Jena. Eine Podiumsdiskussion war in Jena der Forschung zur Homosexualität gewidmet – vor 100 Jahren und in der Gegenwart.

Forschung zur Homosexualität an der Universität? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion im Großen Rosensaal. Die Professorinnen Silke van Dyk vom Institut für Soziologie und Gisela Mettele vom Historischen Institut hatten dazu eingeladen. Insbesondere rückte das Verhältnis der einstigen sowie der zukünftigen Holbein-Stiftung zur Universität Jena in das Licht der Veranstaltung, die von der Soziologin und Vorständin der Genderkommission an der Universität Eva Tolasch moderiert wurde.

Die ehemalige Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht stellte sich als Schirmherrin der Holbein-Stiftung vor. Einen thematischen Einstieg rund um das Leben von Hans Holbein in Apolda, Weimar und Jena lieferten zwei der Initiatoren der geplanten Holbein-Stiftung, Alexander Zinn vom Hannah-Arendt-Institut Dresden und Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Volkhard Knigge, der Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, thematisierte die Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit.

Universität schlug Verpflichtungen aus

Als promovierter Anwalt setzte sich der Apoldaer Hans Holbein zur Zeit der Weimarer Republik vor Gericht für die Rechte von Homosexuellen ein. Verdeckt stellte er sich gegen den Paragrafen 175, der homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte und von 1935 an mit Gefängnis ahndete. Erst 1994 wurde der Paragraf in ganz Deutschland abgeschafft.

Der homosexuelle Holbein richtete 1919 eine Stiftung von 20.000 Mark an die Jenaer Universität ein. Sein Wunsch war die Gründung eines Lehrstuhls zur Erforschung von Homosexualität. Zugleich ging es Holbein um Aufklärung darüber, welchen Repressionen und Stigmatisierungen die gleichgeschlechtlich Liebenden ausgesetzt waren. Als Inhaber des Lehrstuhls wurde der erste deutsche Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld vorgeschlagen.

Hans Holbein gründete vor 100 Jahren ein Stiftung, um einen Lehrstuhl zur Erforschung der Homosexualität etablieren zu können. Während der Podiumsdiskussion im Bild von links: Silke van Dyk, Walter Rosenthal, Volhard Knigge und Gisela Mettele.
Hans Holbein gründete vor 100 Jahren ein Stiftung, um einen Lehrstuhl zur Erforschung der Homosexualität etablieren zu können. Während der Podiumsdiskussion im Bild von links: Silke van Dyk, Walter Rosenthal, Volhard Knigge und Gisela Mettele. © Foto: Querwege-Verein

Die Universität war bis zu Holbeins Tod Verwalterin des Stiftungsvermögens, verwendete auch Mittel für den endokrinologischen Fachbereich, blieb den Lehrstuhl aber schuldig. Per Testament erbte sie die aufgestockte Summe von 100.000 Mark, nachdem Holbein 1926 in Weimar verstorben war.

Mit der Begründung, sie werde ansonsten „zu einem Sammelpunkt unerwünschter Elemente“, was eine „schwere sittliche Gefahr für die Studierenden“ bedeuten könne, schlug die Universität die damit einhergehenden Verpflichtungen aus, eignete sich jedoch das Geld an.

Uni Jena war nicht mutig genug, die Chance zu ergreifen

Universitätspräsident Walter Rosenthal lobte die „außergewöhnliche Idee“ Holbeins für die damalige Zeit. Er verwies auf die ambivalente Geschichte der Homosexualität in der Wissenschaft. „Leider war die Uni Jena damals nicht mutig genug, die Chance zu ergreifen“, sagte Ralf Dose von der Holbein-Stiftung.

Sie konnte nach ihrer Neugründung 2019 innerhalb weniger Monate über 100 Unterstützer für die Rehabilitierung von Hans Holbein und die Gründung eines interdisziplinären Hans-Holbein-Instituts für Geschichte und Gegenwart der Homosexualitäten an der Universität Jena gewinnen. Christine Lieberknecht hob als Schirmherrin die gesellschaftliche Relevanz des Vorhabens hervor und erklärte, die Thüringer Politik sei dafür offen. Die finanzielle Verantwortung liege beim Land, sagt Alexander Zinn.

Uni würde neue Professur begrüßen

Kommt damit der Universität eine moralische Pflicht zu? Die Universitätsleitung würde nach Rosenthals Worten eine neue Professur begrüßen. Doch habe die Universitätsleitung hauptsächlich zu fördern und zu begleiten, daher müsse die Initiative aus der Wissenschaft selbst kommen. Auch ein Fakultäten überspannendes Hans-Holbein-Zentrum sei denkbar und möglicherweise im Sinne Holbeins. Rosenthal schlägt einen „evolutionären Weg“ vor: von der Expertise zu Forschungsprojekten und im Laufe der Zeit zu einer strukturellen Verankerung.

„Späte Gerechtigkeit ist immer beschädigte Gerechtigkeit“, merkte Knigge an. Er rate, die Beschädigung nicht fortzuschreiben, und sehe den Versuch der Stiftung als guten Weg. Sie würde durch ihre interdisziplinäre Ausrichtung dazu beitragen, „die Entfernung von Geistes- und Naturwissenschaften zu verringern“.

Erforschung gegenwärtiger und historischer Homosexualität

Als dritte treibende Kraft der heutigen Holbein-Stiftung legt Rüdiger Lautmann, emeritierter Professor der Soziologie an der Universität Bremen, den Fokus auf Holbein als einen Kämpfer, der in der Geschichte der Homosexualität ab Mitte des 19. Jahrhunderts für Gleichberechtigung eintrat. Die Forschung solle nicht allein von der Unterdrückung und Opferwerdung ausgehen. Vor allem sei Kontinuität vonnöten, sagte Dose.

Bis heute kämen die Impulse in der Wissenschaft meist von so genannten Grassroots, Schwulen- und Lesbenbewegungen oder einzelnen Interessierten. Ein Forschungsinstitut, in welchem Sozial- und Kulturwissenschaften, Rechtswissenschaften und Medizin beständig zusammenarbeiten, könne ein guter Schritt dahin sein. Die Erforschung gegenwärtiger und historischer Homosexualität, aber auch von Bisexualität und Transgeschlechtlichkeit an der Uni Jena könne ein Zeichen setzen.