Berlin. Ein Untersuchungsausschuss im Bundestag soll die Rolle von Scholz in der Cum-ex-Affäre beleuchten. Was das für den Kanzler bedeutet.

Vielleicht hat Olaf Scholz an jenem Freitagabend im vergangenen Sommer wirklich gehofft, die Sache sei erledigt. Dreieinhalb Stunden lang hatte ein Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft den Bundeskanzler zu seiner Rolle in der Steueraffäre um die Privatbank M.M. Warburg befragt. Scholz hatte zunehmend gereizt erklärt, dass er sich an das Wesentliche nicht erinnere und er eigentlich nichts zur Aufklärung beitragen könne. Nun trat er vor die Journalisten und fasste die Sache aus seiner Sicht zusammen: Es liege alles auf dem Tisch, erklärte er. „Da war nichts.“

Acht Monate später ist der Fall für den Kanzler immer noch nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Die Unionsfraktion im Bundestag will diese Woche einen Untersuchungsausschuss auf den Weg bringen, um Scholz‘ Verhalten in der Affäre näher zu beleuchten. Was als Hamburgensie begann, rückt damit in den Mittelpunkt der Bundespolitik.

Olaf Scholz: Als Hamburger Bürgermeister lud er beschuldigte Banker ein

Im Kern geht es darum, dass sich Olaf Scholz als Hamburger Bürgermeister in den Jahren 2016 und 2017 mehrfach mit zwei Privatbankern getroffen hat, gegen die damals die Staatsanwaltschaft wegen Steuerbetrugs ermittelte. Sie wurden verdächtigt, die Stadtkasse mit Hilfe sogenannter Cum-ex-Geschäfte um einen dreistelligen Millionenbetrag erleichtert zu haben. Obwohl Scholz die Vorwürfe kannte, lud er die einflussreichen Bankiers mehrfach zu vertraulichen Gesprächen ins Rathaus ein.

Unstrittig ist heute: Scholz ließ sich von den Bankern erklären, warum sie sich für unschuldig hielten und warum sie es ungerecht fanden, dass das Finanzamt die erbeuteten Millionen zurückhaben wollte. Er ließ sich Unterlagen überreichen, rief einen der Banker von sich aus an und erklärte ihm, an wen er sich mit seinem Problem wenden könne. Und er sprach mehrmals mit einem SPD-Parteifreund, der als Lobbyist für die Bank tätig war.

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Cum-Ex: Es gibt einen Verdacht gegen Olaf Scholz

Aus Scholz‘ Sicht zeigen die Treffen, was für ein guter Bürgermeister er war: nah an den Sorgen der Menschen seiner Stadt. Jeder habe bei ihm Termine bekommen, sagt er. Für Scholz‘ Kritiker wirft das Verhalten jedoch Fragen auf: Sollte ein Bürgermeister potenziellen Steuerbetrügern mehrfach Audienzen gewähren? Sollte er sich ohne Zeugen mit ihnen treffen? Ihnen freundliche Hinweise geben?

Zumal es neben dem unbestrittenen Vorgang auch einen Verdacht gibt: Auf Rat von Scholz wandten sich die Bankiers damals an den Finanzsenator der Stadt, den heutigen Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Der alarmierte die zuständigen Abteilungen der Finanzverwaltung, und wenige Tage später entschieden die Beamten, auf eine Millionenforderung gegen die Bank zunächst zu verzichten. Fiel die Entscheidung, weil Scholz nach den Gesprächen mit den Bankern intervenierte?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) musste sich im August des vergangenen Jahres im Untersuchungsausschuss in Hamburg den Fragen der Abgeordneten stellen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) musste sich im August des vergangenen Jahres im Untersuchungsausschuss in Hamburg den Fragen der Abgeordneten stellen. © dpa | Markus Scholz

Cum-Ex-Untersuchungsausschuss: Bundestag hat Zugang zu weiteren Akten

Diese Frage versucht seit zwei Jahren ein Untersuchungsausschuss in Hamburg zu beantworten. Dutzende Zeugen wurden befragt, Tausende Seiten Akten ausgewertet. Der Ausschuss hat gezeigt, wie schwer sich die Hamburger Finanzbeamten mit komplexem Steuerbetrug taten; wie groß die Nervosität im Fall der gut vernetzten Bank war; wie eng die Kontakte zwischen der Privatbank und der Hamburger SPD waren und wie sehr sich städtische Beamte um das Wohlergehen der Bank bemühten. Beweise, dass die Beamten auf direkte Weisung von oben handelten, hat der Untersuchungsausschuss allerdings keine gefunden. Scholz hält sich deswegen für entlastet.

Wird ein Untersuchungsausschuss in Berlin neue Erkenntnisse bringen? Das ist schwer vorherzusagen. Der Bundestag kann Akten auswerten, zu denen die Hamburger Bürgerschaft keinen Zugang hat. In Bonn beginnt außerdem bald der Prozess gegen den Banker, mit dem sich Scholz damals traf. Die Staatsanwaltschaft in Köln ermittelt weiter gegen eine beteiligte Finanzbeamtin. An vielen Stellen könnten weitere Beweise auftauchen, die Scholz nicht gut aussehen lassen.

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Scholz’ eigenes Verhalten kann für ihn gefährlich werden

Das Risiko für den Kanzler ist das Kalkül der Union: Die vielen Details der Affäre zeichnen ein wenig schmeichelhaftes Charakterbild von Scholz. Der Ausschuss bietet eine große Bühne, dieses Bild zu verbreiten. Und jede weitere Enthüllung wird die Glaubwürdigkeit des Kanzlers weiter beschädigen.

Die größere Gefahr für Scholz geht dabei inzwischen von seinem Verhalten seit der Aufdeckung des Skandals aus. Zunächst verschwieg der Hamburger Senat auf Nachfrage die Kontakte von Scholz mit den Bankiers. Als dann eines der drei Treffen aufgedeckt wurde, polterte Scholz gegen Journalisten, das alles sei „heiße Luft“. Als später die weiteren Kontakte öffentlich wurden, erklärte er plötzlich, er könne sich an die Treffen nicht mehr erinnern.

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Hat Scholz gelogen?

Scholz gilt als akribischer Aktenkenner mit einem ausgezeichneten Gedächtnis. Vergisst er Gespräche über einen Steuerbetrug in dreistelliger Millionenhöhe? Der Ausschuss in Berlin soll daher auch beleuchten, wie Scholz und sein Team in der Aufklärung agiert haben. Die zentrale Frage dabei: Hat Scholz gelogen?

Nach den ersten Berichten wurde er im März und Juli 2020 zweimal im Finanzausschuss des Bundestages befragt. Damals war nur ein Treffen bekannt. Scholz berichtete, dass er mit den Bankern über verschiedene Themen gesprochen habe, dass er aber nur zugehört und seine Position nicht offengelegt habe. So steht es in den Protokollen der beiden Sitzungen.

Die Passagen stehen im Widerspruch zu den Erinnerungslücken, die Scholz wenige Monate später behauptete. Abgeordnete von Union und Linke fühlen sich nun angelogen. Die SPD hat dagegen eine Erklärung parat: Scholz habe nicht aus eigener Erinnerung berichtet, sondern nur das wiedergegeben, was er in den Medien gelesen habe.

Auch Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt muss aussagen

Doch selbst dann bleiben Fragen: Warum hat Scholz nicht von Anfang an gesagt, dass er sich nicht erinnern kann? Warum hat er auf Nachfrage nicht die beiden anderen Treffen angegeben? Warum hat er seinen Kalender damals nicht überprüfen lassen?

Es sind diese Ungereimtheiten, die sich die Union in Berlin zunutze machen will. Das dürfte ungemütlich für Scholz werden. Mehrere seiner engsten Vertrauten werden aussagen müssen, unter anderem Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD). Dann wird es um fehlende Kalendereinträge gehen, um die Nutzung privater E-Mail-Adressen für dienstliche Zwecke, um Diffamierungen von Journalisten und wenig Respekt gegenüber Parlamenten. Und Scholz wird wohl wenig anderes übrigbleiben, als erneut zu betonen, dass er sich an das Wesentliche nicht erinnern kann.