Berlin. Seit einem Jahr ist Oleksii Makeiev Botschafter in Berlin. Er lobt Deutschland, hat aber noch einen großen Wunsch auf seiner Liste.

Wer das Büro des ukrainischen Botschafters Oleksii Makeiev in Berlin-Mitte betritt, denkt zunächst an den Vorführraum eines Rüstungsbetriebes. Das Wort „Wunschliste“ prangt in roten Lettern an einer Wand, die mit Fotos von Waffensystemen der Bundeswehr bestückt ist. Die meisten sind mit einem Pfeil versehen – zum Beispiel der Kampfpanzer Leopard 2A7, der Schützenpanzer Marder oder der Raketenwerfer Mars II. Die Pfeile bedeuten: Abgehakt, Deutschland hat geliefert.

Aber die „Wunschliste“ hat noch freie Flächen. Links steht in Großbuchstaben „TAURUS“. Die Marschflugkörper mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern sind in der Ukraine heiß begehrt. Doch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) blockt. Er will eine „Eskalation des Krieges“ verhindern. Deutschland dürfe nicht „Teil der Auseinandersetzung“ werden, mahnte er beim EU-Gipfel Anfang Oktober.

In der Nähe seines Fitness-Studios schlug eine russische Rakete ein

Die Enttäuschung in Kiew war groß. Doch Botschafter Makeiev zeigt sich gelassen. „Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben“, sagt er. Er redet ruhig, überlegt, macht Pausen. Die Körpersprache funktioniert im Minimalmodus. Gelegentlich trägt er bei Fernseh-Interviews ein großkariertes Jackett – die Kleiderwahl ist dann oft das Auffälligste.

Reporter Jan Jessen berichtet im Podcast
Reporter Jan Jessen berichtet im Podcast "So fühlt sich Krieg an" über den Ukraine-Krieg. © Unbekannt | Unbekannt

Die Forderungen des 47-Jährigen kommen unaufgeregt daher. „Flugabwehrsysteme wie das Iris-T-System der Bundeswehr sind sehr wichtig“, erklärt er und erzählt eine Geschichte. „Ich erinnere mich noch sehr genau an den 10. Oktober 2022. Ich wollte an jenem Morgen in Kiew ins Fitnessstudio fahren, meine Frau in der Nähe des Außenministeriums joggen. Plötzlich gab es Flugalarm – und wir sind dann glücklicherweise nicht gegangen.“ An beiden Orten seien russische Raketen eingeschlagen. „Nach dem zweiten Luftalarm sind meine Frau und ich einen Kilometer zur nächsten U-Bahn-Station gelaufen, um Schutz zu suchen.“

„Die Hilfe für die Ukraine wird trotz des Krieges im Nahen Osten nicht abnehmen“

Eine Woche später kommt der designierte Botschafter in Berlin an. Auf Twitter postet er ein Selfie-Video. „Danke, Deutschland“, betont Makeiev. Er trägt einen lila Pullover. Im Hintergrund ist eine Wiese unter hellblauem Herbsthimmel zu sehen. Auch heute preist der Diplomat sein Gastland. „Die Deutschen können stolz darauf sein, was sie für mein Land geleistet haben“, unterstreicht er.

Ein Tornado-Jet mit einem davor liegenden Luft-Boden-Marschflugkörper „Taurus“.
Ein Tornado-Jet mit einem davor liegenden Luft-Boden-Marschflugkörper „Taurus“. © picture alliance / dpa | Jörg Carstensen

Doch die Terrorattacken der Hamas auf Israel und die Kämpfe im Gazastreifen haben den Ukraine-Krieg aus dem Zentrum des weltpolitischen Interesses gerückt. Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte kürzlich vor nachlassendem Beistand für sein Land: „Das ist ein Risiko nicht nur für die Ukraine.“ Makeiev hält dagegen, zumindest mit Blick auf Deutschland. „Viele Politiker in der Bundesregierung haben uns versichert, dass die Hilfe für die Ukraine trotz des Krieges im Nahen Osten nicht abnehmen wird. Das gilt auch für die Waffenlieferungen.“

Vorgänger Melnyk schoss ein verbales Dauer-Trommelfeuer gegen die Ampelkoalition ab

Makeiev ist jetzt seit gut einem Jahr im Amt. Seine Diplomatie der leisen Töne steht in starkem Gegensatz zum Kurs seines Vorgängers. Andrij Melnyk schoss in den Talkshows der Republik ein verbales Dauer-Trommelfeuer gegen die Ampelkoalition ab. Sein Vorwurf: Es würden zu wenig und zu spät Waffen an die Ukraine verschickt. Zum Eklat kam es, als er Kanzler Scholz im Mai 2022 wegen dessen Weigerung, nach Kiew zu reisen, als „beleidigte Leberwurst“ kritisierte.

Melnyk verschob in Zeiten des Krieges die Grenzen des Sagbaren und galt bei vielen in Berlin als „Undiplomat“ und Systemsprenger. Manche Ministerin und mancher Minister – so ließ er später durchblicken – seien ihm kurz nach dem russischen Einmarsch mit Gleichgültigkeit oder gar kaum verhüllter Feindschaft begegnet. Andere hätten ihn erst gar nicht empfangen.

Zu Kanzleramtsminister habe Makeiev „ein freundschaftliches Verhältnis“

Melnyk und Makeiev: Das ist wie Feuer und Wasser. Der jetzige Botschafter klagt nicht und schwärmt vom direkten Draht zu vielen Politkern im ganzen Land. „Alle Türen stehen mir offen. Ich habe festgestellt, dass ein ehrliches, aber vertrauensvolles Gespräch genau das ist, was in Deutschland gut ankommt“, meint er. So klingt Samthandschuh-Diplomatie. „Manche Ukraine-Experten in den Ministerien sagen mir schlicht und einfach: Ich bin 24 Stunden für dich da.“ Zu Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt habe er „ein enges und freundschaftliches Verhältnis“, fügt er stolz hinzu.

Bereits mit 21 Jahren trat der 1975 in Kiew geborene Politologe in den diplomatischen Dienst ein. Er spricht, wie Melnyk, fließend Deutsch. Station machte er unter anderem in den Auslandsvertretungen seines Landes in der Schweiz und Deutschland. 2014 wurde er als politischer Direktor ins Außenministerium in Kiew berufen.

Makeiev weiß, dass er Hirn und Herz der Menschen erreichen muss

Doch die Politik ist die eine Ebene, die Bevölkerung die andere. Makeiev weiß, dass er Hirn und Herz der Menschen erreichen muss, wenn er die Bereitschaft zur Ukraine-Hilfe hoch halten will. So tourt er pausenlos durchs Land. Demnächst diskutiert er in Hamburg mit dem Ostausschuss der deutschen Wirtschaft über Investitionen in der Ukraine, danach hält er ein Grußwort an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Den Schatten seines einst dauer-präsenten Vorgängers habe er abgelegt, sagt Makeiev. „Ich bin froh, dass ich nicht mehr als neuer Botschafter wahrgenommen werde. Ich glaube, die Ergebnisse sprechen für sich.“ Bei der Frage, welcher Stil besser sei, der laute oder der leise, hält er kurz inne. „Das Urteil überlasse ich den Deutschen und den Ukrainern. Wichtig ist, dass Deutschland jetzt nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine ist.“