Jena/SHK. Anja Beuthe aus Jena hat ihren Sohn Carl verloren. Ein Gespräch.

Buntes Stimmengewirr liegt in der Luft, es wird geschwatzt. Einige Menschen haben sich in einer Schlange an der Kasse aufgereiht, um frischen Kaffee und Kuchen zu bestellen. Es herrscht Hochbetrieb. In diesem Getümmel sitzt Anja Beuthe an einem der Tische im Café und erzählt über ihren Sohn Carl – ein Sternenkind. Er wäre jetzt zwei Jahre alt geworden, sagt die 39-Jährige. Die vielen plaudernden Stimmen, sie rücken in weite Ferne, während sie spricht.

„Man hat diese Intuition, wenn etwas nicht stimmt“, sagt Anja Beuthe. Neben Carl ist sie die Mama eines älteren Sohnes namens Adam und einer kleinen Tochter namens Thea. Es war eine komplikationslose Schwangerschaft. In der 37. Woche sei sie noch im Krankenhaus in Apolda gewesen. Er wäre sehr groß, hieß es. „Am Samstag habe ich dann keine Bewegungen mehr gespürt“.

Anja Beuthe aus Jena: „Keiner ist daran schuld, keiner hätte irgendwas anders machen können“

„Die Nabelschnur war zu lang, sie war um seinen Bauch gewickelt. Er hat sich sozusagen selbst die Versorgung gekappt“, sagt Anja Beuthe. In der Nabelschnur war ein Knoten. Es sei einfach Pech, man könne es mit einem Autounfall vergleichen. „Keiner ist daran schuld, keiner hätte irgendwas anders machen können.“

In dem Moment, als die Hebamme das Radio ausgedreht hat, habe sie es gewusst. Man hatte keine Herzschläge mehr gefunden. „Es war der schlimmste Moment in meinem Leben“, sagt die 39-Jährige. Auch der Gedanke daran, mit dieser Nachricht den Mann anzurufen und dem älteren Kind später erklären zu müssen, dass nun doch kein Geschwisterchen da ist, sei furchtbar gewesen.

Anja und Carl kurz nach der Geburt.
Anja und Carl kurz nach der Geburt. © Daniel Klie | Daniel Klie

Vom Arzt wurde dann im Krankenhaus ein Ultraschall gemacht, erinnert sich Anja Beuthe. Schnell sei zudem klar geworden, dass bei einem weiteren Kinderwunsch eine natürliche Geburt die beste Option wäre. „Es war die richtige Entscheidung. Die Geburt von Carl hat mich fast mit der ersten Geburt versöhnt“, erinnert sie sich. „Ich glaube, er wäre ziemlich groß und stark geworden.“

Bald nach der Geburt von Carl wurde Anja Beuthe wieder schwanger, dieses Mal mit ihrer Tochter Thea. „Beide sind 2022 geboren. Carl im Januar und Thea im Dezember. Ich wollte Carl nicht ersetzen, aber noch ein Geschwisterchen für Adam.“

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Ob sie denke, dass das Thema tabuisiert werde? „Ich glaube nicht, dass es ein Tabu-Thema ist“, sagt die 39-Jährige. Eher empfinde sie es als etwas, das stark mit Ängsten behaftet ist. „Es ist interessant, wie viele doch ähnliche Schicksale kennen.“ In Jena gebe es zum Beispiel Selbsthilfegruppen sowie einen Rückbildungskurs für verwaiste Mütter und auch im Internet kenne sie viele Plattformen, um sich auszutauschen. „Im ersten Moment bekommt man Sprüche zu hören, die nicht böse gemeint sind, aber daran vorbeigehen“, sagt Anja Beuthe. Gerade in den sozialen Netzwerken sei sie mit Äußerungen, wie zum Beispiel: „Wäre mir so etwas passiert, würde ich mich umbringen“, konfrontiert worden. „Aber, wenn man so einen Verlust erlebt, was für eine Wahl hat man da? Es geht weiter, egal wie stark der eigene Schmerz ist. Das ist nicht stark, das ist einfach nur Überleben. Und ich wünsche es keinem, nicht meinem ärgsten Feind.“

Es gab viel Unterstützung von Familie, Freunden und Bekannten

Dass sie als kleine Familie aus dem Verwandten- und Freundeskreis so viel Unterstützung erhalten haben, sei ein besonderes Glück gewesen. „Wir haben ein tolles Umfeld und tolle Freunde“, sagt Anja Beuthe. So hätten sich zum Beispiel zu Carls Geburtstag im Januar viele gemeldet. „Das hat mir viel bedeutet.“ Auch die Möglichkeit, dass ein ehrenamtlicher Sternenkind-Fotograf Carl noch einmal fotografiert, hat die Familie damals wahrgenommen. „Es sind die einzigen Familienbilder, die man hat. Es wird nichts Neues mehr dazukommen“, sagt Anja Beuthe, nicht nur mit Blick auf Bilder, sondern auch auf neue Erinnerungen.

„Manche meinen auch, Thea ist unser zweites Kind. Aber das stimmt nicht, Thea ist unser drittes Kind und zwischen den beiden ist immer dieser Bruder. Und sie wird mit dem Wissen aufwachsen, dass sie zwei Brüder hat.“