Saale-Holzland-Kreis. Laut „Wendepunkt“ steht Substanz ganz oben auf der Liste. Kliniken wie Asklepios haben spezialisierte Stationen

„In Deutschland sind 1,3 Millionen Menschen alkoholabhängig und 2,7 Millionen Menschen missbrauchen Alkohol“, sagt Udo Polzer, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Allgemeine Psychiatrie/Psychotherapie, Gerontopsychiatrie und Suchterkrankungen am Asklepios Fachklinikum Stadtroda. Laut dem Thüringer Landesamt für Statistik wurden im Jahr 2017 insgesamt 11 529 Menschen in Thüringer Krankenhäusern infolge von Alkoholkonsum behandelt.

Auch im Saale-Holzland-Kreis ist Alkohol ein Problem. Nach Angaben des „Wendepunkt e.V.“ steht Alkohol bei den Substanzen ganz oben auf der Liste. Von 499 Klienten, die von Oktober 2017 bis Oktober 2018 die Suchtberatungsstelle mit Sitz in Eisenberg aufgesucht hatten, hätten 265 in erster Linie ein Problem mit Alkohol gehabt.

Zwei alkoholfreie Tage pro Woche empfohlen

Die Crux: Alkohol ist legal, vergleichsweise preiswert und immer erhältlich. Der Konsum ist weithin akzeptiert und wird mit Geselligkeit oder Feierabendstimmung in Verbindung gebracht. Auch dass gelegentlich „ein Schlückchen zu viel“ oder „über den Durst“ getrunken wird, gilt als okay. Doch die Grenzen zwischen Genuss, Missbrauch und Abhängigkeit können leicht verwischen.

„Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt zwei alkoholfreie Tage pro Woche“, erklärt Steffi Leipold-Haas, Oberärztin an der Abteilung für Suchterkrankungen. Menschen, denen dies schwerfiele, sollten ihr Konsumverhalten überdenken und gegebenenfalls mit ihrem Hausarzt darüber sprechen.

Dorothee Piehler, die, von der Sucht-Ambulanz des Asklepios Fachklinikums im Brandenburgischen Teupitz kommend, seit April ebenfalls als Oberärztin in Stadtroda fungiert und hier die Leitung der Sucht-Ambulanz übernommen hat, verweist in diesem Zusammenhang auf den standardisierten Audit-Fragebogen. Er folgt der Leitlinie „Alkohol bezogene Störungen“ und erfragt Häufigkeit, Menge und Modus des Alkoholkonsums.

„Wichtig ist es zu verstehen, dass Alkoholabhängigkeit eine gesetzlich anerkannte Erkrankung ist, und nicht etwa eine Willensschwäche“, betont Dorothee Piehler. Am Asklepios Fachklinikum Stadtroda steht Betroffenen eine spezialisierte Station zur Verfügung: „Auf der Station S1 werden Patienten mit Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit behandelt“, sagt Steffi Leipold-Haas. Auf der offenen Station profitieren die Patienten von einer qualifizierten Entzugsbehandlung durch ein hoch motiviertes multiprofessionelles Team aus Ärzten, Pflegern, Ergo- und Physiotherapeuten sowie Sozialarbeitern.

Die Patienten, die auf Anraten von Hausarzt, Suchtberatungsstelle, Jugendamt, Angehörigen oder aus eigener Motivation kommen, können hier anonym entgiften. Zudem bekommen die Patienten eine neutrale Aufenthaltsbestätigung, aus der lediglich hervorgeht, dass sie im Asklepios Fachklinikum Stadtroda waren.

„Der Entzug erfolgt sanft, meist medikamentös unter kurzzeitiger Zuhilfenahme des Wirkstoffs Lorazepam, der eine ähnlich dämpfende Wirkung hat, wie Alkohol. Sinn ist es, das Auftreten von Folgeschäden eines Entzugs, wie epileptische Anfälle, Bluthochdruck, Delir, Herzrasen, Angstsymptomatik, Schwitzen, Zittern, starke Unruhe oder Schlafstörungen zu vermeiden“, sagt Oberärztin Leipold-Haas. Auf Wunsch können Patienten bei geringerem Schweregrad der Alkoholabhängigkeit auch ohne Lorazepam entziehen.

Abhängig werden können Menschen, so betonen beide Oberärztinnen, prinzipiell von Alkohol jeglicher Art, nicht etwa nur von Schnaps. Wer trotz schlechter Leberwerte oder alkoholbedingten Führerscheinentzugs nicht allein mit dem Trinken aufhören kann, sollte eine Entzugsbehandlung machen.

Anzeichen für Abhängigkeit

Abhängigkeit besteht bereits, wenn über einen Zeitraum von zwölf Monaten drei der folgenden sechs Kriterien erfüllt sind: Vorverlagerung der Trinkzeit, Kontrollverlust (z.B.: wollte zwei Gläser Wein trinken, hat zwei Flaschen getrunken), Toleranzentwicklung (zum Erzielen derselben Wirkung wird immer mehr Alkohol benötigt), Suchtverlangen (starkes Verlangen nach Alkohol), Entzugssymptome beim Weglassen von Alkohol, Vernachlässigung von Körperpflege und/ oder sozialen Faktoren.

Drei Wochen dauert die qualifizierte Entzugsbehandlung in Stadtroda. In einem Aufnahmegespräch wird zunächst gemeinsam mit dem Patienten das Entzugsziel und das individuelle Entzugsschema festgelegt. „Neunundneunzig Prozent der Patienten möchten komplett mit dem Trinken aufhören“, sagt Oberärztin Leipold-Haas. Aber auch eine Trinkmengenreduktion kann das Ziel einer qualifizierten Entzugsbehandlung sein. „Jeder Patient legt für sich selbst fest, ob er kontrollierte Reduktion oder Abstinenz anstrebt“, sagt sie.

Mitbehandelt werden eventuelle Folgeschäden, wie das Korsakow-Syndrom, oder seelische Begleiterkrankungen, wie Depressionen, Angsterkrankungen, Psychosen, Persönlichkeitsstörungen oder Selbstwertkrisen.

Neben dem körperlichen und psychischen Entzug werden Alternativen und Hilfen bei Sorgen, Ängsten und Problemen gesucht und Strategien bei Suchtdruck erarbeitet. In der zweiten oder dritten Woche der Behandlung können die Patienten gelegentlich probeweise nach Hause gehen, um zu sehen, ob es dort funktioniert. Gearbeitet wird zudem an der Tagesstruktur und, wenn nötig, an der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Einbezogen werden auch die Angehörigen.

Im Anschluss an Entgiftung und die vollstationäre Langzeittherapie in einer Rehabilitationseinrichtung sollten die Betroffenen weiterhin ambulant betreut werden.

„Unsere Suchtambulanz richtet sich an Patienten mit schweren Folgeerkrankungen und psychischen Begleiterkrankungen, also an Patienten, bei denen die Suchterkrankung einen hohen Stellenwert einnimmt und die einer besonderen engmaschigen psychiatrischen Weiterbehandlung bedürften“, sagt Oberärztin Dorothee Piehler. (CA)