Altenburg. 170 Werke aus den vier Werkreihen „Fratelli d’Italia“, „Purple Desk“, „Leiermann“ und „Das Meisterstück“

Im Lindenau-Museum Altenburg ist aktuell die zweite großangelegte Sonderausstellung des Jahres zu sehen. Nach den meisterlichen Blättern der Bauhaus-Mappenedition „Neue Europäische Graphik“ bewegt sich das Haus mit den konzeptuellen und behutsam komponierten Fotografien Matthias Schallers wieder ganz in der Gegenwart. Gezeigt werden 170 Werke aus mehreren Serien.

Matthias Schaller präsentiert seine Fotografien seit über zwei Jahrzehnten einem internationalen Publikum. Das Lindenau-Museum widmet ihm diesen Sommer eine Personalausstellung, die vier seiner Werkreihen in den Fokus rückt: „Fratelli d’Italia“, „Purple Desk“, „Leiermann“ und „Das Meisterstück“. Jede Reihe präsentiert sich in einem eigenen Raum, verleiht ihm so ein individuelles „Gesicht“ und tritt auf einmalige Weise in Dialog mit dem Gebäude und seinen Sammlungen.

Die Arbeiten des Fotografen Matthias Schaller handeln von Individuen und Kulturen. Doch sie zeigen keine Personen, sondern menschenleere Räume, die auf die Abwesenden verweisen und deren Anwesenheit kraftvoll hervorrufen.

In den vergangenen 20 Jahren arbeitete Schaller im Spannungsfeld zwischen Dokumentation und Konzeptkunst an mehreren viel beachteten Fotoserien. Für das Lindenau-Museum mit seinem Schwerpunkt italienischer Kunst wurden nun Serien ausgewählt, die sich überwiegend mit der Kultur und Geschichte Italiens auseinandersetzen.

In Gänze präsentiert wird die Serie „Fratelli d’Italia“, zu Deutsch „Brüder Italiens“. Sie umfasst 150 Fotografien von italienischen Opernhäusern, die Schaller zu einer monumentalen Wandcollage arrangiert.

Auf seinen Reisen von Südtirol bis Sizilien fotografierte Schaller vom Bühnenraum aus in stets gleicher Perspektive und montierte in alle Bilder dasselbe Parkett. Damit unterstreicht er den Eindruck der baulichen Ähnlichkeit der Opernsäle, die allesamt während des Risorgimento – der italienischen Einigungsbewegung im 19. Jahrhundert – erbaut wurden.

Der Titel der Serie ist der italienischen Nationalhymne entnommen. Die Musik, vor allem die Kompositionen Giuseppe Verdis, war bei der Konstruktion einer italienischen Nation von entscheidender Bedeutung. Die Vielfalt der Kulturen Italiens sollte mit dem Bau der Opernhäuser auf einen Nenner gebracht werden. Schallers Zusammenschau der Opernsäle verweist auf die Fiktion und Widersprüchlichkeit dieses Unterfangens, steht aber auch für den Hang der Italiener zu Inszenierung, Theatralik und Glamour.

Mit der Serie „Leiermann“ (2010–2018) schuf Schaller ein melancholisches Porträt der Stadt Venedig. Frontal aufgenommene Spiegel, über die sich die Patina der Zeit gelegt hat, gewähren verschwommene Einblicke in die verwitterten Prunksäle verlassener Palazzi der Lagunenstadt. Kein Mensch ist auf den Bildern zu erkennen, allenfalls Spuren vergangenen Lebens wie Gemälde an den Wänden, Kronleuchter, Tische und Polstersessel im Rokokostil. In Anspielung auf den demografischen Wandel, bei dem die Bewohner von einem ausufernden Massentourismus aus der Stadt verdrängt werden, fertigte Schaller Bilder des Verlassenwerdens und der Leere. Venedig, die Wahlheimat des Künstlers, wird in „Leiermann“ zur schmerzlich unbewohnten Kulisse.

Der Titel der Serie geht auf das letzte Stück aus Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ zurück. Schubert vertonte darin 1827 Wilhelm Müllers Gedicht „Der Leiermann“, bei dem das lyrische Ich am Ende seiner Reise einem alten Leierspieler – eine Allegorie des Todes? – gegenüber steht. Die Titel der vier ausgestellten Fotografien sind assoziativ gewählt und rufen Persönlichkeiten der venezianischen Stadtgeschichte in Erinnerung.

Im Lindenau-Museum werden vier Werke der Reihe präsentiert.

Mit dieser 2007 begonnenen Serie porträtiert Matthias Schaller bedeutende Künstler der jüngeren Kunstgeschichte anhand ihrer Malpaletten. Dabei machte der Fotograf die Erfahrung, dass die Paletten, auf denen sich noch reine oder gemischte Farbspuren befinden, oft kleine Spiegelbilder der großformatigen Gemälde der Maler sind.

Auch der Prozess des Malens und das Temperament des Malers scheint auf ihnen ablesbar zu sein. Schaller bringt die Malpaletten ins Großformat und beschneidet sie am unteren Rand.

Während eines Atelierbesuchs in Gaeta bei Cy Twombly, dem Träger des Gerhard-Altenbourg-Preises 2008, fiel Schaller eine Malpalette Twomblys auf. Fortan begann er, sich für dieses wichtige Arbeitsgerät zu interessieren und als indirektes Porträt zu inszenieren. Derzeit umfasst die Serie „Das Meisterstück“ Malpaletten von 84 zumeist europäischen Künstlern seit dem 19. Jahrhundert – neben den hier gezeigten etwa von Claude Monet, Paul Klee, Marc Chagall und Frida Kahlo. Im Lindenau-Museum werden die ins Großformat gesetzten Malpaletten von vier der wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten der Moderne gezeigt: ­Vincent van Gogh, Wassily ­Kandinsky, Pablo Picasso und Cy Twombly.

In dieser zwischen 2004 und 2008 entstandenen Serie setzt sich Schaller mit einer tragenden Säule der katholischen Kirche auseinander: den Kurienkardinälen im Vatikan. Diese Bischöfe gehören zum engsten Kreis des Papstes und nehmen administrative Aufgaben des Kirchenstaates wahr.

Schaller erhielt Zutritt zu den Arbeitsräumen, verrückte Einrichtungsstücke und fotografierte die Schreibtische zentriert in leichter Untersicht. So findet sich der Betrachter gleichsam als Bittsteller wieder. Allein die Abwesenheit des Kardinals im Bild verweist auf die besondere Beschaffenheit der katholischen Machtstruktur: Der Kardinal als irdisches Wesen bekleidet letztlich eine überindividuelle Funktion, in die er nur auf Zeit eingesetzt ist.

Mit „Purple Desk“ schreibt er sich subtil in eine europäische Bildtradition der Kardinalsdarstellung ein, die seit je zwischen Frömmigkeit, religiöser Machtfülle und humanistischer Gelehrsamkeit schwankt. Eine Auswahl von zwölf Fotografien der Serie bildet in der Sammlungspräsentation der frühen italienischen Tafelbilder eine spannungsvolle Gegenüberstellung und willkommene Perspektivverschiebung.