Berlin. Die Ampel will das Strafgesetz reformieren – auch bei der Abtreibung. Ausgerechnet bei dem heiklen Thema droht nun neuer Streit.

Taurus, Heizungstausch, Schuldenbremse und jetzt auch noch Paragraf 218? Die Ampel hat eine neue Debatte am Hals, die das Zeug hat, das Land zu spalten: Soll Abtreibung in den ersten Schwangerschaftswochen rechtmäßig erlaubt werden? Und wäre dann Abtreibung Kassenleistung? Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat eine klare Antwort darauf.

Auslöser ist ein neues Gutachten: Experten empfehlen der Bundesregierung, das Strafrecht zu ändern und Schwangerschaftsabbrüche mindestens in den ersten 12 Wochen zu legalisieren. Bereits jetzt sind Abtreibungen in dieser Frist unter bestimmten Bedingungen straffrei – aber rechtswidrig. Die Expertenkommission geht sogar noch weiter: auch zwischen 12. und 22. Woche sei es denkbar, das Strafrecht zu ändern und Abtreibungen zu erlauben. Danach soll der Abbruch rechtswidrig bleiben, müsse aber nicht zwingend strafbar sein. Aktuell muss eine medizinische Begründung (oder etwa eine Vergewaltigung) vorliegen, wenn die Schwangerschaft nach der 12. Woche abgebrochen werden soll.

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Und nun? Was macht die Ampel mit diesem Votum? Am Montag zeigte sich: Sie weiß es nicht. Das liegt auch daran, dass zwischen den Vorstellungen der grünen Familienministerin und des FDP-Justizministers Welten liegen. Bezeichnend, dass sich die beiden zum ersten öffentlichen Kommentar auf neutralem Gelände trafen – bei SPD-Mann Lauterbach.

Kommission: Rechtswidrigkeit von Abtreibungen "nicht haltbar"

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    Lauterbach in der Mitte, Marco Buschmann rechts, Lisa Paus links: Die Grüne freute sich sichtbar über das klare Votum der Kommission – nach 30 Jahren sei es Zeit, die Sache neu zu diskutieren. Der FDP-Mann dagegen runzelte die Stirn und breitete Bedenken aus: Der Paragraf 218 gehöre zu den „umstrittensten Themen, die man sich vorstellen kann“. Der 600 Seiten starke Bericht müsse zudem auch erstmal ausgewertet werden. Und schließlich – das stärkste Argument: Gibt es überhaupt verfassungsrechtlichen Spielraum?

    Das Grundgesetz beschützt das Leben. Die Experten der Kommission argumentieren nun damit, dass das Lebensrecht des Embryos in Deutschland juristisch bereits jetzt schon nicht das gleiche Gewicht habe wie das Lebensrecht nach der Geburt. Dieses unterschiedliche Gewicht sehe man schon daran, dass Abtreibung strafrechtlich nicht mit der Tötung eines Menschen gleichgesetzt werde.

    Paragraf 218: Die Union droht bereits mit Verfassungsklage

    Die Kirchen und die Union halten die aktuell gültige Beratungsregelung für einen guten Kompromiss – und warnen dringend davor, die Regelung wieder infrage zu stellen. Einzelne Unionspolitiker drohen bereits mit einer Verfassungsklage.

    Gut möglich, dass die Ampel sich mit einem politischen Kniff aus der Zwangslage rettet – und dem Parlament die Lösung überlässt. Wie bei der Organspende oder Sterbehilfe könnte es zu einer fraktionsübergreifenden Entscheidung kommen. Lauterbach zeigte sich am Montag offen dafür: „Es geht um Leben und Tod.“ Das seien grundsätzliche ethische Fragen, „die das Parlament zu beantworten hat“. Buschmann ergänzte: „Wir sollten das nicht in der Parteienlogik diskutieren.“ Es gehe am Ende um eine Gewissensentscheidung. Gut möglich ist aber auch, dass gar nichts passiert: „Nicht aus allem, was geht, erfolgt, dass man auch aus allem was macht“, orakelte Buschmann.

    Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP)  ließen offen, ob sie noch in dieser Wahlperiode eine Gesetzesänderung angehen.
    Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ließen offen, ob sie noch in dieser Wahlperiode eine Gesetzesänderung angehen. © imago/epd | imago/Christian Ditsch

    Sollte es dagegen zu einer Reform des Abtreibungsrechts kommen, hätte das auch Folgen für die Kosten: „Die Herausnahme aus dem Strafgesetzbuch würde auch endlich eine Übernahme der Behandlung durch die Krankenkassen bedeuten“, sagt die Medizinerin Kristina Hänel. Die Gießener Ärztin hatte sich in den vergangenen Jahren stark für eine Liberalisierung des deutschen Abtreibungsrechts eingesetzt. Lauterbach sieht das ähnlich: Wenn eine Legalisierung komme, „wäre es schlecht zu begründen, dass das nur Frauen machen können, die es sich leisten können“, so der Minister. Die gesetzlichen Krankenkassen würden einspringen müssen. „Das Recht darf nicht nur auf dem Papier stehen.“

    Aktuell müssen Frauen den Schwangerschaftsabbruch in der Regel selbst bezahlen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen allerdings die Kosten für die ärztliche Beratung, die Vor- und Nachuntersuchungen sowie für notwendige Nachbehandlungen. Für einen Schwangerschaftsabbruch muss man mit Kosten zwischen 300 und 700 Euro rechnen, je nach Methode, heißt es bei der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Der medikamentöse Abbruch kostet weniger als der operative, da keine Narkose notwendig ist.

    Lauterbach: In Süddeutschland ist es schwer, überhaupt ein Angebot zu finden

    Hat eine Frau nur ein geringes oder gar kein Einkommen, hat sie Anspruch auf die Übernahme der Kosten für den Abbruch. Als sozial bedürftig gilt eine Frau, deren verfügbares persönliches Einkommen 1383 Euro im Monat nicht übersteigt.

    Unabhängig von der Frage, ob Schwangerschaftsabbrüche in der Frühphase grundsätzlich erlaubt werden, will Lauterbach in einem Punkt in jedem Fall handeln: In Deutschland gebe es aktuell zu wenige Angebote für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch planten. Gerade in Süddeutschland sei es in vielen Regionen schwer, überhaupt eine Praxis für eine Abtreibung zu finden, wenn sie geboten sei. Solche „Hindernisse sind nicht akzeptabel“, sagte Lauterbach. „Legalisierung hin oder her – wir müssen das angehen.“ Die Möglichkeit, die Schwangerschaft abzubrechen, dürfe nicht davon abhängen, wo jemand lebt.