Eisenberg. Seinen 90. Geburtstag nimmt der gebürtige Holzländer Horst Weber zum Anlass, sein Leben aufzuschreiben. Darum geht es unter anderem um die Villa in der Eisenberger Adolf-Geyer-Straße 4.

Solche umfangreichen Zusendungen erreichen die Lokalredaktion eher selten. Seitenweise Dokumente, Briefwechsel und Bilder hat Horst Weber aus Mönchengladbach nach Eisenberg geschickt. Er ist 1929 in St. Gangloff geboren, in Eisenberg aufgewachsen, lebt aber seit 1953 in den westlichen Bundesländern.

Seinen 90. Geburtstag Anfang dieses Monats nahm er zum Anlass, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, denn: „Der Kopf ist noch helle.“ Zwei mit der Schreibmaschine eng beschriebene A4-Seiten sind es geworden, die von einer glücklichen und behüteten Kindheit in der Familie des Eisenberger Fuhrunternehmers Walter Schömburg erzählen, seinem Großvater. „Mein Großvater war mir in der Kindheit, der Jugend und auch später ein Vorbild, ein Leitwolf“, schreibt Horst Weber.

Schömburg hat nach den Zeilen seines Enkels 1924 eines der ersten Fuhrunternehmen in der Region gegründet, mit Lastkraftwagen und Omnibussen, Mietwagen und einer Autoreparaturwerkstatt. Das prägt auch den Jungen: „Es gibt ein Bild, auf dem ich mit einem guten Jahr auf der Motorhaube eines amerikanischen Buicks sitze.“ In den 1930er Jahren werden Villa und Nebengebäude in der Adolf-Geyer-Straße 4 zum Familien- und Firmensitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Weber Werkstudent in ­Jena und im MZ-Motorradwerk Zschopau.

Endlich abschließen mit diesem Kapitel?

1953 konnte er eine lange beantragte Besuchsreise ins Rheinland antreten, zu einer Familie, die 1944 als Evakuierte im Hause Schömburg untergebracht war. „Ich vergesse nie, wie ich unterhalb der Wartburg bei Eisenach die sogenannte Interzonengrenze passierte und mich ein russischer Offizier in einwandfreiem Deutsch fragte, ob ich wiederkäme. Ich gab keine Antwort und fuhr auf meiner DKW-MZ 350 und mit 20 DM Wegegeld Richtung Frankfurt.“

Er fährt durch das Rheintal, an der Loreley vorbei: „Ich kannte das alles bisher nur aus den Fotoalben von zu Hause. Mit den Bussen meines Großvaters konnten bis zum Kriegsanfang 1939 viele Eisenberger die Schönheit des Rheins ent­decken.“ Sein Gastgeber in Köln wird zum Ziehvater, meldet den jungen Mann im Volkswagenwerk Wolfsburg für eine Ausbildung zum Vertriebsmanager an.

Horst Weber will im Westen bleiben, die Reaktion seines Vaters auf diese Entscheidung beeindruckt ihn bis heute: „Für ein Telefonat von West nach Ost brauchte man damals zwei volle Tage, meinem verblüfften Vater sagte ich nur leicht beschämt, dass ich die Nummernschilder meines Motorrades zurück schicken würde. Er antwortete: Junge, du wirst wissen, was du tust.“ 1958 heiratet Horst Weber seine Frau Rita, mit der er bis zu ihrem Tod im Spätsommer dieses Jahres glücklich ist. Sie bekommen einen Sohn und eine Tochter.

„1989/90 kam die von mir stets erwartete Wiedervereinigung.“ Sein Vater Hans betrieb in der DDR und bis zu seinem Tod ein Taxi-Unternehmen, den Sohn zieht es in die Heimat zurück. „Ich hatte große Pläne, baute mein Eigentum als einziger Erbe auf und erlebte ein Fiasko.“ Weber investierte in den ­90er Jahren rund 400.000 Euro in die denkmalgerechte Sanierung der Villa in der Adolf-Geyer-Straße 4 und dem dazugehörigen Hinterhaus. Was Horst Weber als „Fiasko“ beschreibt und Anlass für mehrere Gerichtsverhandlungen war, ist der Umstand, dass sein Großvater 1936 das Haus in der Adolf-Geyer-Straße von einer jüdischen Familie gekauft hatte. Zu einem für damalige Verhältnisse rechtmäßigen Preis, wie Weber betont, doch das schützt sein Eigentum nicht. Laut Restitutionsgesetz wird jüdisches Eigentum, dem sich zwischen den Jahren 1933 und 1945 angeeignet wurde, zurückerstattet.

2004 wird Horst Weber enteignet, nach juristischem Streit erhält er finanzielle Entschädigung. Doch das decke kaum alle angefallenen Kosten: „Ich lebe heute von Grundsicherung“, sagt er mit bitterem Ton in der Stimme. Jahrelang streitet er sich mit dem Freistaat um Fördermittel, die ihm seiner Meinung nach für die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes zustehen – auch das erfolglos.

Vielleicht hat er das alles noch einmal aufgeschrieben und nachdrücklich um Veröffent­lichung gebeten, um endlich mit diesem Kapitel seines Lebens abschließen zu können. Denn die Gerechtigkeit, nach der er sich sehnt, wird ihm wohl nicht mehr zuteil werden.