Kiew. Im Krieg setzt Kiew verstärkt auf Drohnen – und produziert sie in großem Stil. Der Kopf dahinter: ein 32-Jähriger mit Fantasy-Faible.

„Heute Nacht haben Drohnen die Hauptstadt der Orks und die Krim angegriffen. Die Flugabwehr ist immer weniger in der Lage, den Luftraum der Besatzer zu verteidigen“, erklärt Mychajlo Fedorow Ende Juli auf seinem Telegram-Kanal. Als Orks bezeichnet der 32-jährige Shooting-Star der ukrainischen Politik die Russen – in Anlehnung an die fiesen Gestalten aus den „Herr der Ringe“-Romanen. Fedorow ist der Liebling von Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Fedorow hat es geschafft, Moskau mit ukrainischen Drohnen in Angst und Schrecken zu versetzen. „Was auch immer dort passierte: Es wird mehr davon geben“, drohte er den Russen. Beinahe täglich postet der Minister für Digitales, der zuvor den Wahlkampf von Selenskyj im Netz geleitet hat, Videos von Drohnen, die in russische Armeestellungen oder Militärtechnik einschlagen.

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Dass ausgerechnet Minister und Vizepremier solche Videos postet, ist weniger überraschend als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Fedorows Ministerium koordiniert das ukrainische Drohnenprogramm und ist zugleich für deren Entwicklung verantwortlich. Ob Aufklärungsdrohnen, Kurzstreckendrohnen oder Kampfdrohnen mit großer Reichweite, die sogar Moskau und das tiefere russische Hinterland erreichen könnten – Fedorow steht einer ganzen „Armee von Drohnen“ vor.

Star Wars-Schauspieler wirbt für die „Armee der Drohnen“

Das gleichnamige Entwicklungsprogramm ist in enger Abstimmung mit dem Verteidigungsministerium und dem Generalstab der ukrainischen Streitkräfte etabliert worden. Dazu gehört auch eine internationale Fundraising-Kampagne, deren Gesicht der „Star Wars“-Schauspieler Mark Hamill ist und die bis zum Frühjahr deutlich mehr als 100 Millionen Euro gesammelt hat.

Russen unter Druck?

Hinter der „Armee der Drohnen“ steht aber noch mehr: Drohnen haben sich für die Ukraine im Krieg gegen Russland als überaus nützlich erwiesen – der Bedarf an Material zum Bau ist enorm. Deshalb wurde in einem ersten Schritt die Mehrwertsteuer für die Einfuhr der benötigten Komponenten aus dem Ausland abgeschafft – und ein vereinfachtes Verfahren der Drohnenzulassung eingeführt. Letzteres hat dazu geführt, dass bereits 40 unterschiedliche ukrainische Drohnenmodelle an der Front zum Einsatz kommen. Vor einem Jahr waren es lediglich sieben.

In einem Jahr schaffte es die Ukraine zudem, 10.000 neue Drohnenpiloten auszubilden – und bildet nun 10.000 weitere aus. Innerhalb der ukrainischen Streitkräfte wurden elf reine Kampfdrohnenkompanien gegründet. Auch die Entwicklung sogenannter Seedrohnen, die offenbar sowohl die Krim-Brücke als auch das russische Kriegsschiff Olenegorskij Gornjak nahe der Hafenstadt Noworossijsk getroffen haben, fallen unter die Verantwortung des Ministeriums von Fedorow.

Fedorow: Offen zu Drohnen-Angriffen aufrufen will er nicht

„Ich befürworte jede Aktion, die uns hilft, die russische Invasion zu stoppen“, sagt der 32-Jährige zu den angeblichen ukrainischen Drohnenangriffen auf russisches Staatsgebiet. Trotz all seiner Andeutungen will er aber nicht zu Angriffen auf Moskau aufrufen. „Wir haben unsere Verteidigungskräfte, die Militäreinsätze planen“, so Fedorow gegenüber der BBC. „Unsere Aufgabe ist es dagegen, alles dafür zu tun, dass es nicht an Drohnen für militärische Zwecke mangelt.“

Mykhailo Fedorov wird mit 32 Jahren bereits als Top-Favorit für den Posten des Ministerpräsidenten gehandelt.
Mykhailo Fedorov wird mit 32 Jahren bereits als Top-Favorit für den Posten des Ministerpräsidenten gehandelt. © AFP | PATRICIA DE MELO MOREIRA

Dass Mychajlo Fedorow diese Aufgabe gut meistert, ist aber nicht der einzige Grund, warum er von ukrainischen Medien als Top-Favorit auf den Posten des Ministerpräsidenten gehandelt wird. Aktuell ist dieser Posten mit Denys Schmyhal besetzt. Dass es früher oder später zu einem Wechsel kommen wird, bezweifelt im politischen Kiew kaum jemand. An Fedorows Alter dürfte es im System Selenskyj kaum scheitern: Der ukrainische Präsident setzt gerne auf junge Gesichter, die sich bewährt haben.

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Fedorows größter Verdienst liegt in der Digitalisierung der Verwaltung – in Gestalt der staatlichen Dienstleistungsapp Dija („Aktion“), die von Ukrainern seit 2020 heruntergeladen werden kann. Was vorerst lediglich eine Art digitaler Ersatz des Personalausweises oder des Führerscheins war, ist heute eine multifunktionale App, die es binnen fünf bis zehn Minuten erlaubt, ein Unternehmen zu registrieren.

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Steuern und Strafen bezahlen oder an die Armee spenden – via Dija geht das blitzschnell und mit nur wenigen Klicks. Die App kann sogar dafür genutzt werden, die ukrainischen Streitkräfte über Bewegungen der russischen Truppen oder über vermeintliche Kollaborateure zu informieren. Die App ist so beliebt, dass es heißt, die Präsidentenpartei von Selenskyj solle sich bei den nächsten Parlamentswahlen doch am besten von „Diener des Volkes“ in Dija umbenennen.

Vater von Federow erlitt Schlaganfall während Besatzung

Eigentlich hätten die Wahlen bereits in diesem Herbst stattfinden sollen, doch aufgrund des Kriegsrechts wurden sie ausgesetzt. Sollte irgendwann ein neuer Termin stehen, könnte Fedorow das Gesicht der Partei werden. Er hat eine steile Karriere hingelegt: Vom Gründer eines erfolgreichen Werbe-Startups mit 23 Jahren zu einer der politischen Schlüsselfiguren des Landes im Alter von 32.

Die Ukraine lässt Tausende Soldaten als Drohnenpiloten ausbilden.
Die Ukraine lässt Tausende Soldaten als Drohnenpiloten ausbilden. © Global Images Ukraine via Getty Images | Global Images Ukraine

Der russische Angriffskrieg ist für Fedorow auch eine sehr persönliche Sache. Er stammt aus der Kleinstadt Wassyliwka im Bezirk Saporischschja, die von der russischen Armee besetzt ist. Seine Mutter und Großmutter konnten Wassyliwka einen Tag vor der russischen Invasion verlassen, sein Vater blieb – und überlebte in der ersten Kriegswoche einen schweren Schlaganfall. Fedorows Onkel wurde gar von den Russen entführt.

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Wie genau die beiden das von Russland kontrollierte Gebiet verlassen konnten, sagt der Minister nicht – verrät jedoch, dass es „beinahe eine Spezialoperation war“. Dass sein Vater nun unter schwerwiegenden gesundheitlichen Folgeschäden leide und das Sprechen und Lesen neu lernen müsse, werde er Russland nie verzeihen, sagt er. Scheint, als seien die Drohnen sein persönliches Vergeltungsinstrument.

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