Moskau. Putin hat ein Problem: Viele Russen interessiert die Wahl nicht. Dabei ist dem Kreml eine Sache viel wichtiger als das Ergebnis.

Zumindest in Moskau kann niemand Wladimir Putins Wahl entgehen. Die Aufforderung, ins Wahllokal zu gehen und sein Kreuz zu machen, sie blinkt jedem von unzähligen Videowänden und Plakaten entgegen. An fast jeder großen Straßenkreuzung, auf Bussen und in Geschäften. Putin wird die Wahl haushoch gewinnen, so viel ist sicher. Ernstzunehmende Gegenkandidaten, etwa die Kriegsgegner Boris Nadeschdin und Jekaterina Dunzowa, wurden gar nicht erst zugelassen. Viel wichtiger aber als das Ergebnis ist für den Kreml die Wahlbeteiligung.

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Und da ist das Problem. Viele Russinnen und Russen interessiert die Wahl einfach nicht. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2018 kam Putin auf 76,7 Prozent der Stimmen. Damals lag die Wahlbeteiligung bei 67,5 Prozent. Diese Zahl gilt es jetzt zu übertreffen. Um den Menschen im eigenen Land und draußen in der Welt zu zeigen: Ganz Russland steht hinter seinem Präsidenten.

Nicht nur Propaganda soll Putins Wiederwahl sichern

Dabei soll nichts schieflaufen. In Moskau stimmt die Ausstellung „Rossija“, „Russland“, auf die Wahl ein. Umgerechnet rund 50 Millionen Euro habe sie gekostet, berichtet das Onlineportal „Sirena“. Unablässig flimmern Videocollagen, die das moderne, das fortschrittliche Russland zeigen sollen. Und es wird in Dauerschleife ein Bild projiziert: Kremlchef Putin im Kreis der Chefs der besetzten Gebiete in der .

Doch nicht nur Propaganda soll für eine hohe Wahlbeteiligung sorgen. Mitglieder und Unterstützer der Regierungspartei „Einiges Russland“ müssen zur Wahl jeweils 10 Personen aus ihrem Umfeld mitbringen. Immerhin, so ein Parteimitglied, gegenüber dem Onlinemedium „Meduza“: „In der Praxis erreicht nicht jeder dieses Ziel, aber niemand wird dafür bestraft.“

Russland: Eine Wahl ohne Alternative

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    Angestellte in Staatsbetrieben und regierungsnahen Unternehmen müssten zwei bis drei Wähler anwerben, weiß „Meduza“. Bei der Wahl kann auch online abgestimmt werden. So lässt sich das Wohlverhalten der Wähler ganz einfach kontrollieren. In Regionen ohne Online-Wahlmöglichkeit würden Betriebe QR-Codes an die Angestellten ausgeben, so „Meduza“. Diese würden dann im Wahllokal gescannt. „Obwohl es an manchen Orten überhaupt keine Nachverfolgung geben wird, wird die bloße Weitergabe der Codes psychologisch wirksam sein. Weil die Leute nicht sicher wissen, ob ihre QR-Codes überprüft werden oder nicht, gehen sie einfach zur Sicherheit hin“, meint ein Wahlexperte.

    Bei dieser Wahl will Wladimir Putin nichts dem Zufall überlassen

    Von wesentlich härterem Druck berichtet das Portal „The Insider“. Mitarbeiter eines staatsnahen Forschungsinstituts seien aufgefordert worden, „aktiv an der Abstimmung teilzunehmen“ und „ihre Stimme für den amtierenden Präsidenten abzugeben“.

    Studierende der Staatlichen Pädagogischen Universität Woronesch berichteten von Druck seitens der Universitätsleitung, so das Onlinemedium „7x7“. Den Studierenden wurde ein Fragebogen ausgehändigt, mit der Frage, für wen sie stimmen wollten. Dringend empfohlen wurde: Putin. Auch in Sankt Petersburg seien Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes aufgefordert worden, für Putin zu stimmen, so das Portal „Sever.Realii“.

    Auf Telegram gibt es sogar einen Bericht über einen Wehrpflichtigen aus Belgorod, dem für seine Stimme für Putin ein Aufschub vom Militärdienst angeboten worden sei. Und die „Moskauer Deutsche Zeitung“ berichtet, Erzieher und Lehrer in der Region Swerdlowsk seien unter Androhung der Entlassung gezwungen worden, Fragebögen mit den Angaben von Bekannten auszufüllen, die zur Wahl gehen wollen. Nachprüfen lässt sich das alles nicht. Doch die schiere Vielzahl der Berichte zeigt: Bei dieser Wahl soll wohl nichts dem Zufall überlassen bleiben.

    Julia Nawalnajas Slogan lautet: „Mittag gegen Putin“

    „Russlands Zukunft“, so bewirbt Putin seine Wiederwahl. Der 71-Jährige tritt bei der von Freitag bis Sonntag angesetzten Abstimmung an, um sich zum fünften Mal im Amt bestätigen zu lassen. Den Krieg gegen die Ukraine stellt Putin vor allem auch als einen Kampf gegen westliches Vormachtstreben dar, was bei vielen Menschen in Russland verfängt. Er betrachtet es als sein Lebenswerk, die Atommacht Russland nach dem Ende der Sowjetunion zu alter Stärke zurückzuführen und den globalen Einfluss der USA zurückzudrängen.

    112 Millionen Menschen im Land sind wahlberechtigt, hinzu kommen fast zwei Millionen Russinnen und Russen im Ausland. Putin könne mit 82 Prozent der Stimmen rechnen, so das staatsnahe Meinungsforschungsinstitut Wziom. Auch das unabhängige Institut Lewada geht von einer Zustimmung von über 80 Prozent aus. Erwartet wird der Wziom-Befragung zufolge eine Wahlbeteiligung von 71 Prozent. Außer Putin stehen drei weitere Kandidaten auf den Wahlzetteln: der Nationalist Leonid Sluzki, der Kommunist Nikolai Charitonow und der Geschäftsmann Wladislaw Dawankow. Sie alle unterstützen Putin, sind chancenlos, würden der Wahl aber einen pluralistischen Anstrich geben, meinen Kritiker.

    Interessant wird die Zahl der ungültigen Stimmen sein. Auf zwischen ein und drei Prozent schätzen sie die Umfrageinstitute. Stimmzettel ungültig zu machen, dazu hatte die Opposition aufgerufen. Wie viel Rückhalt diese in der Bevölkerung hat, könnte sich am Sonntag zeigen, am dritten Wahltag. Julia Nawalnaja, die Witwe des verstorbenen Kremlkritikers Alexej Nawalny, hat die Menschen in Russland aufgerufen, am Sonntagmittag wählen zu gehen. „Polden protiw Putina“ lautet ihr Slogan – „Mittag gegen Putin“. Die Warteschlangen sollen ein Protestzeichen sein, gegen das die Behörden kaum vorgehen könnten.