Militär an einem ungenannten Ort.
Dieses vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums zur Verfügung gestellten Foto zeigt ein Militärfahrzeug der Gruppe Wagner vor ihrer Übergabe an das russische Militär an einem ungenannten Ort. © dpa | Uncredited

Auf Journalistenfragen während einer Pressekonferenz, ob Wagner als Kampfeinheit weitergeführt wird, antwortete Putin später, rein rechtlich gesehen würde die Söldnergruppe Wagner nicht existieren. Prigoschin habe die Eingliederung seiner Kämpfer in die russischen Streitkräfte abgelehnt. Von Prigoschin selbst gibt es bislang keine Stellungnahme zu dem Treffen.

Russische Streitkräfte: Unmut über die eigene Militärführung

Die Entlassung und Kritik Popows, die Frage nach der Zukunft der Wagner-Söldner, fügen sich ein in das Bild, das Militärexperten inzwischen von der russischen Armee zeichnen. Demnach herrscht in großen Teilen der russischen Streitkräfte Unzufriedenheit mit der eigenen Militärführung. Angeblich wackelt auch der Posten von Generalstabschef Gerassimow.

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Unterdessen berichtet die US-Zeitung Wall Street Journal, nach der Wagner Rebellion seien mindestens 13 hochrangige russische Offiziere festgenommen und verhört worden. Die Verhaftungen seien demnach erfolgt, um „die Reihen aufzuräumen“, so eine der Quellen der Zeitung. Eine Bestätigung dafür gibt es nicht. Unklar ist weiterhin das Schicksal des Prigoschin-Vertrauten Sergej Surowikin, Gerassimows Stellvertreter als Kommandant des Militäreinsatzes in der Ukraine. Er ist verschwunden.

Russland: Vor Präsidentschaftswahl steht Putin zunehmend unter Druck

In der Öffentlichkeit wird er von seinem Vize vertreten. Von einer Verhaftung ist auch in seinem Fall die Rede. Das wiederum wollte laut Kommersant die zuständige Staatsanwaltschaft weder bestätigen noch dementieren. Es sei aber „unwahrscheinlich“, dass Surowikin in Untersuchungshaft sei. Mehr darüber wissen könnte Andrei Kartapolow, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Er sagte bislang aber nur, dass Surowikin „jetzt ruhe“ und „noch nicht verfügbar“ sei.

Vor der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr steht Russlands Präsident Wladimir Putin zunehmend unter Druck. Seine Zustimmungswerte sind zwar nach wie vor hoch, doch er muss Stärke zeigen. Ein kurzes Bad in der Menschenmenge, wie vor kurzem bei seinem Blitz-Besuch in Dagestan, genügt da nicht. Militärische Erfolge in der Ukraine müssen her.

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