Berlin. In geheimer Sitzung berichtet Pistorius über die Abhöraffäre bei der Truppe. Es wird klar: Die Panne ist größer als bisher bekannt.

Es bedarf einer doppelten Nachfrage, bis Boris Pistorius ein einräumt, dass die Abhöraffäre bei der Luftwaffe um eine bedeutende Facette reicher ist als bisher bekannt. Ob sich ein zweiter Teilnehmer der ausspionierten Schalte über eine unsichere Verbindung eingewählt habe, wird der Verteidigungsminister nach einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses von Journalisten gefragt. Pistorius bestätigt das. Wer denn der Teilnehmer gewesen sei? Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz, antwortet Pistorius.

Damit erreicht die peinliche Abhörpanne die Spitze der Luftwaffe in Person. Allerdings, betont der Minister, sei es durch den Fehler des Luftwaffenchefs nicht zu einem Datenabfluss gekommen. Pistorius stellt zudem erneut klar, dass er zum jetzigen Zeitpunkt nicht an personelle Konsequenzen denkt: „Ich bin nicht gewillt, Putin hier auf den Leim zu gehen und meine besten Offiziere, ob sie hier einen Fehler gemacht haben oder nicht, an die Luft zu setzen.“

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Geheime Sitzung: Teilnehmer müssen Handys abgeben

Gut zwei Stunden vorher gießt sich Pistorius ein Glas Wasser ein, als er im Sitzungssaal 2700 im Bundestag Platz genommen hat. Vor ihm liegt eine grüne Mappe mit Unterlagen. Die Abgeordneten wollen von ihm wissen, wie es zu der für die Bundeswehr peinlichen Spähaktion kommen konnte. „Geheim“ leuchtet es an der Tür, die Teilnehmer müssen Mobiltelefone abgeben, als es an die heiklen Fragen geht. Die Abhöraktion hat Deutschland sicherheitspolitisch erschüttert.

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Russische Medien hatten den Mitschnitt einer Schaltkonferenz von Gerhartz und weiteren hohen Offizieren veröffentlicht. Darin besprachen die Militärs, wie der deutsche Marschflugkörper Taurus der Ukraine im Kampf helfen könnte. Seit dem wird diskutiert, wo Russlands Agenten überall mithören. In dem konkreten Fall ist der Schuldige ein Offizier, der sich in einem Hotel in Singapur über eine ungeschützte Verbindung einwählte, weil er das gültige Sicherheitsprotokoll missachtete.

Scholz kommt nicht in den Ausschuss

Politisch birgt der Mitschnitt Sprengstoff, weil die Luftwaffen-Experten nicht davon sprechen, dass deutsche Soldaten an der Zielprogrammierung beteiligt sein müssten, sollte die Ukraine jemals die Taurus geliefert bekommen. Genau mit diesem Argument lehnt Kanzler Olaf Scholz es ab, die Marschflugkörper an die Ukraine abzugeben. Deutschland dürfe nicht zur Kriegspartei werden. Wegen dieses Widerspruchs wollte die Union auch Scholz befragen, der Kanzler kam jedoch nicht in den Ausschuss.

Der Taurus kann 500 Kilometer weit unter dem Radar fliegen

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    Die Koalition ist in der Taurus-Frage gespalten. Die SPD gibt ihrem Kanzler Rückendeckung, FDP und Grüne wollen Taurus liefern und suchen nach Auswegen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) lockt Scholz mit einem Ringtausch, bei dem Deutschland Taurus-Marschflugkörper an Großbritannien abgibt und die Ukraine dafür weitere Flugkörper vom Typ Storm Shadow erhält. Ob er darin eine Lösung sehe, wird Pistorius gefragt. „Ich glaube nicht“, antwortet Pistorius schmallippig.

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    „Es sind noch viele Fragen offen“, zieht der Verteidigungsexperte der Union, Florian Hahn, nach der Sitzung Bilanz. Schließlich seien weder Scholz noch Gerhartz in den Ausschuss gekommen. „Wir sind sicherlich heute nicht am Ende der parlamentarischen Aufbereitung.“