Warschau. Obwohl die PiS die Wahl in Polen gewonnen hat, könnte das Ende ihrer Regierungszeit gekommen sein. Wer wird in Zukunft das Land führen?

  • Bei der polnischen Parlamentswahl am Sonntag beteiligten sich knapp 73 Prozent der Wahlberechtigten – so viele wie zuletzt 1989
  • Die nationalkonservative PiS ist stärkste Kraft geworden
  • Doch für die absolute Mehrheit könnte es nicht reichen
  • Die Opposition triumphiert

Von der großen Bedeutung, die die Wählerinnen und Wähler der Parlamentswahl in Polen zusprachen, konnte man sich am Sonntag auch in Deutschland überzeugen. Am Pariser Platz in Berlin, wo die in der Bundeshauptstadt lebenden Polinnen und Polen ihre Stimme im dort ansässigen Pilecki-Institut abgeben konnten, reichte die Schlange bis zum Brandenburger Tor. Nicht anders sah es in anderen deutschen Städten aus. Rund 110.000 in Deutschland lebende Polen hatten sich registriert, um wählen zu können. Bei den Parlamentswahlen vor vier Jahren waren es nur 50.000.

Ähnlich erfolgreich war die Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler in Polen selbst. Mit rund 73 Prozent war die Wahlbeteiligung am Sonntag so hoch wie noch nie seit der politischen Wende 1989. Bereits 2019, als noch mehr als zehn Prozent weniger zur Wahl gegangen waren, war bereits die Rede von einer großen Wahlbeteiligung gewesen. Und: 2023 könnte sie gar noch größer werden als bisher erwartet: In manchen Wahllokalen standen die Menschen noch um 22 Uhr an. Der Ansturm war während der eigentlichen Öffnungszeiten schlicht nicht zu bewältigen gewesen.

Donald Tusk sieht Wahl in Polen als „Sieg der Demokratie“

Daher ist es nicht übertrieben, wenn Donald Tusk gleich bei seinem ersten und einzigen offiziellen Auftritt am Wahlabend von einem „Sieg der Demokratie“ spricht. Der ehemalige EU-Ratspräsident, der bei der Wahl in Polen als Spitzenkandidat der Bürgerplattform „Platforma Obywatelska“ ins Rennen ging, dürfte damit aber nicht nur die hohe Wahlbeteiligung meinen.

Denn laut der ersten Prognose wurde die PiS mit 36,8 Prozent zwar stärkste Kraft – doch für eine Fortsetzung ihrer Regierung dürfte es nicht reichen. Tusks Bürgerkoalition erreichte mit 31,6 Prozent den zweiten Platz. Gemeinsam mit dem bürgerlich-konservativen Wahlbündnis „Dritter Weg“ (13 Prozent) und der Neue Linke (8,6 Prozent) würde das für 248 Sitze im Sejm reichen – und somit eine stabile Regierungsmehrheit.

Selbst eine Koalition mit der nationalistischen Konfederacja, die mit 6,2 Prozent laut ersten Prognosen ein schlechteres Ergebnis einfuhr als erwartet, würde der nationalkonservativen PiS nicht helfen. Die Zeit in Polen scheint reif für einen Machtwechsel.

Machtwechsel in Polen? „Das ist das Ende der Regierung PiS“

„Das ist das Ende der Regierung PiS“ verkündete Tusk dementsprechend enthusiastisch. Ähnlich euphorisch äußerten sich weitere Oppositionspolitiker. Der Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski, der als Kandidat der Bürgerkoalition bei den Präsidentschaftswahlen nur knapp dem Amtsinhaber Andrzej Duda (ehemals PiS) unterlegen war, sprach von einer „Rückkehr Polens“ zur Normalität und auf den „europäischen Weg“.

„Wir werden uns um alle kümmern. Wir werden Polen wieder aufbauen, wir werden Polen zum stärksten Land in Europa machen“, erklärte wiederum Wladyslaw Kosiniak-Kamysz, Vorsitzender der Bauernpartei PSL, die bei der Wahl zusammen mit der Partei „Polen 2050“ des ehemaligen Journalisten Szymon Holownia das Wahlbündnis „Dritter Weg“ bildete.

Doch so verständlich solch enthusiastische Kommentare nach der ersten Prognose sind, wäre es dennoch verfrüht, die Sektkorken knallen zu lassen. Die vergangenen Parlamentswahlen Polen haben immer wieder gezeigt, dass sich die Endergebnisse deutlich von den Prognosen unterscheiden können. Gewissheit und somit auch Klarheit über die endgültige Vergabe der Parlamentssitze gibt es erst nach der Veröffentlichung der offiziellen Zahlen durch die Wahlkommission. Dies wird bis spätestens Dienstag erwartet.

Lesen Sie auch den Kommentar:Die Wahl in Polen ist für Deutschland wichtig – und für Europa

PiS gibt sich nach Wahl in Polen kämpferisch

Dementsprechend selbstbewusst gibt sich die PiS. „Warten wir auf die weitere Entwicklung der Ereignisse. Sie können sehr interessant sein“, verkündete der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski.

„Wir sind in der Lage, mit jedem zu sprechen, der unsere Vision von Polen teilt“, sagte wiederum Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und stellte somit klar, dass man für Koalitionsgespräche offen sei. Gleichzeitig freute sich der Regierungschef über einen „historischen Sieg“, womit Marowiecki trotz des drohenden Machtverlustes nicht übertreibt: Die PiS ist die erste Partei in Polen, die drei Parlamentswahlen hintereinander gewinnen konnte.

Gibt sich nach der Wahl kämpferisch: Jaroslaw Kaczynski (Mitte), Chef der Partei PiS.
Gibt sich nach der Wahl kämpferisch: Jaroslaw Kaczynski (Mitte), Chef der Partei PiS. © Getty Images | Sean Gallup

Ernüchterung dürfte es in der PiS dennoch geben. Bedenkt man, wie die Partei die staatlichen Medien für ihre Zwecke eingesetzt, wie stark sie einen fairen Wahlkampf verhindert hat, ist das Ergebnis eine herbe Niederlage. Und dies zeigte sich auch an dem von der PiS initiiertem Referendum, über das die Polen am Wahltag abstimmten. Die Beteiligung lag bei gerade einmal 40 Prozent. Es stimmten also vorwiegend die PiS-Stammwähler ab.

Nach der Wahl: Wie geht es in Polen weiter?

Doch nicht nur wegen der derzeit noch unklaren Zahlen scheint es ratsam, zunächst noch abzuwarten. Schließlich wären es mit der Bürgerkoalition, dem Dritten Weg und der Neuen Linken gleich drei Gruppierungen, die für eine Regierung zusammenkommen müssten – und die durchaus einiges trennt. Die Differenzen zeigte sich auch vor der Wahl, als man über die Gründung einer gemeinsamen Oppositionsliste stritt.

Zu einem Hindernis könnte zudem Staatspräsident Andrzej Duda werden. Dieser ist zwar laut Verfassung überparteilich – doch nicht selten agierte er wie ein Parteisoldat der PiS. Ein Parteisoldat mit Macht. Duda kann nicht nur eine schnelle Regierungsbildung verzögern – sondern mit seinem Vetorecht auch jede Reform der möglichen neuen Regierung.