Jerusalem. Seit Tagen kommt Israel nicht zur Ruhe, die Armeeführung ist um Deeskalation bemüht – doch im Westjordanland ist Siedler-Wandertag.

Mehr als 17.000 rechte Aktivisten demonstrierten Montagnachmittag unter massivem Armeeschutz gegen Israels Regierung. „Wir haben euch geschickt, damit ihr regiert, wie es sich für eine rechte Regierung gehört!“, rief einer von ihnen durchs Megafon. Den Lautsprecher hätte es erst gar nicht gebraucht: Knapp dreißig Regierungspolitiker, davon sieben amtierende Minister, beteiligten sich an dem Protest gegen die eigene Koalition. Und das war nicht die einzige Absurdität dieses Protests.

Die Marschroute der rechten Siedler führte zu einem Gelände, das palästinensischen Grundbesitzern gehört, aber von den Siedlern für eigene Zwecke beansprucht wird. Laut israelischem Gesetz ist es Israelis aber verboten, das Areal zu betreten – und damit das nicht geschieht, wird es laufend von Soldaten bewacht. Diese uniformierten Wächter mussten am Montag also mit ansehen, wie sich Tausende Israelis, darunter viele Politiker und Rabbiner, dieser Sperrzone näherten.

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„Wir kehren nach Eviatar zurück!“, riefen die Aktivisten – Eviatar ist der Name, den sie dem Areal gegeben haben. Der Hügel war wiederholt illegal besiedelt und später geräumt worden. Israels neue Regierung, in der rechtsextreme Siedler in wichtigen Positionen vertreten sind, hatte zu Beginn ihrer Amtsperiode verkündet, das Gesetz zu ändern und die Besiedelung von Eviatar zu erlauben. Mit anderen Worten: Die palästinensischen Grundeigentümer würden ohne Entschädigung enteignet werden.

Regierung macht Rückzieher bei Besiedelung des Palästinenser-Gebiets

Da das viel Zündstoff birgt und die Lage derzeit ohnehin höchst angespannt ist, hat die Regierung diesen Schritt vorerst verschoben, zumindest bis Ende des Fastenmonats Ramadan. Das trieb die Siedleraktivisten auf die Palme – und am Montag schließlich auf die Straße.

„Wir kehren nach Eviatar zurück!“, riefen die Aktivisten bei ihrem Marsch auf das Gelände von palästinensischen Grundbesitzern.
„Wir kehren nach Eviatar zurück!“, riefen die Aktivisten bei ihrem Marsch auf das Gelände von palästinensischen Grundbesitzern. © AFP | GIL COHEN-MAGEN

In Israels Armee gab es nicht wenige, die den Massenaufmarsch im nördlichen Westjordanland in Tagen höchster Anspannung für höchst riskant hielten. Seit einer Woche vergeht keine Nacht ohne Gewalt. Die Täter des verheerenden Anschlags im Jordantal am Freitag, der zwei Schwestern und deren Mutter das Leben gekostet hat, sind immer noch nicht gefasst worden.

Rechtsextremer Minister auf Anti-Regierungs-Demo im Westjordanland

Dass nun laut Medienberichten eine ganze Kompanie zum Schutz der rechten Aktivisten auf ihrem „Marsch nach Eviatar“ abgeordnet wurde, anstatt nach den flüchtigen Terroristen zu fahnden, stößt in Israel auf einige Kritik. Für Ärger sorgt auch, dass sich Israels Minister für Nationale Sicherheit, der Rechtsextreme Itamar Ben Gvir, für mehrere Stunden auf eine Anti-Regierungs-Kundgebung ins Westjordanland begibt, während in Städten wie Jerusalem und Tel Aviv erhöhtes Terrorrisiko herrscht.

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Eine Erklärung bieten die aktuellen Umfragewerte. Nie war Mitte-Links so beliebt bei den Wählern, nie schnitt die Likud-Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu so schlecht ab. Die Rechtsextremen in der Regierung – also Itamar Ben Gvir und Finanzminister Bezalel Smotritsch – stecken daher längst mitten im Wahlkampf. „Wir geben uns vor den Terroristen nicht geschlagen, weder in Eviatar, noch in Tel Aviv!“, rief Ben Gvir. Am Freitag war in Tel Aviv bei einer Autorammattacke ein italienischer Tourist ums Leben gekommen.