Kiew. In einem ausgeklügelten Prozess produziert die Ukraine ein schlagkräftiges Waffensystem. Dass es die Technologie noch gibt, ist Zufall.

In Zeiten, in denen die Unterstützung des Westens für die Ukraine schwindet, wird die eigene Waffenproduktion für das angegriffene Land immer wichtiger. Die Ausgangslage ist nicht gut: Das Land befindet sich seit zwei Jahren in einem Abwehrkrieg, die ukrainische Volkswirtschaft ist schwer angeschlagen. Außerdem verfügt Aggressor Russland über Drohnen, Marschflugkörper und Raketen, die das gesamte Territorium des Nachbarlandes erreichen können. Deswegen findet die Eigenproduktion ukrainischer Waffen oft in unterirdischen Werkshallen oder gar in grenznahen EU-Ländern statt. Letzteres gilt insbesondere für Munition sowjetischer Kaliber, die trotz westlicher Lieferungen immer noch dringend benötigt wird.

Allein ist die aber sowieso nicht in der Lage, genug Waffen und Munition für den langen Krieg gegen Russland zu produzieren. Gleichwohl gibt es Erfolgsgeschichten. Eine davon ist die ukrainische Radhaubitze Bohdana, die nach einem ukrainischen Frauennamen benannt ist.

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    Im Sommer 2022 war es dem Einsatz der Bohdana sowie dem der französischen Haubitze Caesar zu verdanken, dass die ukrainischen Streitkräfte die russischen Besatzer von der Schlangeninsel im Schwarzen Meer vertreiben konnten. Dies öffnete den Weg für die Wiederaufnahme des ukrainischen Schiffsverkehrs und zwang die russische Regierung von Machthaber Wladimir Putin dazu, das Abkommen zum Export ukrainischen Getreides zu unterzeichnen. Heute ist dieses Abkommen gar nicht mehr notwendig: Mit gezielten Angriffen gelang es den Ukrainern, die russische Schwarzmeerflotte stark zu dezimieren. Entsprechend gingen Russlands Kampfaktivitäten auf dem Wasser zurück.

    Während der Kämpfe um die Schlangeninsel existierte die Radhaubitze Bohdana zunächst nur in einem Einzelexemplar. Und es war Zufall, dass es dieses Exemplar überhaupt noch gab: Denn ursprünglich war die Radhaubitze von einer Fabrik entwickelt worden, die heute nach russischem Beschuss weitgehend zerstört ist. Dort lagerte der Bohdana-Prototyp zunächst auch.

    Radhaubitze Bohdan: Der Generalstab wollte den Prototypen zerstören lassen

    Anfang 2022, kurz vor dem russischen Einmarsch, sprach sich der ukrainische Generalstab daher für die Zerstörung des ersten Exemplars aus. Die Technologie sollte nicht in die Hände des Feindes gelangen. Trotzdem konnte die in Teile zerlegte Haubitze rechtzeitig ins Hinterland gebracht werden. Später wurde sie erneut zusammengebaut und nach einem stark verkürzten Verfahren bei den ukrainischen Streitkräften in den Dienst gestellt.

    Nach dem Erfolg auf der Schlangeninsel wuchs das Interesse des Verteidigungsministeriums, das schließlich eine rasche Serienproduktion in Auftrag gab. Derzeit existieren schon rund 30 Bohdanas, pro Monat können sechs neue Radhaubitzen gefertigt werden. Im gleichen Tempo werden auch die Caesar-Haubitzen des französischen Herstellers Nexter produziert. An der der Bohdana-Produktion sollen 25 Unternehmen und rund 400 Personen beteiligt sein. Einige kritische Teile werden tatsächlich auf neu geschaffenen Produktionslinien im Ausland hergestellt. Insgesamt ist der gesamte Prozess stark dezentralisiert. Dies soll die Risiken mindern, die von russischen Drohnen- und Raketenangriffen für die Fertigung ausgehen.

    Nach Angaben der Hersteller wurde bisher keine einzige Bohdana durch Russland komplett zerstört, obwohl sich einige in der Reparatur befinden. Und gerade in diesem Bereich liegen die größten praktischen Vorteile der eigenen Radhaubitze: Bohdana glänzt zwar nicht mit hochmodernen automatischen Systemen. Doch sie ist kostengünstig, gut genug für die Front und lässt sich gleichzeitig wegen der technischen Unkompliziertheit recht leicht und schnell reparieren. Daher sprechen ukrainische Militärexperten gerne von einem „Mini-Caesar“, was durch den gemeinsamen Einsatz beider Systeme bei den Kämpfen um die Schlangeninsel auch auf der Hand liegt.

    Waffensystem: Soldaten müssen nicht neu ausgebildet werden

    So mag Bohdana zwar nicht das beste Artilleriegerät aller Zeiten sein. Doch während eine Caesar-Haubitze rund fünf Millionen US-Dollar kostet, ist Bohdana um die Hälfte billiger. Die ukrainische Radhaubitze ist eine schnell verfügbare Lösung, für die man international nicht Schlange stehen muss.

    Ein weiterer Vorteil der Bohdana: Sie wurde für die Munition des Nato-Kalibers 155 Millimeter entwickelt, kann aber problemlos von Artilleristen bedient werden, die ursprünglich an sowjetischen Geräten ausgebildet wurden. Eine neue Ausbildung ist nicht notwendig. Außerdem muss sie für eine große Reparatur nicht erst nach Polen gebracht werden. Das ist bei Caesar der Fall, da in der Ukraine die Fachkräfte für dieses System fehlen. Die Reparatur erfolgt im Falle der Bohdana auf dem eigenen Gebiet.

    Bei dem aktuellen Produktionstempo wäre es eine logische Entwicklung, wenn Bohdana zum Hauptartilleriegerät der ukrainischen Armee werden würde. Längerfristig könnte sich das System sogar zu einem Exportschlager entwickeln. So weit ist es aber noch lange nicht: Die Ukraine braucht dringend mehr Waffen und Munition, um den russischen Angreifern standhalten zu können. Jede Bohdana, die vom Band läuft, findet sofort im eigenen Land Verwendung.