Brüssel. Ihr Führungsstil soll der Grund sein, warum mehrere EU-Kommissare hinwerfen. Und auch wegen eines Urlaubs droht von der Leyen Ärger.

Ein knappes Jahr vor den Europawahlen im Juni 2024 wird es für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ungemütlich. Es gibt Ärger wegen eines privaten Urlaubstrips – und wenn die 64-Jährige aus der Sommerpause nach Brüssel zurückkehrt, erwartet sie ein noch größeres Problem: Wichtige Kommissare wollen ihre Posten vorzeitig aufgeben und suchen neue Aufgaben außerhalb des europäischen Politikbetriebs. Der Druck auf die Präsidentin nimmt damit zu.

Den Urlaubsärger hätte von der Leyen wohl voraussehen können. Mit Ehemann Heiko verbrachte sie rund mehrere Tage als Gast beim griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis in dessen Ferienresidenz auf der Mittelmeer-Insel Kreta. Der Premier und seine Gattin Mareva luden die von der Leyens zum gemeinsamen Dinner, zur Bootsfahrt und ins Archäologische Museum ein.

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Die ungewöhnliche Urlaubsfreundschaft in Griechenland schlägt nun Wellen bis nach Brüssel, wo es Kritik aus dem EU-Parlament gibt. Schließlich ist von der Leyens Behörde „Hüterin der EU-Verträge“ und muss die ordnungsgemäße Anwendung von EU-Recht auch in Griechenland überprüfen. Schon der Verdacht von Befangenheit kann da schaden.

EU-Kommission verteidigt umstrittene Kreta-Reise von der Leyens

Die Präsidentin und ihr Team hätten bei griechischen Spitzenpolitikern derzeit eher aufzuklären als auszuruhen, findet etwa die niederländische Europaabgeordnete und Ausschusschefin Sophie in´t Veld (Volt). Sie verweist auf illegale Zurückweisungen (pushbacks) von Asylbewerbern durch griechische Grenzbeamte, das noch nicht aufgeklärte Schiffsunglück in der Ägäis mit über 600 ertrunkenen Migranten, einen Abhörskandal gegen die Opposition und den Mord an einem Investigativ-Journalisten – zu alldem sei die EU-Kommission auffällig still.

Die Abgeordnete wirft von der Leyen einen Verstoß gegen die Neutralität vor, sie will die Angelegenheit im Parlament debattieren und die Europäische Bürgerbeauftragte einschalten. Schmallippig weist von der Leyens Behörde Kritik zurück: „Das war eine Privatreise in voller Übereinstimmung mit den Richtlinien der Kommission.“ In´t Veld dagegen fordert, von der Leyen müsse sich bei Griechenland betreffenden Themen künftig heraushalten.

Der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, will Regierungschef der Niederlande werden.
Der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, will Regierungschef der Niederlande werden. © dpa | Virginia Mayo

Aber wer sollte sie dann in der Kommission vertreten? Da beginnt von der Leyens nächstes Problem. Ein gutes Jahr vor Ablauf der Amtsperiode wollen auffallend viele Kommissare den Job kündige – mitten in einem brisanten Krisen-Mix von Ukraine-Krieg, Migrationswelle, Inflation und Energieunsicherheit. Sogar von der Leyens wichtigster Kommissar, der für die Klimapolitik zuständige Erste Vizepräsident Frans Timmermans, will seinen Hut nehmen.

Timmermans sieht die Chance, Ministerpräsident der Niederlande zu werden: Ein rot-grünes Bündnis wird den Sozialdemokraten von der Arbeiterpartei am kommenden Dienstag offiziell zum gemeinsamen Spitzenkandidaten für die Parlamentswahlen am 22. November ausrufen. Seine Erfolgsaussichten sind ungewiss, für von der Leyen ist Timmermans Wechsel in die niederländische Politik aber auf jeden Fall ein schwerer Verlust – auch wenn die beiden nie zu einem guten Team wurden.

Schwerer Verlust für von der Leyen: Zwei Vizepräsidenten wollen kündigen

Timmermans ist wichtigster Architekt des Green Deal, des zentralen Projekts der amtierenden Kommission. Einzelne Vorhaben des Klima- und Umweltpakets haben naturgemäß Widerstand hervorgerufen. Bislang hat Timmermans die Pfeile der Kritiker auf sich gezogen – auch aus von der Leyens eigener Partei, der christdemokratischen EVP. Zuletzt eskalierte der Streit beim geplanten Naturschutzgesetz, das die EVP stoppen wollte. Das gelang zwar nicht, doch fiel in Brüssel auf, wie von der Leyen vor allem ihren Stellvertreter für das gemeinsame Vorhaben kämpfen ließ und sich selbst zurückhielt.

Auf dem Sprung zur Europäischen Investitionsbank: Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager.
Auf dem Sprung zur Europäischen Investitionsbank: Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager. © AFP | John Thys

„Künftig kann es sich von der Leyen nicht mehr so einfach machen, sie steht bald selbst stärker in der Kritik“, vermutet ein hochrangiger Kommissionsbeamter. Das gilt umso mehr, als auch die zweite prominente Vizepräsidentin, Margrethe Vestager, jetzt den schnellen Ausgang sucht. Die Wettbewerbskommissarin aus Dänemark bewirbt sich als Chefin der Europäischen Investitionsbank in der Nachfolge des deutschen FDP-Politikers Werner Hoyer, der Ende des Jahres nach zwölf Jahren ausscheidet. Die Entscheidung treffen die europäischen Finanzminister, Vestagers Chancen stehen gut.

Von der Leyen soll Kommissare kaum eingebunden haben

Ihren Abschied schon genommen hat die EU-Kommissarin für Innovation und Forschung, Mariya Gabriel. Sie ist seit kurzem Außenministerin in der neuen Regierung Bulgariens. Auf dem Sprung ist offenbar auch Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski. Er verbringe auf Kosten seiner Brüsseler Amtspflichten auffallend viel Zeit in seinem Heimatland Polen, wo nach den Parlamentswahlen im Oktober Regierungsposten neu vergeben werden, erzählen Eingeweihte in der Kommission.

Und auch auf die EU-Kommissarin für internationale Partnerschaften, die Finnin Jutta Urpilainen, wird von der Leyen wohl bald verzichten müssen; Urpilainen läuft sich warm für eine Präsidentschaftskandidatur in Finnland Anfang des kommenden Jahres. Dass sich einzelne Kommissare vorzeitig aus ihren hochdotierten Ämtern verabschieden, ist nicht ungewöhnlich. Die Fluchtbewegung auch unter wichtigen Kommissionsmitgliedern, die gute Aussichten auf eine weitere Amtsperiode und vielleicht auch auf den Präsidenten-Posten hätten, ist allerdings neu.

Das liege, heißt es in der EU-Hauptstadt, zum guten Teil auch an von der Leyens Führungsstil. Statt die Kommissare einzubinden, wie es Vorgänger Jean-Claude Juncker machte, treffe sie wichtige Entscheidungen in kleinen Zirkeln mit nur wenigen engen Beratern. Immer wieder klagten Kommissare intern darüber, wie von der Leyen sie düpierte. Dieses Problem immerhin, heißt es nun spöttisch unter Kommissions-Beamten, werde durch die Abwanderungswelle von selbst immer kleiner.