Welche Fragen bewegen junge Menschen in Thüringen? Die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der sechs Bundestagsparteien antworten.

Leonie Jurtzig, 19, Auszubildende in der Kinderkrankenpflege aus Suhl, fragt: „Warum verdienen Pflegekräfte so wenig, trotz Ihres harten Jobs?“ Das sind die Antworten der Kandidatinnen und Kandidaten.

Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen)

Katrin Göring-Eckardt, Thüringer Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen
Katrin Göring-Eckardt, Thüringer Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen © Luise Giggel

Wir schlagen eine doppelte Pflegegarantie vor und wollen der Pflege einen neuen Wert geben. Das heißt erstens, wir bezahlen die Pflegekräfte ausreichend und es sind genügend Stellen da und zweitens müssen auch genügend Pflegeleistungen da sein. Damit niemand Sorge haben muss, immer mehr zuzahlen zu müssen und sich das nicht leisten zu können.

Wie kann man denn die Wertschätzung für Pflegende noch anders als finanziell zum Ausdruck bringen?
Auf jeden Fall nicht mit dem Klatschen auf dem Balkon. Natürlich war es gerade auch in der damaligen Situation angemessen. Aber es geht um das Strukturelle, also gute Bezahlung, mehr Stellen und gute Arbeitsbedingungen in der Pflegeeinrichtung. Wir haben jetzt noch nicht viel über Digitalisierung geredet. Häufig sitzen Pflegekräfte abends noch da und müssen mit der Hand aufschreiben, ob sie alles erledigt haben. Wenn sie das einfach auf einem Tablet abhaken können, wäre das schon mal Zeitersparnis.

Unser Gesundheitswesen kann nicht nur auf Gewinn ausgerichtet sein. Denn so wird nur am Personal gespart und das ist genau das Gegenteil dessen, was wir brauchen.

Sollte man die Pflegeversicherung reformieren?

Ja, wir brauchen bei der Pflege und auch beim Gesundheitssystem insgesamt eine Reform. Alle sollten einzahlen, also auch zum Beispiel die Abgeordneten – wie ich –, die Beamtinnen und Beamten. Das ist erstmal weniger ein finanzieller Aspekt, aber das bedeutet Gerechtigkeit und Solidarität. In die doppelte Pflegegarantie soll auch Geld aus dem Bundeshaushalt, also gesamtstaatliches Geld, reinfließen, damit es funktioniert. Ich finde aber, das ist es wert.

Susanne Hennig-Wellsow (Die Linke)

Susanne Hennig-Wellsow, Thüringer Spitzenkandidatin der Partei Die Linke.
Susanne Hennig-Wellsow, Thüringer Spitzenkandidatin der Partei Die Linke. © Flora Hallmann

Die Pflege in Krankenhäusern und Altenheimen wird zu wenig bezahlt. Ich glaube, das größte Problem für Lebens- und Familienplanung und Freizeit ist die Planbarkeit der Arbeit. In der Pflege gibt es die sogenannten Diagnosis Related Groups (DRGs), nach denen sich richtet, wie die Krankenplanung aussieht. Es bedeutet einen hohen Druck für die Beschäftigten. Wir haben viel zu wenig Fachkräfte und rutschen in einen großen Fachkräftemangel, wenn sich die Ausbildungszahlen nicht erhöhen. In der Altenpflege sind gerade Tarifverhandlungen, die eine Verbesserung bedeutet hätten, gescheitert, was sehr, sehr schade ist. Gerade diese Leute, die uns auch durch die Corona-Krise geführt haben, kämpfen noch tagtäglich mit dem Virus und erleben, wie ihre Bewohner und Patienten sterben. Das finde ich katastrophal scheiße, anders kann man das nicht sagen.

Deshalb: Gehalt hoch, DRGs weg, eine neue Berechnung, Fachkräfte ausbilden in der gesundheitlichen Arbeit, und vor allem Gesundheit nicht dem Profit unterordnen, sondern als Daseinsvorsorge für uns alle verstehen. Wir wollen für die Pflege in Krankenhäusern und in der Altenpflege die Gehälter erhöhen. Wir unterstützen Tarifkämpfe, die die Beschäftigten führen. Wir wollen ein neues Berechnungssystem. Wir wollen, dass mehr Fachkräfte ausgebildet werden. Und wir wollen natürlich, dass die Anerkennung der Pflege auch dem entspricht, was sie den ganzen Tag tun. Das bedeutet für PolitikerInnen, nicht nur anzukündigen, was man tun will, sondern es tatsächlich auch zu tun. Gesundheit ist eine Lebensgrundlage und gehört nicht dem Profit untergeordnet.

Warum verdienen Pflegekräfte so wenig, trotz ihres harten Jobs?

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    Gerald Ullrich (FDP)

    Gerald Ullrich ist Spitzenkandidat der FDP in Thüringen.
    Gerald Ullrich ist Spitzenkandidat der FDP in Thüringen. © Philipp Brendel

    Die Pflege wurde noch nicht gewürdigt. Die Pflege wird über die Kassen getragen, aber in denen ist nur das Geld drin, was eingezahlt worden ist. Mehr kann nicht ausgezahlt werden. Wir müssen mehr Geld in diese Kassen bekommen, für die Menschen, die in der Pflege arbeiten. Ein Großteil des Geldes in der Pflegekasse wird für immer mehr Leistungen verwendet. Wir müssen uns eventuell darauf einstellen, bestimmte Kernbereiche in der Pflege abzudecken und den Beruf entsprechend über Löhne und Gehälter zu würdigen.

    Sie sprechen in Ihrem Wahlprogramm von vielen Entlastungen für die Bürger. Doch wie sollen die Steuerausfälle finanziert werden?

    Über Wirtschaftswachstum. Mit einer gesunden Politik setze ich darauf, dass wir ein Wirtschaftswachstum haben werden. Man kann nie zu 100 Prozent sicher sein, dass das funktioniert. Aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass wir mit mehr Steuern und Abgaben das genaue Gegenteil erreichen.

    In Ihrem Wahlprogramm steht, dass die Sozialausgaben bei 50 Prozent des Haushalts gedeckelt werden sollen. Müssten dafür gegebenenfalls Maßnahmen gestrichen werden, um diese Grenze einzuhalten?

    Der Staat hat eine sehr große Reserve darin, Bürokratie abzubauen. Wenn wir Bürokratie abbauen, werden wir auch von diesen hohen Kosten runterkommen. Ich habe gelesen, dass im kleinen Land Thüringen zusätzlich 1100 zusätzliche Stellen in der öffentlichen Verwaltung geschaffen werden sollen (Anm. d. Redaktion: Thüringer Ministerien wollen ihr Personal 2022 um 1100 neue Stellen aufstocken). Wenn wir das immer weiter ausdehnen, aber es eigentlich mit Digitalisierung umkehren möchten, dann stimmt da etwas nicht. Wir haben einen Wust an Bürokratie. Dort ist unser Potenzial, um kurzfristig noch Ressourcen zu finden.

    Stephan Brandner (AfD)

    Stephan Brandner, Thüringer Spitzenkandidat der AfD.
    Stephan Brandner, Thüringer Spitzenkandidat der AfD. © Flora Hallmann

    Die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften sind hart und das kann die Politik nicht beeinflussen. Anders ist das, wenn wir über Arbeitszeiten, Personalschlüssel und Ähnliches reden. Aber die Tätigkeit als solche wird immer schwierig bleiben. Gerade bei den Pflegeberufen ist es auch so, dass das irgendjemand bezahlen muss. Das ist also immer eine Abwägung. Ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen, weil ich kein Experte auf dem Gebiet bin. Aber wenn ich die Pflegekräfte besser bezahle, muss ich zwingend auch an den Lohnnebenkosten drehen, konkret an der Pflegeversicherung.

    Wäre es Ihrer Meinung nach denn nötig, daran zu drehen?

    Man müsste sich erst einmal angucken, was alles aus der Pflegeversicherung bezahlt wird. Dann muss man sehen, ob es genug Pflegekräfte gibt oder ob sich viele wegen der zu geringen Entlohnung verabschieden. Dann müsste man natürlich gegensteuern und das ganze über Angebot und Nachfrage, also über den Preis, regeln. Als AfD stehen wir aber auch für eine Stärkung der häuslichen Pflege. Auch das würde die Pflegekräfte deutlich entlasten.

    Stichwort Fachkräftemangel: Was haben Sie für Konzepte, um mehr Leute in soziale Berufe zu locken?

    Es ist nun einmal sehr unattraktiv, in der Pflege zu arbeiten: verhältnismäßig wenig Gehalt, viel und emotionale Arbeit, Zeitdruck. Es geht ja nicht nur um Geld, sondern auch um die Arbeitszeiten, Personalschlüssel, Qualifizierungsperspektiven, Ausbildungsdauer und anderes. Als Politiker muss ich schauen, ob es irgendwo ein Defizit gibt. Wenn eines da ist, muss ich schauen, wie ich das beheben kann. Das geht über die Entlohnung oder über Eingriffe in die Arbeitsbedingungen.

    Und Sie würden da eher bei der Entlohnung etwas machen?

    Wenn man sagt, da ist ein Notstand, muss man nicht nur eine Sache machen, sondern ein Konzept erarbeiten. Aber ich kann jetzt hier am Schreibtisch als Rechtspolitiker nicht sagen, welcher Strauß an Maßnahmen durch die Sozialpolitiker entwickelt werden müsste.

    Carsten Schneider (SPD)

    Carsten Schneider, Spitzenkandidat der SPD in Thüringen
    Carsten Schneider, Spitzenkandidat der SPD in Thüringen © Felix Apel

    Bei der Pflege haben wir eine ordentliche Erhöhung in den letzten Jahren gehabt. (Anm. d. Redaktion: In der Altenpflege stiegen die Löhne um fast 16 Prozent, in der Gesundheits- und Krankenpflege um zehn Prozent. Zudem sollen künftig Tarifverträge in der Altenpflege Anwendung finden.)

    Es wird nicht reichen, um zusätzlich Leute zu gewinnen. Zumal wir hohe Abbrüche haben. Es gibt viele, die die Ausbildung machen und zwei oder drei Jahre dort arbeiten, die aber, weil die Arbeitsbelastung so hoch ist, in einen anderen Beruf wechseln. Das können wir uns angesichts steigender Pflegefälle nicht leisten. Deswegen wird die Bezahlung der Pflegekräfte hoch gehen müssen.

    Was sollte eine Altenpflegerin im Altenheim pro Stunde verdienen?

    Das ist eine Frage, die jeder unterschiedlich für sich beantwortet. Für was bin ich bereit, diese Arbeit zu machen? Ich halte das für so anstrengend und auch intensiv und emotional angehend, dass das im Bereich von 16 bis 18 Euro liegen sollte.

    Christian Hirte (CDU)

    Christian Hirte, Spitzenkandidat der CDU Thüringen
    Christian Hirte, Spitzenkandidat der CDU Thüringen © Martin Debes

    Die Vergütung von Pflegekräften ist in den letzten Jahren sehr viel besser geworden. Wir haben deutliche Lohnsteigerungen gehabt und werden künftig weitere haben, sowohl in der Alten- als auch in der Krankenpflege. Da sehen wir eine große Dynamik bei der Lohnentwicklung, weil auch der Bedarf für Pflegekräfte da ist. Ich kann den jungen Leuten nur mit auf den Weg geben: Pflege ist attraktiv und wird ein noch attraktiverer Beruf, auch in der Bezahlung, weil die Leute so stark gesucht werden.

    Wie kann man die bessere Bezahlung denn dauerhaft sichern? Wäre da der Mindestlohn eine Option?

    Pflegekräfte sind weit oberhalb des Mindestlohnes. Der spielt überhaupt keine Rolle, weil sie eben in ganz anderen Größenordnungen Geld verdienen. Das heißt, Pflegekräfte hätten überhaupt nichts davon, wenn man den Mindestlohn erhöht.

    Wenn wir etwa von Pflegekräften in Sub- oder Sub-Sub-Unternehmen sprechen, dann gibt es sicher auch Menschen, die davon noch profitieren würden.

    Pflegekräfte sind stark gesucht. Sie müssen Pflegekräfte gut bezahlen, sonst bekommen Sie als Arbeitgeber schlicht keine.

    Alle Fragen und die Antworten der Politikerinnen und Politiker:

    Was würde sich durch Ihr Mandat konkret verändern?

    Was tun Sie für junge Menschen, die sich in der Corona-Zeit von der Politik vergessen gefühlt haben?

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    Warum muss Deutschland das Klima retten, aber größere Verursacher werden nicht zur Verantwortung gezogen?

    Warum hört die Politik nicht auf die Wissenschaft?

    Was tun Sie, um das Klima für zukünftige Generationen zu retten?

    Warum verdienen Auszubildende in sozialen Berufen so wenig Geld?

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    Welche Lösungen haben Sie im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus?