Erfurt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich am Montag im Thüringer Landtag für eine Lohnangleichung zwischen Ost- und Westdeutschland ausgesprochen. Am Nachmittag erhält der 64-Jährige in Geisa den Point-Alpha-Preis.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich im Thüringer Landtag für starke Regionen in einem einigen Europa ausgesprochen. Das europäische Leben finde nicht in Brüssel statt, das sei nur das Europa von oben. „Thüringen ist das richtige Europa, weil hier in den europäischen Regionen das europäische Leben pulsiert“, so Juncker. Auch deshalb versuche er immer wieder, der Käseglocke Brüssel zu entgehen und vor Ort mit Bürgern zu sprechen. Mehr als 61 Prozent Wahlbeteiligung in Deutschland bei den Europawahlen hätten bei allen Unterschieden der Wahlentscheidungen gezeigt, dass die Menschen keinen stupiden Nationalismus oder ausgrenzenden Populismus wollten.

Das verbiete aber niemandem, Patriot zu sein. „Wir müssen uns unserer Nationen nicht schämen“, sagte Juncker vor vielen Schülern und Studenten. Europa sei nicht gegen die Völker, sondern nur mit ihnen zu machen. Jeder Patriot in Europa verdient denselben Respekt und solle nicht beschimpft werden. „Aber wir wollen auch ein Europa, das transparent ist, das man nachvollziehen und mitvollziehen kann. Deshalb bin ich gegen ein Europa hinter verschlossenen Türen“, sagte Juncker.

Juncker kritisiert Landesregierung

Thüringen kritisierte er dafür, dass es bisher kaum verfügbare Mittel aus dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen abruft. „Man beklagt sich über die Kürzung der Haushaltsmittel für Agrarsubventionen, aber das verfügbare Kapital, das da ist, wird ungenügend genutzt. Ich hätte gern, dass man das ändert“, sagte Juncker.

Als eine der größten Herausforderungen für Europa bezeichnetet der EU-Präsident die Angleichung der sozialen Lebensverhältnisse. „Wir kommen in Europa nicht weiter, wenn wir uns dem Thema Soziales Europa nicht mit riesen Schritten annähern“, sagte Juncker. Die EU-Kommission habe 2017 in Göteborg Grundsätze für ein gerechteres und sozialeres Europa auf den Weg gebracht, diese müssten nun von den Nationalstaaten und den Regionen umgesetzt werden. „Für die gleiche Arbeit am gleichen Ort muss man den gleichen Lohn beziehen. Die bestehenden Diskrepanzen und die Tatsache, dass Menschen 4 oder 5 Arbeitsstellen benötigen, um überhaupt am Ende des Monats zurecht zu kommen – das ist nicht das soziale Europa, von dem ich träume. Europa ist nicht der Platz, wo Menschen, die arbeiten, fast genauso arm sind, als wenn sie nicht arbeiten würden“, sagte Juncker in seiner immer wieder von Beifall unterbrochenen Rede.

„Ostdeutschland braucht höhere Löhne“

Deshalb sei er auch dafür, dass es überall in Europa einen Mindestlohn geben sollte. Der könne zwar nicht überall dieselbe Höhe haben. Jeder sollte aber Anspruch auf einen Mindestlohn haben, der der Ausdruck des Willens ist, jede Arbeit einer gerechten Entlohnung zuzuführen. „Die Würde der Arbeit ist ein Wert, den wir langsam aus den Augen verloren haben. Dass führt dazu, dass sich viele arbeitenden Menschen von Europa abwenden. Wir haben es in der Hand, diese Menschen zurückzugewinnen“, sagte Juncker. In diesem Zusammenhang sprach er sich auch für eine Angleichung der Löhne in Ost- und Westdeutschland aus. Das Lohngefälle zwischen West und Ostdeutschland ist zu hoch. Das kann man nicht laufen lassen. Eine Angleichung gehört zum sozialen Europa. Ostdeutschland braucht höhere Löhne“, so Juncker.

Am Nachmittag nimmt der EU-Präsident in der Grenz-Gedenkstätte Point-Alpha im Südthüringischen Geisa den Point-Alpha-Preis für Verdienste um die Europäische Einigung entgegen. Die Ehrung ist mit einem Preisgeld über 25.000 Euro verbunden. In der Begründung des Kuratorium heißt es dazu, durch sein langjähriges Wirken trage der 64-Jährige Juncker entscheidend zum europäischen Einigungsprozess bei. Den 2005 geschaffenen Preis erhielten bisher Persönlichkeiten wie Helmut Kohl, Michail Gorbatschow und George H. W. Busch, Lech Walesa oder der Liedermacher Wolf Biermann.