Berlin. Großbritannien steckt seit dem Brexit in einer tiefen Krise, die Zustimmung zur Monarchie bröckelt: Für King Charles geht es ums Ganze.
Zu Hunderten standen sie im Getümmel am Trafalgar Square im Herzen von London. Sie waren gelb gekleidet und skandierten „Not my king“ – nicht mein König. Statt Fähnchen mit dem Union Jack hielten sie Transparente in die Höhe, auf denen „Abolish the Monarchy“ stand. Auf Deutsch: Schafft die Monarchie ab!
Die Londoner Polizei teilte am Samstag mit, es habe während der Feierlichkeiten zur Krönung von König Charles 52 Festnahmen gegeben. Darunter war auch der Chef der Gruppe „Republic“, Graham Smith. Die Sicherheitskräfte sagten, es sei ihre Pflicht gewesen, eine drohende Störung der Veranstaltung zu unterbinden. Die Organisation Human Rights Watch kritisierte die Festnahmen scharf: „So etwas erwartet man eher in Moskau und nicht in London“, hieß es. Auch anderswo im Vereinigten Königreich kam es vereinzelt zu Demonstrationen von Monarchie-Gegnern, etwa im walisischen Cardiff.
Angesichts der feierlich-royalen Stimmung in der Hauptstadt und dem Rest des Landes mögen ein paar Hundert republikanische Demonstranten von außen betrachtet wie eine skurrile Randerscheinung wirken. Großbritannien hat am Wochenende schließlich nicht nur seinen neuen König, sondern auch sich selbst gefeiert. So wie es bisher ist und in den vergangenen Jahrhunderten war: Eine vorbildliche Demokratie mit einem starken Parlament und einem König oder einer Königin als Staatsoberhaupt. Die Fernsehbilder, die jetzt um die Welt gingen, zeigten glückliche Menschen und eine stolze Nation.
Charles III: Die Monarchie ist kostspielig – und zunehmend unpopulär
Dennoch rufen die Proteste dezent in Erinnerung, dass Charles III. vor einer gewaltigen Aufgabe steht: Er muss die Bande zwischen der Krone und dem Volk erneuern. Die Zustimmung zur Monarchie bröckelt, besonders junge Menschen wenden sich ab. Es geht dabei um die grundsätzliche Frage, wie zeitgemäß eine Erbmonarchie im 21. Jahrhundert noch ist und ob es dem Steuerzahler ohne weiteres zugemutet werden kann, den aufwendigen Lebensstil einer königlichen Familie zu finanzieren.
Ein beträchtlicher Anteil der Briten ist der Ansicht, dass es besser wäre, wenn das Volk sein Staatsoberhaupt wählen könnte. So wie es zum Beispiel die Nachbarn in der Republik Irland tun oder die jenseits des Ärmelkanals in Frankreich.
All dies geschieht in einer Zeit, in der die britische Gesellschaft ohnehin tief gespalten ist und das Land nach Brexit und Pandemie in einer tiefen Krise steckt. Charles‘ Mutter, die verstorbene Königin Elizabeth II., hielt die Nation zusammen, als das Empire kollabierte und sich Großbritannien neu erfinden musste. Die Aufgabe des neuen Monarchen wird darin bestehen, die Monarchie als solche zu stabilisieren. Zugleich muss er dem Land dabei helfen, seine weitgehend selbstverschuldete Krise zu überwinden. Nicht einmal der Fortbestand des Vereinigten Königreichs an sich ist gesichert, wie die Unabhängigkeitsbestrebungen Schottlands zeigen.
Das Meinungsforschungsinstitut YouGov, das regelmäßig die Einstellungen der Briten zur Monarchie abfragt, kam wenige Tage vor der Krönung zu einem bemerkenswerten Befund: Sechs von zehn Bürgern sind weiterhin der Ansicht, dass das Land eine Monarchie bleiben solle. Das ist eine recht hohe Zustimmung, allerdings ist sie zugleich deutlich niedriger als in der Vergangenheit. Vor zehn Jahren bekannten sich noch 75 Prozent der Befragten zur Monarchie.
Jeder vierte Brite ist inzwischen der Ansicht, dass das Staatsoberhaupt gewählt werden sollte, das Land also zum Beispiel einen Präsidenten brauche. Die Zahl der Menschen, die diese Ansicht vertreten, nimmt seit Jahren zu. Betrachtet man die einzelnen Altersgruppen, so wird deutlich, dass das Bekenntnis zur Monarchie oder die Ablehnung derselben vor allem eine Generationenfrage ist. Je älter Menschen sind, desto stärker fällt ihr Bekenntnis zur Krone aus. Je jünger sie sind, desto größer ist die Ablehnung.
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Großbritannien: Vor allem die Jüngeren fremdeln zunehmend mit dem Königshaus
In der Altersgruppe der Menschen, die 65 Jahre oder älter sind, wollen acht von zehn Briten die Monarchie beibehalten. In der Gruppe der 18 bis 24-Jährigen hingegen sind es nicht einmal vier von zehn. Auf die Frage, ob die Monarchie gut oder schlecht für Großbritannien sei, sagten kurz vor der Krönung 77 Prozent der Älteren, dass sie gut sei – aber nur 32 Prozent der Jüngeren. Über alle Altersgruppen hinweg sagten 58 Prozent der Befragten, dass die Monarchie dem Land nütze, also nur etwas mehr als jeder Zweite.
Auch an einer anderen Stelle wird Charles zu kämpfen haben. Und zwar in Bezug auf Britanniens Rolle in der Welt. Seine Mutter Queen Elizabeth verwendete viel Zeit und Energie darauf, das Commonwealth zusammenzuhalten, also die Verbindung Großbritanniens zu seinen ehemaligen Kolonien in aller Welt. 56 souveräne Staaten gehören dem Commonwealth an, in 15 davon ist der britische König Staatsoberhaupt. Nach Elizabeths Tod sind die Absetzbewegungen von der Krone eher stärker geworden. Staaten wie Australien oder Jamaika liebäugeln mit Referenden über die Frage, ob sie Republiken werden sollen. Auf längere Sicht könnte die britische Monarchie also zum Auslaufmodell werden – zu Hause und in Übersee.