Welche Fragen bewegen junge Menschen in Thüringen? Die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der sechs Bundestagsparteien antworten.

Paul Schilling, 18, aus Weimar, Emma Dodds, 18, aus Weimar, und Katharina Thorwirth, 19, aus Jena, fragen: „Rechtes Gedankengut wird immer salonfähiger, gerade auf dem Dorf. Dieses Thema müsste in Schulen in den Unterricht integriert werden. Welche Lösungen haben Sie im Kampf gegen Rassismus und Homophobie?“ Das sind die Antworten der Kandidatinnen und Kandidaten.

Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen)

Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen
Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen © Luise Giggel

Erstmal vielen Dank für euer Engagement, für diese klare Frage und eure klare Haltung, das ist ja schon mal das Eine, worauf es ankommt. Dazu gehört auf der anderen Seite eben auch, dass Politik handelt. Schule ist ja ein ganz zentraler Ort. Politische Bildung muss an der Schule aber auch in der Freizeit stattfinden. An der Schule muss klar sein, eine Lehrerin und ein Lehrer darf keine Nazi-Sprüche dulden, was ja in der Regel auch nicht der Fall ist. Antisemitismus, Rassismus, Homophobie dulden wir in unserer Gesellschaft nicht. Das steht in unserem Grundgesetz und hat auch mit der Frage zu tun, in was für einem Land wir leben wollen. Die erste Maßnahme, wenn es gegen rechts geht ist immer klar zu sagen: In unserer Gesellschaft gibt es für Rassismus, Antisemitismus, Homophobie null Toleranz.

Das Zweite ist ein Demokratiefördergesetz. Das klingt so wie: Gesetz – langweilig. Nein, es geht darum, dass Geld zur Verfügung gestellt wird, dass Projekte, die gegen Rassismus und gegen Hass und Hetze und für die Demokratie arbeiten, mit ausreichend Geld ausgestattet sind und nicht dauernd Anträge stellen müssen, damit sie über das nächste halbe Jahr kommen. Das wurde auch schon nach den NSU-Anschlägen, nach Halle und nach Hanau versprochen, doch noch immer gibt es kein solches Gesetz.

Susanne Hennig-Wellsow (Die Linke)

Susanne Hennig-Wellsow, Thüringer Spitzenkandidatin der Partei Die Linke
Susanne Hennig-Wellsow, Thüringer Spitzenkandidatin der Partei Die Linke © Flora Hallmann

Wenn wir uns mit Rassismus in unserem eigenen Land beschäftigen, dann beginnt das mit der Erkenntnis, dass wir ein großes Problem mit Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus haben, dass wir öffentliche Strukturen haben, die gern mal auf dem rechten Auge blind sind. Man muss als Politik deutlich sagen: Wir haben ein Problem mit Rassismus und Rechtsextremismus. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Das bedeutet, schulische Bildung muss die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts und vor allem die deutsche Geschichte wesentlich deutlicher aufgreifen, als das bisher der Fall ist. Das zweite ist, von vornherein demokratische Schulen zuzulassen – wir in Thüringen haben schon vor etlichen Jahren damit begonnen, Schulen anders zu demokratisieren und Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern zu stärken.

Es braucht dringend das Verständnis dafür, dass wir alle über unser Leben selbst entscheiden dürfen. Es ist ein gesellschaftliches Problem, da muss die Politik den Antrieb geben. Aber wenn wir uns alle nicht befleißigen, dann wird sich auch die Gesellschaft nicht entwickeln.

Ich erzähle immer gern eine Geschichte, wenn es um das Thema Geschlechter und Rollen bei Kindern geht. Mein Sohn war als Fünfjähriger ein großer Freund von „My little Pony“. Er wollte, dass ich ihm ein T-Shirt kaufe und das habe ich auch gemacht. Und dann hat er sich aber, als es soweit war, geweigert, das Shirt im Kindergarten anzuziehen, mit der Begründung, er würde ausgelacht. Das tat mir sehr weh, weil ich ganz exemplarisch gesehen habe, dass mein kleiner Sohn aus irgendwelchen Gründen Beschränkungen erfährt, die ihm nicht erlauben, das zu tragen, was er will, und das finde ich nicht gut.

Das will ich für niemanden auf der Welt. Wir haben das dann so gelöst, dass wir uns jeder auch so ein Shirt gekauft haben und wir als Eltern das Shirt getragen haben und dann hat sich das irgendwie aufgelöst.

Was würden Sie bezogen auf Rechtsextremismus konkret an Maßnahmen im Bundestag umsetzen?

Das eine ist, alle rechtsextremen Vereine zu verbieten. Das zweite ist, alle Projekte, die auf Aufklärung, Information, Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz orientiert sind, massiv mit Geld auszustatten und ins Land zu schicken. Und deutlich zu machen, dass auch die Bundesländer an ihrem Verfassungsschutz arbeiten müssen. Auch wir hier in Thüringen haben über den Verfassungsschutz die Nazi-Strukturen eher stark gemacht, als sie zu verhindern. Ich bin für klare Konsequenzen, also kein Dulden von rechtsextremen Taten.

Welche Lösungen schlagen Sie vor gegen Rassismus und Rechtsextremismus?

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    Gerald Ullrich (FDP)

    Gerald Ullrich, Thüringer Spitzenkandidat der FDP
    Gerald Ullrich, Thüringer Spitzenkandidat der FDP © Philipp Brendel

    Da sind wir bei einem Phänomen, wo man sagen muss, das haben die Rechten leider ziemlich gut hingekriegt. Man hat diese Grenze des Sagbaren immer weiter nach rechts verschoben. Und heute ist man so weit, dass man fast ohne Widerstand – und auf den kommt es an – auch die rechteste Parole raushauen kann. Ja, ich finde es in Ordnung, dass die Verfassung auch das abdeckt. Ich finde es aber nicht in Ordnung, dass man sich in der Gesellschaft so verdammt wenig dagegen wehrt. Ich kann das auch nicht nachvollziehen, warum.

    Bei Menschen, die einer ausländischen Ethnie angehören, gehen bei manchen Leuten hier die Alarmglocken an. Das verstehe ich nicht. Aber es ist, weil wir das nicht kennen. Vielleicht brauchen wir auch nur Zeit. Aber das mit Gesetzen und Verboten zu machen, halte ich für den falschen Weg. Wenn dann nur mit Aufklärung.

    Emma hatte noch das Thema Homophobie und LGBTQ-Bewegung angesprochen. Wo sehen in diesem Zusammenhang Redebedarf an Schulen?

    Ich denke, dass wir dort so ein großes gesellschaftliches Thema, wie man sagt, nicht mehr haben. Weil es nicht mehr diese Rolle spielt. Weil niemand mehr danach fragt: Bist du eigentlich homosexuell oder bist du heterosexuell? Dieses Thema findet in meinem Umfeld nicht statt. Egal, wen ich frage oder wer da was sagt: Ist mir doch egal. Und das meinen die Leute ehrlich, es ist den Leuten egal, wie andere denken in dieser Richtung. Ich glaube nicht mehr, dass das das ganz große gesellschaftliche Thema ist, was wir in epischer Breite behandeln müssen.

    Stephan Brandner (AfD)

    Stephan Brandner, Thüringer Spitzenkandidat der AfD
    Stephan Brandner, Thüringer Spitzenkandidat der AfD © Flora Hallmann

    Extremismus ist nicht ansatzweise zu dulden. Dafür gibt es eigentlich auch einen Verfassungsschutz, um Extremismus zu bekämpfen: rechts, links, islamistisch. Da muss der Staat gegen vorgehen. Fertig. Was die Zahlen angeht, ich weiß nicht, ob die so bekannt sind: Es gibt ja die Frage der Gefährder, der nicht vollstreckten Haftbefehle in der polizeilichen Kriminalstatistik. Da haben wir bei den Gefährdern, das sind so tickende Zeitbomben, vielleicht fünf Linke, fünfzehn Rechte und 600 Islamistische. (Anm. der Redaktion: Laut Bundeskriminalamt gibt es mit Stand vom April 2020 fünf Gefährder politisch motivierter Kriminalität (PMK) links, 66 Gefährder PMK rechts und 629 islamistische Gefährder.) Bei den nicht vollstreckten Haftbefehlen sieht es ähnlich aus: linke, rechte ganz gering, das Vielfache im Islamismus-Bereich. (Anm. der Redaktion: Laut Bundesregierung waren mit Stand von Herbst 2020 insgesamt 628 Haftbefehle PMK rechts nicht vollstreckt. Im Fall PMK links waren es 116 nicht vollstreckte Haftbefehle zum Stichtag 30. September 2020. Das BKA vergibt zudem die Kategorien PMK – ausländische Ideologie – , hier gab es 196 nicht vollstreckte Haftbefehle und PMK – religiöse Ideologie – , 5.767 nicht vollstreckte Haftbefehle. Eine Kategorie speziell zu islamistisch motivierter Kriminalität ist nicht gelistet.) Also aus meiner Sicht ist tatsächlich die Gefährdung der inneren Sicherheit immer gegeben, egal welcher Extremismus, aber was die reinen Zahlen angeht, ist der Islamismus momentan das größte Gefährdungspotenzial.

    Der erste, der gefragt hat: Da geht es um rechte Symbolik und rechte Sprüche, da würde mich mal interessieren, was er darunter versteht.

    Hakenkreuz-Schmierereien zum Beispiel.

    Ja genau, macht man nicht. Aber nicht jede Hakenkreuz-Schmiererei, wissen wir alle, kommt von rechts, sondern die hatte ich hier auch an meinem Büro und es macht ja wohl kaum ein Rechter an meinem Büro Hakenkreuz-Schmierereien. Das ist natürlich auch, um jemanden zu diskreditieren. Natürlich, verfassungsfeindliche Symbole dürfen nicht verwandt und auch nicht geschmiert werden. Gar keine Frage.

    Was wäre denn aus Ihrer Sicht eine Maßnahme, mit der man konkret etwas gegen Rechtsextremismus tun könnte?

    Es gibt ein milliardenschweres Programm, was der Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Hass oder irgendwie sowas aufgelegt hat (Anm. der Redaktion: Das Maßnahmenpaket für die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und allen weiteren Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wurde von der Bundesregierung im Mai 2021 mit einem Finanzvolumen von rund einer Milliarde Euro bis 2024 beschlossen). Ich habe nicht den Eindruck, als wenn in Deutschland zu wenig gegen Rechtsextremismus gemacht würde. Da werden zig Milliarden Summen ausgegeben im Kampf gegen Rechtsextremismus, der gar kein Kampf gegen Rechtsextremismus ist. Was meint der junge Mann konkret mit rechten Äußerungen? Wenn sie kriminell sind, wenn sie den Tatbestand der Volksverhetzung beispielsweise erfüllen, dann muss das verfolgt werden. Wenn es verfassungsfeindliche Symbole sind, muss das verfolgt werden. Das betrifft aber alle Extremismus-Arten.

    Sie sind also der Meinung, dass da in Deutschland schon genug getan wird?

    Also was den Rechtsextremismus angeht, auf jeden Fall.

    Carsten Schneider (SPD)

    Carsten Schneider, Thüringer Spitzenkandidat der SPD
    Carsten Schneider, Thüringer Spitzenkandidat der SPD © Felix Apel

    Ich bin sehr dafür, dass wir die vielen Austauschprogramme, die wir in dem Bereich der Studenten haben auch für SchülerInnen und Berufsauszubildende mit einem halben Jahr im Ausland verknüpfen. Damit man sich auch mal in einem anderen Land fremd fühlt und weiß, wie das ist. Das ist ein sehr praktischer Vorschlag.

    Ansonsten bin ich für eine klare Ächtung, für den staatlichen und gesellschaftlichen Schutz von Minderheiten.

    Wie kann man an Schulen herantreten, um da Demokratieprojekte zu fördern?

    Das ist ein Appell, das zu nutzen. Und nicht Schule als einen neutralen Ort zu betrachten. Schule ist da, um die Werte des Grundgesetzes zu vertreten. Das heißt aber auch, dass man den Freiraum dafür lässt.

    Christian Hirte (CDU)

    Christian Hirte, Thüringer Spitzenkandidat der CDU 
    Christian Hirte, Thüringer Spitzenkandidat der CDU  © Martin Debes

    Ausländerfeindlichkeit war immer schon ein Thema. Nicht nur in Deutschland. Wir müssen ganz frühzeitig Bildung und Aufklärung betreiben, wir müssen die Leute sensibilisieren, auch sensibel mit Sprache umzugehen, sich der eigenen Geschichte und bestimmten Entwicklungen bewusst zu sein, damit man vermeidet, dass Leute abdriften. Und wir brauchen für diejenigen, die abgedriftet sind, Programme.

    Es gibt aber nicht nur einen Unterschied zwischen besser gebildet und weniger gut gebildet, sondern auch einen zwischen Stadt und Land, oder?

    Es gibt einen ganz klaren Zusammenhang: Wer Ausländer in seinem eigenen Umfeld kennt, gemeinsam mit ihnen in die Schule gegangen ist oder mit ihnen zusammen arbeitet, der hat deutlich weniger Vorbehalte. Das ist auf dem Dorf, gerade im Osten, viel weniger ausgeprägt als andernorts. Aber die Bildung gilt im Dorf genau wie in der Stadt. Da haben die Schulen den gleichen Auftrag. Und wir haben die Hotspots gewalttätiger Ausschreitungen eher in den Städten als in den Dörfern, weil das in den Dörfern eher mit einem – in Anführungszeichen – „funktionierenden sozialen Umfeld“ gehändelt wird.

    Ist es nicht eher andersherum?

    Da spricht etwas dafür. Aber wenn man sich zum Beispiel den NSU anschaut: Das sind alles Leute, die aus einem städtischen Umfeld kamen. Wenn man sich rechtsextreme Strukturen anschaut: Die sind ganz selten in den Dörfern, sondern eher in den größeren Städten, weil es dort eine gewisse kritische Masse gibt, um solche Leute zusammenzubringen. Der Punkt ist, dass die Politik in der Stadt wie im Dorf mit den gleichen Maßnahmen handeln muss – nämlich vor allem mit Bildung. Die Leute müssen aufgeklärt werden.

    Alle Fragen und die Antworten der Politikerinnen und Politiker:

    Was würde sich durch Ihr Mandat konkret verändern?

    Was tun Sie für junge Menschen, die sich in der Corona-Zeit von der Politik vergessen gefühlt haben?

    Warum muss ich mich impfen lassen, um meine Freiheit zurückzubekommen?

    Warum muss Deutschland das Klima retten, aber größere Verursacher werden nicht zur Verantwortung gezogen?

    Warum hört die Politik nicht auf die Wissenschaft?

    Was tun Sie, um das Klima für zukünftige Generationen zu retten?

    Warum verdienen Auszubildende in sozialen Berufen so wenig Geld?

    Warum verdienen Pflegekräfte so wenig, trotz ihres harten Jobs?

    Was tun Sie gegen Bildungsungerechtigkeit?