Braunschweig. Die Jusos waren zuletzt erstaunlich brav. Beim Bundeskongress zeigt sich: Damit ist Schluss. Die Parteispitze darf sich warm anziehen.

Nach seiner Rede und der Aussprache mit den Jusos steht Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vor der Stadthalle in Braunschweig und raucht schnell noch eine Zigarette. Er wird umringt von einer Handvoll Jusos, muss noch ein paar Selfies machen.

„Und, wo musst du jetzt noch hin?“, fragt einer aus dem SPD-Nachwuchs. „Ich muss noch Familienpolitik machen“, sagt Heil. „Ich muss nach Hause.“ Die Jusos lachen. „Vielen Dank, ihr Lieben“, sagt er noch, dann steigt er in seine BMW-Limousine mit Peiner Kennzeichen.

Diese Szene vor der Stadthalle steht stellvertretend für den Auftritt von Heil bei den 300 Delegierten in der Halle. Heil kommt gut an, glättet die Wogen beim Bundeskongress. Natürlich hat er mitbekommen, dass die Jusos „lauter, kritischer, linker“ sein wollen, wie der neue Chef Philipp Türmer aus Hessen schon am Freitagabend betonte. Natürlich hat Heil auch mitbekommen, dass die Jusos wieder anstrengender sind. Wie zu Zeiten, als Kevin Kühnert noch Juso-Chef war. Die Jusos sind wieder da. Sie sind richtige Quälgeister. Unter der alten Chefin Jessica Rosenthal waren die Jusos fast schon bedächtig still, kaum mehr wahrnehmbar.

Den neuen Kurs bekommt SPD-Chefin Saskia Esken am Samstagvormittag schon zu spüren. Stellvertretend für Bundeskanzler Olaf Scholz muss sie sich deutliche Kritik anhören. Die Jusos greifen den Kanzler und die SPD an.

Jusos wollen Aufbruch sehen – keine Abschiebungen

Philipp Türmer beim Bundeskongress der Jungsozialisten (Jusos).
Philipp Türmer beim Bundeskongress der Jungsozialisten (Jusos). © DPA Images | Moritz Frankenberg

Scholz ist zwar selbst nicht da, doch er blickt von der Titelseite des Magazins „Spiegel“ auf den Kongress in Braunschweig. Die Delegierten halten das Titelblatt anklagend in die Luft. Darauf das Zitat des Kanzlers: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Doch das Wort „abschieben“ haben die Jusos mit einem dicken Strich entfernt.

Esken erinnert zu Beginn ihrer Rede daran, dass sie vor vier Jahren SPD-Vorsitzende wurde. Sie führt die Partei nun gemeinsam mit Lars Klingbeil. Türmer sagt später: „Damals habe ich so etwas wie Aufbruch in dieser Partei gespürt.“ Er ergänzt: „Liebe Saskia, ich sehe diesen Aufbruch jetzt nicht. Ich sehe nicht, wo dieser sein soll.“ Auch gegenüber Kanzler Scholz übt Türmer noch einmal Kritik: „Wir haben ja eigentlich noch einen sozialdemokratischen Kanzler. Er ist nicht wegen seines gigantischen Charismas gewählt worden, sondern als Gesicht eines sozialdemokratischen Aufbruchs.“

Was die Jusos am meisten stört? Der neue, scharfe Flüchtlingskurs von Kanzler Scholz. Dazu wünschen sie sich deutlich mehr Umverteilung, wollen Reiche in diesen Krisenzeiten stärker zur Kasse bitten.

Eine Mindestlohnerhöhung von nur 41 Cent sei „lachhaft“, so Türmer. „Es ist eine Schande, dass wir das haben durchgehen lassen.“ Die SPD sei nur ein ganz kleiner Stachel im Fleisch des Bundeskanzlers. „Das muss mehr werden. Ich erwarte von euch, von dir und Lars, dass ihr Motor seid.“

Parteichefin Esken unter Druck

SPD-Chefin Esken bekommt es mit dem frisch gewählten Juso-Vorsitzenden Türmer zu tun.
SPD-Chefin Esken bekommt es mit dem frisch gewählten Juso-Vorsitzenden Türmer zu tun. © DPA Images | Moritz Frankenberg

Auch andere Jusos nutzen die Aussprache mit Esken, um Dampf abzulassen. Die SPD sei vielerorts nur noch einstellig, sagt eine junge Frau aus NRW. „Wenn es jemals so etwas wie eine Schonfrist gab, nun ist sie vorbei“, ruft sie Esken zu.

Esken, die beim Bundesparteitag im Dezember zusammen mit Klingbeil wiedergewählt werden will, verteidigt sich. Tatsächlich sei nicht die Migration das Problem, sondern die Ungleichheit im Land. Und: „Wir haben nicht nur lauwarme Kompromisse gemacht.“ Auf der Habenseite nennt Esken: „Wir haben das Bürgergeld gegen Widerstände eingeführt. Wir haben das Wohngeld deutlich erhöht, wir bringen die Kindergrundsicherung auf den Weg.“

Das verfängt kaum. Als Esken die Halle verlässt, rufen ihr die Jusos noch ein „Refugees are welcome here“ hinterher. Ganz schön ruppig.

Arbeitsminister Heil kommt gut an

„Mein Name ist Hubertus Heil und ich will mit euch über Arbeit sprechen“, sagt der Bundesarbeitsminister zu Beginn seiner Rede ganz nüchtern. Doch Heil hat gleich eine ganz andere Bindung zu den Jusos.

Er bekommt immer wieder Applaus. Heil schießt gegen die Union, die das von ihm eingeführte Bürgergeld madig macht. Heil sagt: „20 Prozent derjenigen, die in Bürgergeld sind, sind Menschen, die in Arbeit sind, aber zu wenig verdienen. Sind die faul? Oder ist die CDU falsch gewickelt?“ Das ist Balsam für die Juso-Seele.

Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, spricht beim Bundeskongress der Jungsozialisten (Jusos).
Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, spricht beim Bundeskongress der Jungsozialisten (Jusos). © DPA Images | Moritz Frankenberg

Was auch richtig gut ankommt: Heil will ein geplantes Gesetz für mehr Tarifbindung noch in diesem Jahr vorlegen. „Öffentliche Aufträge des Bundes gehen bald nur noch an tarifgebundene Unternehmen“, sagt er. Dafür will er das Gesetz sehr bald in den Bundestag einbringen. Er nennt es das Tariftreuestärkungsgesetz.

Dann will Heil die Jusos erden. Er ruft: „Man kann sich auch untereinander fetzen. Dann muss aber auch gut sein. Dann muss man sich wieder die Hand reichen.“ Denn der echte Feind der Jusos sei natürlich nicht die SPD. Sondern das seien „die Nazis von der AfD“. Juso-Chef Türmer wird auf dem großen Bildschirm eingeblendet. Er nickt zustimmend. Doch kampfeslustig wirkt er dabei immer noch.

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