Berlin. Die Kommunen sind dem Zustrom von Flüchtlingen nicht mehr gewachsen. Sie fordern mehr Hilfe und Geld vom Bund. Doch der ziert sich.

Die Städte und Gemeinden in Deutschland schlagen Alarm: Sie können die hohe Zahl von Flüchtlingen oft kaum noch bewältigen. An diesem Donnerstag lädt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) abermals zu einem Flüchtlingsgipfel mit Vertretern der Länder und Kommunen ein.

Es geht vor allem um die Frage, wie die finanziellen und organisatorischen Lasten besser verteilt werden können. Auch das Thema Abschiebungen steht auf der Tagesordnung. Die Stimmung zwischen kommunalen Behörden und Landesregierungen einerseits und der Bundesministerin anderseits ist äußerst angespannt. Ein Überblick.

Was plant die Innenministerin?

Faeser ist eher die Getriebene. Angesichts des hohen Drucks in den Kommunen waren zuletzt verstärkt Forderungen nach einem neuen Flüchtlingsgipfel laut geworden, insbesondere aus der Union. Die Ministerin berief deshalb das Treffen ein. Auch interessant: Erdbeben: Faeser verspricht schnell Visa für bestimmte Opfer

Anders als von der Opposition gefordert wird Kanzler Olaf Scholz (SPD) daran aber nicht teilnehmen. Zuletzt hatte Scholz im Herbst mit den Länder-Ministerpräsidenten über die Flüchtlingspolitik diskutiert und mehr Geld des Bundes für die Unterbringung und Versorgung der Menschen zugesagt.

Was fordern Kommunen und Länder?

Sie fordern eine deutliche Aufstockung der Bundeshilfen. In diesem Jahr will der Bund 2,75 Milliarden Euro geben. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält eine Verdreifachung der Summe für notwendig. Länder und Kommunen dringen darauf, dass der Bund die kompletten Unterbringungs- und Gesundheitskosten der Flüchtlinge übernimmt. Finanzminister Christian Lindner (FDP) entgegnet, dass die finanziellen Möglichkeiten des Bundes „limitiert“ seien.

Wie viele Menschen suchen Schutz in Deutschland?

Die Zahl der Geflüchteten in Deutschland ist im vergangenen Jahr stark gestiegen. Hauptgrund ist der russische Angriffskrieg gegen die die Ukraine. Mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine sind seit dem vergangenen Februar hierher geflohen, die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder.

Ein Teil zog weiter, etwa in ein anderes EU-Land, in dem sie Verwandte hatten. Ein weiterer Teil ist trotz des Kriegs zurück in die Ukraine gekehrt, vor allem in Gebiete im Westen des Landes und in die Hauptstadt Kiew, in der die Kampfhandlungen seit einigen Monaten weniger stark sind als im Osten des Landes.

Vor allem die Geflüchteten aus der Ukraine setzen Städte und Gemeinden unter Druck: Es fehlen Wohnungen, Kita-Plätze und Lehrer. Allein 200.000 Schülerinnen und Schüler haben deutsche Schulen ein knappes Jahr nach Beginn des Krieges aufgenommen.

Gibt es genügend Unterkünfte für die Menschen?

Nein, und das ist eines der größten Probleme. Die Wohnungsmärkte sind ohnehin vielerorts angespannt. Berechnungen zufolge fehlen 700.000 Wohnungen in Deutschland. Wie 2015 und 2016 richten die Kommunen Turnhallen und leerstehende Hotels als Unterkünfte ein. Die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen sind voll.

Aus welchen Ländern außer der Ukraine kommen noch Flüchtlinge?

Ukrainer müssen keinen Asylantrag stellen, um in Deutschland Schutz und Hilfe zu erhalten. Gleichwohl steigt auch die Zahl der Asylanträge aus Drittstaaten stark an. Knapp 250.000 Menschen stellten 2022 einen Asylantrag in Deutschland. Sie kommen vor allem aus Syrien und Afghanistan – immer häufiger auch aus der Türkei. 2021 waren es insgesamt gut 190.000. Die Zahlen sind jedoch deutlich unter den Antragstellungen der Jahre 2015 und 2016.

Damals kamen eine Millionen Menschen, vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien, nach Deutschland. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte am Mittwoch im Gespräch mit unserer Redaktion, dass viel getan werde, um Migration zu steuern und illegale Migration einzudämmen: „Seit Monaten nimmt der Migrationsdruck auf Europa und auch speziell auf Deutschland zu. Deshalb sind wichtige Initiativen zur Begrenzung bereits angelaufen: verstärkte Kooperation mit unseren Nachbarländern an der Grenze, Einschränkung der Visa-Politik Serbiens auf Druck der EU, und die Wiederbelebung des Solidaritätsmechanismus auf europäischer Ebene mit klaren Vorgaben zur Identitätsaufklärung.“

Warum geht es beim Flüchtlingsgipfel auch um Abschiebungen?

Bund und Länder haben ein gemeinsames Interesse daran, dass ausreisepflichtige Ausländer tatsächlich das Land verlassen. Seit zwei Wochen gibt es einen Sonderbevollmächtigten des Bundes, der Migrations- und Abschiebungsvereinbarungen mit den Herkunftsländern aushandeln soll. Es ist der ehemalige nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP). Rund 300.000 Ausländer in Deutschland sind ausreisepflichtig. Allerdings: Die allermeisten von ihnen sind „geduldet“, können nicht abgeschoben werden, weil Papiere fehlen, sie krank sind, oder ihnen in der Heimat Gewalt und Folter droht. Ohne Duldung sind rund 50.000 Menschen. Sie müssen das Land verlassen.

Was kann getan werden, um mehr Ausreisepflichtige zurück in ihre Heimat zu schicken?

Das wird am Donnerstag Gegenstand der Beratungen sein. Am Mittwoch meldete sich dazu die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zu Wort. Der Vize-Vorsitzende der Bundespolizei bei der GdP, Sven Hüber, sagte unserer Redaktion: „Bei Abschiebungen müssen Bund und vor allem die Länder stärker die Möglichkeit nutzen, ausreisepflichtige Ausländer auch in Drittstaaten abzuschieben.“ Hüber ergänzte: „Immer wieder scheitern Abschiebungen von Intensivtätern daran, dass Papiere fehlen oder ein Herkunftsstaat unwillig ist, diese Menschen zurückzunehmen. Dabei können andere Staaten in der Region helfen.“ Nur ein Beispiel: Der mutmaßliche palästinensische Täter, der Ende Januar in einem Regionalzug mit einem Messer zwei Menschen tötete und mehrere weitere verletzte, kann laut GdP schwer in den Gaza-Streifen abgeschoben werden. „Aber eine Rückführung nach Jordanien oder Ägypten ist denkbar und machbar. Deutschland wird für diese Abschiebungen dann an diese Drittstaaten Geld zahlen müssen.“

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