Brüssel. Durchbruch in der EU für Kurswechsel in der Asylpolitik: Mehr Kontrolle, mehr Abschreckung. Was die Reform für Deutschland bringt.

Durchbruch für eine Wende in der europäischen Flüchtlingspolitik: Die Reform des EU-Asylsystems ist beschlossen – die Europäische Union stärkt den Schutz der Außengrenzen, Flüchtlingen ohne Bleibeperspektive steht ein härterer Umgang und eine schnellere Abschiebung bevor. Das EU-Parlament und der Rat der Mitgliedstaaten einigten sich am Mittwochmorgen nach jahrelangen Verhandlungen auf einen Kompromiss zu dem Paket mit insgesamt fünf EU-Verordnungen. Die Kernpunkte des Paketes, die Folgen für Deutschland, wann es Entlastung bei Flüchtlingszahlen geben könnte.

EU-Asylreform: Registrierung bei der Einreise

Alle Nicht-EU-Bürger, die ohne Einreisegenehmigung in die EU kommen, müssen künftig ausnahmslos bereits an den EU-Außengrenzen eine Identitäts-, Sicherheits- und Gesundheitsprüfung durchlaufen. Die biometrischen Daten aus diesem Screening werden in einer großen EU-Datenbank (Eurodac) gespeichert, sodass die EU-Staaten zum Beispiel überprüfen können, ob jemand schon zum wiederholten Mal einen Asylantrag stellt.

Asyl in der EU: An den Außengrenzen beschleunigte Verfahren

Für Asylbewerberinnen und Asylbewerber wird es danach bereits an den Außengrenzen Vorprüfungen geben: Migranten, die wegen ihres Herkunftslandes erfahrungsgemäß eine gute Chance auf einen Schutzstatus haben oder zu einer besonders verwundbaren Gruppe zählen, kommen dann gleich ins eigentliche Asylverfahren – entweder im Ankunftsland oder in einem anderen Staat der EU.

Anders bei Migranten aus Staaten mit niedrigen Anerkennungsquoten (unter 20 Prozent), etwa aus Marokko, der Türkei oder Nigeria: Für diese Asylbewerber soll in einem Eilverfahren innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob ihr Antrag eine Chance hat. Während der Zeit dieser beschleunigten Grenzverfahren können die Betroffenen in Asylzentren in der Nähe der EU-Außengrenzen festgehalten werden. Wird das Asylgesuch abgelehnt, werden die Betroffenen innerhalb von drei Monaten aus der EU abgeschoben.

Die tunesische Küstenwache fängt kleine Boote mit Migranten ab, die versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, und schleppt sie zurück an die Küste der südtunesischen Stadt Sfax.
Die tunesische Küstenwache fängt kleine Boote mit Migranten ab, die versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, und schleppt sie zurück an die Küste der südtunesischen Stadt Sfax. © Khaled Nasraoui/dpa | Unbekannt

Asylreform: Kommen jetzt weniger Flüchtlinge nach Deutschland?

Wahrscheinlich weniger, aber das wird dauern. Nach Expertenschätzungen dürfte es von jetzt etwa drei Jahren dauern, bis die Grenzverfahren etabliert sind. Danach könnten in Deutschland allein wegen der Eil-Verfahren an den Außengrenzen zehntausende Asylanträge im Jahr weniger anfallen. Zudem würde durch die zentrale Datenspeicherung aller irregulären Migranten die Weiterreise nach Deutschland oder Mehrfach-Asylanträge werden so erschwert.

Die Reform dürfte insgesamt einen Abschreckungseffekt haben. Allerdings: Den größten Anteil der Asylbewerber machen in Deutschland Menschen aus Afghanistan und Syrien aus – die würden meist nicht unter die Eilverfahren fallen. Deutschland wird durch neue Solidaritätsregeln auch Verpflichtungen eingehen, unter Asylbewerber von Aufnahmeländern wie Italien und Griechenland zu übernehmen.

Lesen Sie auch den Kommentar: Wir brauchen eine neue Asylpolitik

Asylzentren: Kritiker warnen vor Inhaftierung

Für die Zeit des Verfahrens können die Asylbewerber in Transitlagern nahe den Außengrenzen festgehalten werden, juristisch werden sie so behandelt, als seien sie noch nicht in die EU eingereist. Diese „Fiktion der Nichteinreise“ würde dem deutschen Flughafenverfahren ähneln und die Abschiebung erleichtern. Das gleiche Eilverfahren gilt für Menschen, die aus einem als sicher geltenden Staat einreisen oder die bei einem Täuschungsversuch ertappt werden. Kritiker warnen aber, vielen Schutzsuchenden drohe damit die „Inhaftierung“. Laut EU-Kommission ist eine Inhaftierung aber nur im Notfall geplant. Die Überwachung abgelehnter Asylsuchender soll durch das Eurodac-Datenbank erleichtert werden.

Eine EU-Krisenverordnung sieht vor, dass bei starken Flüchtlingswellen längere Fristen für die Registrierung von Asylgesuchen möglich sind und Standards bei der Versorgung gesenkt werden können.

Die EU-Asylreform ist beschlossen: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte in den vergangenen Monaten die Einigung auf der Seite der EU-Mitgliedstaaten vorangetrieben.
Die EU-Asylreform ist beschlossen: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte in den vergangenen Monaten die Einigung auf der Seite der EU-Mitgliedstaaten vorangetrieben. © Christophe Gateau/dpa | Unbekannt

Was ist mit EU-Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen?

Im Prinzip bleibt es beim geltenden Verteilungssystem der EU, also dem Prinzip des Ersteinreisestaates – in der Praxis sind damit die Staaten an den EU-Außengrenzen weiterhin für die Durchführung der Asylverfahren zuständig sind, doch sollen die Binnenländer einen Teil der Migranten abnehmen. Bei größeren Flüchtlingsströmen sollen die Erstaufnahmeländer vor allem am Mittelmeer mit einem Solidaritätsmechanismus entlastet werden: Die EU-Staaten würden dann verpflichtet, eine bestimmte Anzahl an Schutzsuchenden über einen Verteilungsschlüssel aufzunehmen. Staaten, die keine Migranten übernehmen wollen, können sich aber teilweise von ihrer Verpflichtung mit einer Einmalzahlung freikaufen. Das Geld soll in einen EU-Fonds für Migrationsprojekte fließen.

Ungarn und vor dem jüngsten Regierungswechsel auch Polen hatten schon erklärt, sie würden nicht zahlen. Auch in Tschechien, Bulgarien und der Slowakei gibt es Bedenken. EU-Kommissarin Ylva Johansson droht ihnen mit Krach: „Wenn das Gesetz in Kraft ist, gilt es alle Mitgliedstaaten.“ Aber wahrscheinlich ist, dass es die Verweigerer auf einen Streit vor dem obersten EU-Gericht ankommen lassen werden. Bis sie tatsächlich zur Kasse gebeten werden, dürften mehrere Jahre vergehen.

Asylreform der EU: Wie sind die ersten Reaktionen?

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sprach in Brüssel von einem „wahrhaft historischen Tag“: „Europa erhält einen soliden Rechtsrahmen, der human und fair gegenüber Schutzsuchenden ist, aber gleichzeitig auch hart gegenüber jenen, die keinen Anspruch haben.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die sich in die nächtlichen Schlussverhandlungen eingeschaltet hatte, nannte das Reformpaket den „Schlüssel, um Migration insgesamt zu steuern und zu ordnen, humanitäre Standards für Geflüchtete zu schützen und die irreguläre Migration zu begrenzen.“

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nannte die Einigung „überfällig“, räumte aber ein, dass sich Deutschland in den Verhandlungen zu Ausnahmen von Kindern und Familien aus den Grenzverfahren nicht habe durchsetzen können. Die Kommunen in Deutschland begrüßten die Einigung. „Der bessere Schutz der EU-Außengrenzen und die einheitlichen Grenzverfahren könnten dazu beitragen, illegale Migration nach Europa wirksam zu begrenzen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Gerd Landsberg, unserer Redaktion. Er mahnte aber ebenso wie der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, an, bei der Umsetzung des Gesetzespakets keine Zeit zu verlieren.

Sager sagte unserer Redaktion, die Beschlüsse gingen in die richtige Richtung, könnten aber „nur ein erster Schritt hin zu einer dringend notwendigen wirksamen Begrenzung illegaler Migration sein“. Vor allem müsse verhindert werden, dass sich Menschen ohne Aussicht auf Anerkennung überhaupt auf den Weg nach Europa machten. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl zeigte sich dagegen „entsetzt“ und warnte: „Der beschlossene Abbau von Menschenrechten im Flüchtlingsschutz versperrt für viele den Zugang zu Schutz und errichtet ein System der Haftlager für Menschen, die fliehen und nichts verbrochen haben – selbst für Kinder und ihre Familien.“ Ähnlich äußerten sich Abgeordnete von Grünen und Linken im EU-Parlament. Die Linken-Migrationsexpertin Cornelia Ernst beklagte einen „historischen Kniefall vor den Rechtspopulisten“.