Pößneck. Schließungen, Absagen, Verunsicherung: Pößneck am Tag 1 nachdem bekannt wurde, dass ein 57-jähriger der erste Coronavirus-Infizierte in Thüringen ist.

Fast hätte die Thüringer Ministerpräsidentenwahl am Mittwoch abgesagt werden müssen, weil der CDU-Landtagsfraktion Quarantäne drohte. Denn der Landtagsabgeordnete Volker Emde aus Zeulenroda-Triebes, der am Dienstag als Coronavirus-Verdachtsfall gemeldet wurde, gehörte der 35-köpfigen Pößnecker Südtirol-Reisegruppe an, aus deren Mitte Thüringens erster Coronavirus-Infizierter stammt. Doch Dienstagabend gab es Entwarnung. Emde ist nicht infiziert.

„Auf diese Berühmtheit hätten wir verzichten können“, sagte der Pößnecker Bürgermeister Michael Modde (parteilos) am späten Dienstagnachmittag. Im Laufe des Tages hatten nicht nur echt besorgte Bürger bei ihm angerufen, sondern auch überregionale Medien. Am Morgen ließ er für Dienstag und Mittwoch sämtliche Ämter und Einrichtungen der Stadt Pößneck schließen, weil der 57-jährige Coronavirus-Infizierte Ende der vergangenen Woche zumindest im Verwaltungsgebäude Neustädter Straße 1 unterwegs war. Die städtische Mitarbeiterin, mit welcher der Erkrankte unmittelbar zu tun hatte, ließ er nach Hause schicken.

Was die Stadt veranlasse, seien Mindestmaßnahmen gegen die Verbreitung der Krankheit, gibt das Stadtoberhaupt zu verstehen. Gleichzeitig komme das gesellschaftliche Leben mehr oder weniger zum Erliegen, stellt Modde fest. Jahreshauptversammlungen wie jene des Vereines für Heimatgeschichte, eine für Mittwochabend angekündigte öffentliche Diskussionsrunde der Initiative der Selbstständigen, Veranstaltungen wie das Pößnecker Wasserfest, das am Samstag mit vielleicht 500 Menschen gefeiert werden sollte, wurden im Laufe des Dienstags abgesagt.

Lage wird täglich neu bewertet

Für den normalen Besucherverkehr bleibe das Stadtbad weiter geöffnet, „wobei die Lage täglich neu bewertet wird“, teilte Stadtmarketing-Chef Andreas Dreißel noch am Dienstagmittag wird. Am Dienstagnachmittag musste auch er sich dann in eine siebentägige Quarantäne verabschieden. Denn er saß vor ein paar Tagen mit dem 57-jährigen Coronavirus-Infizierten, der in der Pößnecker Schwimmerszene ehrenamtliche Verantwortung trägt, mit am Wasserfest-Planungstisch.

Die Zahl der Orlataler, die mit dem Pößnecker Pechvogel in Kontakt waren und daher vorsorglich untersucht wurden oder noch werden, schwankt je nach Quelle und auch Etappe in der sprichwörtlichen Stillen Post. Der Krisenstab im Landratsamt des Saale-Orla-Kreises ging am Dienstag von bis zu 300 Menschen aus.

Ein Polizeifahrzeug steht vor dem Stadtbad in Pößneck. Das Wasserfest, das im Stadtbad am Samstag gefeiert werden sollte, ist abgesagt, ansonsten wird die Lage täglich neu bewertet.
Ein Polizeifahrzeug steht vor dem Stadtbad in Pößneck. Das Wasserfest, das im Stadtbad am Samstag gefeiert werden sollte, ist abgesagt, ansonsten wird die Lage täglich neu bewertet. © Martin Schöne

Unter ihnen sind, wie Schulleiter Steffen Heerwagen am Dienstagmorgen informierte, auch drei Lehrerinnen und ein Schüler des Gymnasiums Am Weißen Turm Pößneck. Vor diesem Hintergrund wurde die Schule auf Geheiß des Landratsamtes für den Rest der Woche geschlossen. Ab etwa 7 Uhr am Dienstag wurden die 508 Schüler des Gymnasiums individuell oder durch Meldeketten informiert, dass sie zu Hause bleiben mögen.

„Manche Eltern klangen überrascht, andere verängstigt, die meisten Eltern haben aber verständnisvoll reagiert“, berichtete Heerwagen. Neben dem Unterricht sagte er auch die am Montag gestartete Anmeldewoche ab, die nun später im März, „sobald es Entwarnung gibt“, nachgeholt werden soll.

In Pößneck selbst sei kein Krisenstab eingerichtet worden, informierte Modde auf Nachfrage. Dennoch halte ein kleiner Kreis Verantwortlicher Augen und Ohren für jede Eventualität offen. „Auch wenn für den Publikumsverkehr geschlossen ist, wird in der Stadtverwaltung sehr wohl gearbeitet“, reagierte der Bürgermeister auf Facebook-Geschwätz.

Er sei auch schon mit „Verschwörungstheorien“ konfrontiert worden, etwa jener, dass alles nur der Ablenkung vor der nächsten Flüchtlingswelle diene. So werde die ohnehin vorhandene Verunsicherung vieler Leute weiter geschürt, bedauert er.

Zustand des infizierten Pößneckers ist „stabil“

Mancher Einheimische empfinde zudem, dass zu viele Informationen rund um den Coronavirus auf den Bürger niederprasseln. „Aber was wäre die Alternative?“, fragt sich der Bürgermeister. „Sollen wir die Leute im Dunkeln halten?“ Für ihn stehe fest: „Mit den Informationen, die unmittelbar die Stadt Pößneck betreffen, gehen wir so offensiv wie möglich um.“

Nach dem ersten bestätigten Fall einer Coronavirus-Infektion im Freistaat rechnen die Thüringen-Kliniken mit einem weiteren Anstieg der Zahl von Personen, die sich auf den neuartigen Virus testen lassen wollen. Prinzipiell gelte, dass bei entsprechendem Verdacht der Hausarzt erster Ansprechpartner sei, betonte die Krankenhausgruppe in einer Mitteilung. Im Pößnecker Krankenhaus werden eventuell Erkrankte nicht behandelt, sie werden nach Saalfeld geschickt, wo eine entsprechende Isolierstation eingerichtet wurde.

Dort liegt seit Montagabend der 57-jährige Coronavirus-Infizierte aus Pößneck. Sein Zustand sei „stabil“, teilten die Thüringen-Kliniken am Dienstagabend auf Nachfrage mit. Er sei zwar separiert, aber nicht allein auf der Station. „Wir behandeln mittlerweile weitere Verdachtsfälle“, hieß es aus den Thüringen-Kliniken.

Bürgertelefon des Krisenstabes im Schleizer Landratsamt: 0 36 63/48 88 88.