Berlin. Vor dem Bund-Länder-Treffen sorgt die Migrationspolitik für Spannungen zwischen den Ampel-Parteien – und nicht nur zwischen diesen.

Vor dem Treffen des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder am kommenden Montag sorgt das Thema Migration weiter für Spannungen in der Ampel-Koalition – und nicht nur dort. Auch zwischen Bund und Ländern knirscht es. Und Kanzler und Oppositionsführer bleiben leise im Gespräch. Ein Überblick über die Konfliktlinien:

Ampel gegen Ampel

In den vergangenen Wochen war es den Ampel-Parteien gelungen, das große Thema Migration mit vergleichsweise wenig öffentlicher Reibung anzugehen: Das Abschiebe-Paket aus dem Haus von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) schaffte es ohne großen Streit durchs Kabinett, auch auf schnellere Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerber hat man sich geeinigt. Doch am Wochenende war es vorbei mit der ungewohnten Ruhe. Da traten Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann (beide FDP) mit einem Vorstoß auf den Plan, die Leistungen für Asylbewerber zu kürzen – im Zweifel auch „quasi auf null“.

Die Grünen halten davon wenig. Co-Parteichefin Ricarda Lang warnte in dieser Woche vor einem „Überbietungswettbewerb“, bei dem es darum gehe, wer das „vermeintlich Härtere und Krassere fordert“. Irene Mihalic, parlamentarische Geschäftsführerin der grünen Bundestagsfraktion, spricht von einer „aktuellen Wettbewerbsspirale um die niedrigsten menschenrechtlichen Standards, an der wir nicht mitdrehen werden“.

Und die SPD? Zeigt sich zurückhaltend, aber nicht vollständig abgeneigt. Eine Anpassung der Leistungen für Asylbewerber „kann Sinn machen, wenn ein Verfahren sehr lange dauert“, sagt SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese dieser Redaktion. „Ich würde das nicht von vornherein ausschließen, das muss man diskutieren.“ Bei Menschen, die geduldet sind, könnten schon heute Leistungen reduziert werden. Von dieser Möglichkeit könne man mehr Gebrauch machen.

Wir können die ganze Welt für sicher erklären und lösen dabei keines der Probleme, die sich uns real stellen.
Irene Mihalic

Auch bei der Frage, ob die Maghrebstaaten Tunesien, Algerien und Marokko auf die Liste der sicheren Herkunftsländer gesetzt werden sollen, gibt es Uneinigkeit. Die FDP ist dafür, bei den Grünen ist die Skepsis groß. „Als Grüne bewerten wir Konzepte zur Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten generell kritisch“, sagt Mihalic dieser Redaktion. „Wir können die ganze Welt für sicher erklären und lösen dabei keines der Probleme, die sich uns real stellen.“ Die Regierung sollte ihre Energie besser darauf verwenden, Rücknahmeabkommen zu schließen, die es brauche, um ausreisepflichtige Menschen „effizienter abzuschieben“. Aus Regierungskreisen heißt es allerdings, es sei sinnvoll, dass die Länder Verfahren priorisieren aus Ländern mit niedrigen Anerkennungsquoten. Dazu brauche es keine Gesetzesänderung.

Bund gegen Länder

Ganz oben auf der Wunschliste der Länder für das Treffen am Montag: mehr Geld. Sie kalkulieren mit 23 Milliarden Euro Gesamtkosten, die bei Ländern und Kommunen für Unterbringung, Versorgung und Integration von Geflüchteten anfallen. Zusätzlich zu bereits zugesagten 1,25 Milliarden vom Bund fordern sie 10.500 Euro pro Person und Jahr für Asylbewerber. Auch soll der Bund künftige inflationsbedingte Steigerungen abfedern und die Kosten der Unterkunft für Geflüchtete im Bürgergeld-Bezug tragen.

Finanzminister Lindner dämpfte am Dienstag die Erwartungen – er erwarte, dass die Länder Voraussetzungen schaffen würden, die Kosten zu reduzieren, sagte er. Gemeint war damit unter anderem eine Umstellung auf Sachleistungen.

Doch vielen Länder-Chefs geht es auch darum, die Zahl der Ankommenden zu senken – am besten so weit, dass nur noch diejenigen tatsächlich nach Deutschland kommen, die auch einen rechtlichen Anspruch auf Schutz haben.

Die Verfahren, die genau das klären, sollten deshalb außerhalb Europas geführt werden, fordert Hendrik Wüst, CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Flüchtlinge sollten nach dem Aufgreifen in Europa in Partnerländer entlang der Fluchtrouten gebracht werden, „damit dort Verfahren und Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln stattfinden“, sagte Wüst der Süddeutschen Zeitung. „Der Partnerstaat soll sich dazu bereit erklären, jeden, der irregulär die See- und Landgrenzen von seinem Land in Richtung der Europäischen Union überschreitet, wieder zurückzunehmen.“

Innenministerin Nancy Faeser erteilte dem Vorschlag allerdings eine Absage. Und bislang hat auch kein nordafrikanisches Land Bereitschaft erkennen lassen, auf seinem Staatsgebiet Zentren zur Durchführung von Asylverfahren für die Europäische Union zu errichten.

Scholz gegen Merz

Wenn es nach dem Bundeskanzler geht, sollen sich beim Thema Migration am Ende nicht nur die Koalitionspartner in Berlin einig sein, und auch nicht nur Bund und Länder. Olaf Scholz strebt einen überparteilichen Konsens auch mit der Union als größter Oppositionspartei an.

Das Kalkül: Werden Beschlüsse zur Migration auch von CDU und CSU mitgetragen, kann CDU- und Unionsfraktionschef Friedrich Merz die Bundesregierung und den Kanzler kaum mehr bei diesem Thema unter Druck setzen.

Das weiß auch Merz. Zu einem Treffen im Kanzleramt vor zweieinhalb Wochen hatte er deshalb einen Forderungskatalog der Unions-Fraktion mitgebracht, der über das, was auch die unionsgeführten Länder wollen, noch hinaus geht. Darin finden sich auch Punkte wie eine Obergrenze von 200.000 Geflüchteten pro Jahr. Dem kann die Bundesregierung kaum zustimmen. Dem Vernehmen nach wollen Scholz und Merz sich am Freitag vor der MPK erneut treffen.