London. Großbritannien treibt den Flüchtlingsdeal mit Ruanda voran. In Deutschland werden ähnliche Pläne diskutiert. Doch Bedenken sind groß.

Seit Längerem gibt es im Vereinigten Königreich Pläne, Asylbewerberinnen und Asylbewerber nach Ruanda abzuschieben. Nun ist das Land einen großen Schritt hin zur Realisierung dieses Vorhabens gegangen: Das Unterhaus, eine der beiden britischen Parlamentskammern, billigte einen von Premierminister Rishi Sunak vorangetriebenen Gesetzesentwurf. Der Regierungschef forderte daraufhin auch das Oberhaus zur Zustimmung auf und sprach von einer „dringenden nationalen Priorität“.

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Asylabkommen mit Ruanda: Schon einmal ein Debakel für Sunak

Nach Willen der Regierung in London soll es künftig möglich sein, irregulär in das Vereinigte Königreich eingereiste Flüchtlinge ohne Prüfung ihres Asylantrags nach Ruanda abzuschieben. Dort soll ihnen die Möglichkeit für einen solchen Antrag gegeben werden – allerdings nur für das afrikanische Land. Eine Rückkehr nach Großbritannien wäre selbst im Fall eines positiven Asylbescheids nicht möglich.

Für Sunak drohte die Migrationsdebatte zeitweise zum Debakel zu werden: Bereits 2022 hatte sein Land ein entsprechendes Abkommen mit der Regierung in Kigali geschlossen. Doch dann erklärte das Oberste Gericht die Pläne für gesetzeswidrig. Mit dem neuen Vorstoß will die britische Regierung die Rechtslage nun so weit ändern, dass die Ruanda-Pläne umgesetzt werden könnten – ohne erneut vor Gericht zu scheitern.

Das Gericht in London stellte klar, dass jeder Einzelfall geprüft werden müsse. Grundsätzlich alle ankommenden Asylbewerber nach Afrika zu bringen, scheint damit auf Basis der aktuell geltenden Gesetze ausgeschlossen. Zudem warnte es davor, dass abgelehnte Geflüchtete oder auch straffällige Asylanten aus Ruanda in Länder abgeschoben werden könnten, in denen ihnen zum Beispiel Verfolgung droht. Medienberichten zufolge plant Großbritannien für solche Fälle nun, ruandische und britische Richter gemeinsam entscheiden zu lassen, ob die betreffende Person in Ruanda bleibt oder in das Vereinigte Königreich gebracht wird.

Ein weiterer Kritikpunkt der Richterinnen und Richter am ursprünglichen Abkommen war, dass die Behörden in Ruanda nicht zuverlässig genug seien, um Massenabschiebungen und Menschenrechtsverletzungen ausschließen zu können. Als Reaktion hat sich die britische Regierung nun von der Regierung in Kigali zusichern lassen, dass im Umgang mit Geflüchteten Mindeststandards eingehalten werden. Im Gegenzug erhielt das Land eine erste Zahlung über 163 Millionen Euro. Weiteres Geld soll für die Unterbringung und Versorgung der abgeschobenen Personen fließen.

Großbritannien plant neue Asylregeln: Ruanda soll sicherer Herkunftsstaat werden

In ihrem neuen Vorstoß will Sunaks Regierung Ruanda außerdem zu einem sicheren Herkunftsstaat erklären. Ob das Land tatsächlich als „sicher“ angesehen werden kann, ist jedoch umstritten. So schreibt das Auswärtige Amt, die Menschenrechte, insbesondere die Meinungs-, Medien- und Vereinigungsfreiheit, seien dort stark eingeschränkt. Zudem werden politische Gegner des Präsidenten laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung immer wieder illegal verschleppt oder inhaftiert.

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Der Ruanda-Plan der britischen Regierung würde also weiterhin gegen die Menschenrechte verstoßen. Im Vereinigten Königreich ist das aber möglich. Der Grund liegt in einer Besonderheit: Das Land hat keine geschriebene Verfassung. Die Menschenrechte gelten in dem Land nur aufgrund des Human Rights Acts von 1998 und damit auf Basis eines normalen Gesetzes, das nachträglich angepasst werden kann.

Asylverfahren in Drittstaaten als Möglichkeit auch für Deutschland?

Auch in Deutschland diskutiert die Politik ein Modell, bei dem Asylsuchende in Drittstaaten abgeschoben werden – damit dortige Behörden zunächst die Asylanträge bearbeiten. Die Bundesregierung prüft, ob dieser Weg rechtlich überhaupt gangbar und praktisch machbar ist. Grüne und SPD reagieren bisher noch verhalten. Die FDP zeigt sich offener.

Die Union sieht die Drittstaaten als zentrales Element in der Migrationspolitik. Im Grundsatzprogramm der CDU heißt es: „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen.“ Und: „Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren. Dazu wird mit dem sicheren Drittstaat eine umfassende vertragliche Vereinbarung getroffen.“

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Derartige Vorschläge für „Drittstaatenlösungen“ sind nicht neu, in der EU-Kommission wurden Pläne schon 2018 diskutiert. Immer wieder gibt es Ideen, Asylverfahren auszulagern. Immer wieder gibt es auch Kritik. Vor allem droht ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention, weil Schutzsuchende nicht ohne Prüfung in einen Staat abgeschoben werden können, sobald sie in einem EU-Land Asyl beantragt haben.

Menschenrechte: Asylverfahren in Drittstaaten grundsätzlich möglich

Grundsätzlich ist nach einer Prüfung des Asylantrags eine Auslagerung von Verfahren in einen Drittstaat möglich. Und: Das Recht auf Asyl legt nicht fest, in welchem Land einem Menschen dieses Recht gewährt wird. Seit 2016 schiebt Griechenland vor allem syrische Geflüchtete in die Türkei ab, die an der griechischen Küste anlanden. Dort läuft dann das Verfahren. Im Gegenzug nimmt die EU Schutzsuchende aus der Türkei auf, jedenfalls in der Theorie. Vorbild ist unter anderem Kanada: Das Land nimmt große Kontingente auf – aber eben nur Schutzsuchende, deren Antrag in einem Drittstaat bereits geprüft wurde.

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Der Migrationsforscher Gerald Knaus ist Befürworter dieses Modells. Er verweist darauf, dass die Zahl der Geflüchteten, die in Booten über das Mittelmeer nach Griechenland kamen, nach dem Türkei-Abkommen drastisch gesunken ist. Denn das ist eine der großen Sorgen in Europa: Jedes Jahr ertrinken Tausende Menschen auf der Flucht im Mittelmeer.

Können Asylverfahren in Drittstaaten verhindern, dass Asylsuchende die gefährliche Reise über das Mittelmeer antreten? Die Meinungen dazu gehen auseinander.
Können Asylverfahren in Drittstaaten verhindern, dass Asylsuchende die gefährliche Reise über das Mittelmeer antreten? Die Meinungen dazu gehen auseinander. © DPA Images | Antonio Sempere

Das Ruanda-Modell geht allerdings weiter als der EU-Türkei-Pakt: Es gibt nun keine direkte Verbindung, etwa eine Landgrenze, zu dem Drittstaat und der EU, beziehungsweise Großbritannien. Doch genau diese Verbindung zwischen Asylsuchenden und dem Drittstaat sieht die geplante EU-Asylreform vor. Und: Die Menschen sollen auch nach dem positiven Asylbescheid in dem Land bleiben. Es ist ein One-Way-Ticket aus Großbritannien in den afrikanischen Staat.

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Kann das Ruanda-Modell auch in der EU funktionieren?

Der Migrationsforscher Ruud Koopmans hebt hervor, dass die EU für das Ruanda-Modell angewiesen ist auf Staaten am Mittelmeer, vor allem Italien, Griechenland, Spanien und Zypern. Denn das sind die Länder, wo die Menschen zuerst in die EU kommen. Diese Staaten müssten sie dann in Drittstaaten abschieben.

Die Flüchtlingshelfer von Pro Asyl kritisieren mögliche Ruanda-Pläne scharf: „Die Vorschläge, die nun auch in Deutschland von der CDU kommen, sind nichts anderes als neokoloniale Politik. Frei nach dem Motto: Wir lagern alle Verantwortung für Schutzsuchende aus“, sagt der Geschäftsführer Karl Kopp unserer Redaktion. Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern, unterhöhle das deutsche und europäische Asylrecht. Hohe Gerichte in Deutschland hatten in der Vergangenheit Abschiebungen etwa nach Griechenland abgelehnt, weil dort nach Ansicht des Gerichts Standards der Menschenwürde nicht eingehalten werden. „Und nun reden wir über Abschiebungen nach Ruanda – das ist der Ausstieg aus dem Flüchtlingsschutz“, erklärt Kopp.