Berlin/Tel Aviv. Für eine mögliche Massenflucht soll aus Gaza soll Ägypten ein Lager in der Dimension der Stadt Cottbus planen. Die Details erschrecken.

Israel vermutet in der Grenzregion um Rafah die letzte Bastion der Hamas-Terroristen, die für den brutalen Überfall am 7. Oktober verantwortlich waren. Dennoch warnten die internationale Staatengemeinschaft und auch Deutschland immer wieder davor, in Rafah einzumarschieren. Nach UN-Informationen sollen sich rund 1,3 Millionen Menschen in dem südwestlichen Teil des Gazastreifens aufhalten, viele von ihnen Geflüchtete.

Zuletzt hatte ein Bericht für Aufsehen gesorgt, nachdem Israel die Zivilisten in Zeltstädte unterbringen möchte – für deren Errichtung das angrenzende Ägypten zuständig sein soll. Das Land wiederum verfolgt bei der Umsetzung nach Angaben des „Wall Street Journal“ offenbar einen radikalen Plan, um sich auf die drohende Massenflucht vorzubereiten.

Ägypten soll Lager mit hohen Mauern in der Wüste planen

Dem Medienbericht zufolge plant Ägypten ein Auffanglager, das von hohen Betonmauern umzäunt ist. In dem nahe der Grenze in der ägyptischen Wüste Sinai gelegenen Lager könnten mehr als 100.000 Menschen in Zelten untergebracht werden, berichtete die Zeitung unter Berufung auf ägyptische Beamte und Sicherheitsanalysten.

Seit Wochen versucht Ägypten, die Sicherheit entlang der Grenze zum Gazastreifen mit Soldaten, Zäunen und gepanzerten Fahrzeugen zu erhöhen, um zu verhindern, dass es zu einem Ansturm verzweifelter Palästinenser auf die Halbinsel Sinai kommt. Das geplante Lager sei Teil eines Notfallplans für den Fall, dass einer großen Zahl Palästinensern eine solche Flucht gelingt.

Eine Frau mit einem Kind, die aus einem anderen Teil des Gazastreifens geflohen ist, muss in einem Zelt bei Rafah ausharren.
Eine Frau mit einem Kind, die aus einem anderen Teil des Gazastreifens geflohen ist, muss in einem Zelt bei Rafah ausharren. © AFP | MOHAMMED ABED

Der Gouverneur der ägyptischen Region Nordsinai habe am Donnerstag erste Berichte über den Bau eines potenziellen Flüchtlingslagers für Palästinenser dementiert und erklärt, die Aktivitäten in dem Gebiet seien Teil einer Bestandsaufnahme der Häuser, die während Ägyptens vergangener Militärkampagne gegen die Extremisten des Islamischen Staates in dem Gebiet zerstört worden seien, hieß es.

Mehr zum Thema: Israel schlägt riesige Zeltlager für Rafah-Evakuierung vor

Ägypten: Lager mit 20 Quadratkilometern Fläche und Kapazität für 100.000 Menschen

Die meisten Menschen, die sich derzeit in Rafah aufhalten, flohen aus anderen Teilen des Gazastreifens vor dem Krieg, zum Teil auf Anordnung des israelischen Militärs. Im Falle eines größeren Ansturms von Palästinensern aus Gaza würde Ägypten versuchen, die Zahl der Flüchtlinge im Idealfall auf etwa 50.000 bis 60.000 zu begrenzen, auch wenn das neue Wüstenlager mit einer Fläche von rund 20 Quadratkilometern mehr als 100.000 aufnehmen könnte, berichtete die Zeitung. Das entspricht der Einwohnerzahl von Cottbus. Das geplante Lager sei weit von ägyptischen Siedlungen entfernt gelegen, hieß es. Eine große Anzahl von Zelten sei bereits dorthin gebracht worden, bislang aber nicht aufgebaut, zitierte die Zeitung ägyptische Beamte.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte dem Militär seines Landes kürzlich den Befehl erteilt, Pläne für eine Offensive in der an Ägypten grenzenden Stadt Rafah im Süden Gazas sowie für die Evakuierung der dortigen Zivilisten vorzulegen. Es gehe darum, die letzten Kampfeinheiten der Hamas zu zerschlagen. Lesen Sie auch: „Massive Operation“: Netanyahu will Rafah evakuieren lassen

Israel: US-Präsident Biden kritisiert geplanten Einsatz im Gazastreifen

Ein Vorhaben, das international aber auf wachsende Kritik stößt. Sowohl US-PräsidentJoe Biden als auch Großbritanniens Premierminister Richi Sunak telefonierten mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Biden habe in dem Gespräch seine Ansicht bekräftigt, „dass eine Militäroperation nicht ohne einen glaubwürdigen und durchführbaren Plan zur Gewährleistung der Sicherheit und Unterstützung der Zivilbevölkerung in Rafah stattfinden sollte“, teilte das Weiße Haus in der Nacht zum Freitag mit.

Auf Satellitenbildern ist zu erkennen, wie viele Menschen sich in Rafah aufhalten - viele von ihnen sind dorthin geflohen.
Auf Satellitenbildern ist zu erkennen, wie viele Menschen sich in Rafah aufhalten - viele von ihnen sind dorthin geflohen. © AFP | Handout

Ägypten hat laut dem „Wall Street Journal“ angeblich sogar gedroht, seinen Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen, sollte es zu einem Ansturm von Palästinensern aus Gaza über die Grenze kommen. Sollte sich Israel zu der Offensive entschließen, würde das Militär versuchen, die Zivilbevölkerung nach Norden – aus der Kampfzone heraus, aber innerhalb des Gazastreifens – zu verlagern, zitierte die Zeitung einen ranghohen Vertreter des israelischen Militärs.

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Netanjahu lehnt Zweistaatenlösung im Gespräch mit Biden ab

Eine Lösung für die Lage in Nahost scheint jedoch weiterhin nicht in Sicht. „Israel lehnt das internationale Diktat hinsichtlich einer dauerhaften Regelung mit den Palästinensern kategorisch ab“, schrieb Netanjahu in der Nacht zum Freitag auf X. Eine solche Regelung könne nur durch direkte Verhandlungen zwischen den Parteien und ohne Vorbedingungen erreicht werden. Israel werde sich auch gegen die einseitige Anerkennung eines palästinensischen Staates wehren. Dies würde den Terrorismus „belohnen und jede künftige Friedensregelung verhindern“, schrieb er.

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Seine Regierung verwies auf die Vereinten Nationen, die die Verteilung von Hilfsgütern verbessern sollte. Seit Tagen würden Hunderte Lastwagen-Ladungen mit humanitären Hilfsgütern am Grenzübergang Kerem Schalom nicht abgeholt, schrieb die für Kontakte mit den Palästinensern und humanitäre Hilfe zuständige israelische Cogat-Behörde am Donnerstag auf X. Hilfsorganisationen werfen Israel vor, die Verteilung von Hilfsgütern zu blockieren. Die Cogat-Behörde dementiert das. Auch Außenministerin Annalena Baerbock sprach sich am Donnerstag in Israel für deutlich mehr Hilfslieferungen aus – konkret 500 Lastwagen am Tag.

Israelische Armee kann tote Geiseln in Krankenhaus bergen

Unterdessen gehen die Militäroperationen im verbliebenen Teil des Gazastreifens weiter. Israels Armee begann nach eigenen Angaben am Donnerstag einen Einsatz in einer Klinik in Chan Junis, das wie Rafah im Süden Gazas liegt. Soldaten drangen in das Nasser-Krankenhaus ein, um Leichen von Geiseln zu bergen, teilte das Militär mit.

Es seien Dutzende Tatverdächtige festgenommen worden, sagte der israelische Militärsprecher Daniel Hagari am Donnerstagabend. Einige seien am Massaker in Israel beteiligt gewesen. Aus Verhören mit den Verdächtigen sowie dank Aussagen der freigelassenen Geiseln könne die Armee bestätigen, dass aus Israel entführte Menschen auf dem Gelände der Klinik festgehalten wurden. Es lägen zudem Information vor, dass sich dort auch Leichen von Geiseln befinden.