750 Teilnehmer bei „Corona-Spaziergang“ in Gera - Kritik an Kemmerich

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Spaziergang gegen Corona-Einschränkungen in Gera.

Spaziergang gegen Corona-Einschränkungen in Gera.

Foto: Marcel Hilbert

Zahlreiche Menschen beteiligten sich in Gera an einem Spaziergang gegen Corona-Einschränkungen. Unter Ihnen: Thüringens Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich.

750 Teilnehmer haben sich am Samstagnachmittag einem sogenannten Spaziergang durch die Geraer Innenstadt angeschlossen. Anders als vor einer Woche war dieser Protest gegen die Einschränkungen in der Corona-Krise bei der Geraer Stadtverwaltung angemeldet worden. Alleiniger Anmelder, wie er betonte, war der Geraer Unternehmer Peter Schmidt, zwar Mitglied im CDU-nahen Wirtschaftsrat, „aber kein Politiker“. Von einem solchen erhielt er Unterstützung: Thüringens Ex-Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP).

Vor seiner später heftig kritisierten Demo-Teilnahme sagte Kemmerich unserer Redaktion, ihm gehe es um eine Diskussion, die geführt werden müsse, da es jetzt eine andere Lage sei als Mitte März. Der Weg zurück zur Normalität müsse konsequent gegangen werden, mit Maß und Mitte und natürlich auch mit Blick auf den Schutz der Gesundheit.

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Kemmerich: Gesicht zeigen gegen Verschwörungstheorien

Gleichzeitig, sagte er vor der Demo, ginge es ihm mit seiner Teilnahme auch darum, Gesicht zu zeigen und die Veranstaltung nicht von bestimmten Seiten vereinnahmen zu lassen. Er halte nichts von Verschwörungstheorien, sagte er.

Seine Rede auf dem Geraer Markt wurde mehrfach von Zwischenrufen gestört. Eike Wachowiak, AfD-Lokalpolitiker aus der Region, warf ihm aus dem Publikum heraus „Verrat am konservativen Lager“ vor und reihte sich in kleinere „Hau ab!“-Sprechchöre in Richtung Kemmerich ein.

Corona-Auflagen vielfach nicht eingehalten

Bis auf diese Misstöne verlief die etwa einstündige Versammlung störungsfrei und friedlich, resümierte die Polizei, die mit einem Großaufgebot die Demo absicherte. Kritik nach der Veranstaltung gab es an der hohen Zahl der Teilnehmer trotz derzeit gültiger Begrenzungen und auch daran, dass Mindestabstände häufig nicht eingehalten, Mund-Nasenschutz zumeist nicht getragen wurden.

FDP-Bundeschef Christian Lindner distanzierte sich vom Thüringer Landesvorsitzenden. „Die Aktion von Thomas Kemmerich schwächt unsere Argumente. Ich habe dafür kein Verständnis“, schrieb Lindner auf Twitter.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) kritisierte die Geraer Demo ebenso wie Kemmerichs Teilnahme. „Abstand halten oder Mund/Nasenschutz/Bedeckung? -- Fehlanzeige! Vorbildfunktion? – Fehlanzeige!“, so Ramelow auf Twitter.

Kemmerich bedauert Teilnahme an Demo

Kemmerich hat seine Teilnahme an der Demo später bedauert. Er habe hier nicht „die nötigen Sensibilität“ gezeigt, sagte er in einer Videopressekonferenz am Sonntag. „Dafür kann ich mich nur entschuldigen.“ Die Veranstaltung habe sich anders entwickelt, als er erwartet habe – was die Größe, aber auch die Nichteinhaltung des Sicherheitsabstands durch Demonstranten betreffe. „Das habe ich vorher nicht gesehen, das ist mehr als bedauerlich“, so Kemmerich.

Peter Schmidt kündigte an, nicht jeden Samstag eine Versammlung anzumelden, ermutigte aber andere, dies zu tun. Die Stadt hatte im Vorfeld bestätigt, dass es eine Genehmigung unter Auflagen gab. Auch die Teilnehmerzahl sei eigentlich auf maximal 50 Leute zu begrenzen gewesen, bestätigte Schmidt, man sei sich beim Vorab-Treffen mit Stadt und Polizei aber einig gewesen, dass man dies ohnehin nicht steuern könne, sagte er vor Beginn der Demo.

Beschwerden nach ungenehmigtem "Spaziergang"

Nach dem ungenehmigten „Spaziergang“ in der Vorwoche hatte es mehrere Beschwerden gegeben, wie die Stadt auf Nachfrage erklärte. Man „prüft derzeit rechtliche Möglichkeiten gegen einzelne Beteiligte.“

Bei der Frage nach einer Positionierung der Stadtverwaltung zu dieser Form des Protestes wird auf eine Pressemitteilung verwiesen, die aber nicht konkret Bezug auf die Demos nimmt. Darin appellieren Geras OB Julian Vonarb (parteilos) und der Krisenstab der Stadt an die Eigenverantwortung der Bürger.

„Die Nichteinhaltung der Hygiene- und Schutzmaßnahmen gefährdet alle derzeitigen Bemühungen, Lockerungen durchzusetzen und kann unsere Unternehmer in eine weitere, ihre Existenz bedrohende Lage bringen“, so Vonarb.

Unterdessen wirkt sich die angespannte Corona-Lage im Landkreis Greiz negativ auf dortige Selbstständige aus. Wie zum Beispiel ein Immobilienmakler aus Greiz berichtet, sind ihm Kunden abgesprungen, weil sie von der Situation erfahren haben.

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