Saale-Holzland. Etwa 350 Menschen gingen in Stadtroda auf die Straße. Was einige von ihnen in diesen Zeiten bewegt.

Auf Demonstrationen waren Ingrid und Friedrich Pretschold aus Stadtroda zuletzt in den Jahren 1989/1990 anzutreffen. Jetzt, am 3. Februar 2024, sahen es die 80-Jährige und ihr Mann (81) erneut als ihre Bürgerpflicht an, auf die Straße zu gehen.

Das Paar war dem Aufruf der landesweiten Initiative „Weltoffenes Thüringen“ gefolgt. Das Bündnis aus Vereinen, Verbänden und Privatpersonen aus dem Saale-Holzland-Kreis hatte zu einer zentralen Demonstration unter dem Motto „Demokratie verteidigen! Vielfalt l(i)eben“ in Stadtroda aufgerufen, um gemeinsam ein starkes Zeichen für eine Gesellschaft zu setzen, in der Respekt und Menschlichkeit vorherrschen.

Ich bin ein Kriegskind und mir ist es ganz wichtig, hier zu sein.
Ingrid Pretschold - Demonstrationsteilnehmerin

Zirka 350 Menschen hatten sich am frühen Samstagnachmittag auf dem Parkplatz am Schützenhaus in Stadtroda eingefunden – so auch Pretscholds. „Ich bin ein Kriegskind und mir ist es ganz wichtig, hier zu sein“, sagte die Stadtrodaerin. Sie sei ein absolutes Wunschkind ihrer Eltern gewesen, doch der Vater war in Kriegsgefangenschaft in Frankreich und kehrte erst 1946 zurück. „Da war ich drei Jahre alt und er hat mich als kleines Mädchen gar nicht erlebt.“ Sie selbst hat die Hungerjahre nach dem Zweiten Weltkrieg am eigenen Leib erfahren müssen. „Uns geht es jetzt so gut in Deutschland. Nur sind wir, was die AfD angeht, voller Sorge. Man kann das alles gar nicht ertragen, was es da zu hören gibt. Wie konnte es überhaupt wieder so weit kommen?“, sagte Ingrid Pretschold. „Wir selbst haben keine lange Zukunft mehr. Aber wir haben Kinder und Enkel und die müssen in eine friedliche Zukunft hineinwachsen dürfen. Deshalb sind wir hier.“

Mit dem Schild mit der Aufschrift „Menschenrechte statt rechte Menschen“ in der Hand bekundete Katharina Monig aus Laasdorf ihre Meinung in Stadtroda. Sie kam vor 15 Jahren aus dem Westen nach Thüringen, erzählte sie. Die aktuelle politische Entwicklung mache ihr Angst und sie betonte: „Die AfD ist keine Partei für eine Protestwahl, sie ist vielmehr eine Gefahr für uns alle.“

Emilia Pröse (vorn) mit ihrer Mama Franziska Pröse aus Trockhausen sowie Katharina Monig aus Laasdorf. „Ich wünsche mir, dass alle so respektiert werden, wie sie sind“, sagte Emilia.
Emilia Pröse (vorn) mit ihrer Mama Franziska Pröse aus Trockhausen sowie Katharina Monig aus Laasdorf. „Ich wünsche mir, dass alle so respektiert werden, wie sie sind“, sagte Emilia. © Funke Mediengruppe | Ute Flamich

Mit Frau und Enkelsohn war Diethard Lumpe aus Stadtroda zur Demonstration gekommen. In der aktuellen Situation müsse man einfach aufstehen und dabei sein, sagte der 70-Jährige. „Wir haben unserem Enkel die Situation erklärt und wollten ihm zeigen, was eine Demonstration ist.“ Außerdem, sagte Diethard Lumpe, habe er wissen wollen, was Stadtroda „auf die Beine“ gebracht hat. „Und ich bin angenehm überrascht, dass so viele gekommen sind.“

Aus Angst davor, dass es in ein paar Jahren schlechter aussehen könnte, wenn die AfD an die Macht kommt, hatten Jana Eckardt aus Stadtroda, ihr Sohn und ihre Mutti Vera Seebeck aus Hermsdorf den Weg zur Demo gefunden. „Wir wollen zeigen, dass es auch in einer so einer kleinen Stadt wie Stadtroda ganz viele Menschen gibt, die für Toleranz einstehen“, sagte Vera Seebeck. Als Mutter und Oma sei ihr vor allem wichtig, dass ihre Kinder und Enkel auf eine gute Zukunft hoffen können.

Hielt eine besonders emotionale Rede: Annett Artmann aus Stadtroda.
Hielt eine besonders emotionale Rede: Annett Artmann aus Stadtroda. © Funke Mediengruppe | Ute Flamich

Eine besonders emotionale Rede hielt die 46-jährige Stadtrodaerin Annett Artmann. Sie hatte sich als Demonstrationsteilnehmerin ein Herz gefasst, um ihre Angst offen anzusprechen. „Hallo, mein Name ist Annett und ich stelle mich hier vor Sie, um zu zeigen, wie unkompliziert ich als Privatperson das Recht der freien Meinungsäußerung ausüben kann“, sagte sie. Sie erzählte von ihrer Angst, sich nicht mehr frei bewegen zu können, wie sie ist, dass sie nicht mehr befreundet sein oder sympathisieren dürfe, mit wem sie wolle und schon gar nicht mehr sagen dürfe, was sie wirklich sagen möchte. Sie habe Angst, sich wieder in ihr Schneckenhaus zurückziehen zu müssen, aus dem sie sich seit Jahren versuche herauszuquetschen. „Nur weil ich vielleicht nicht in das Weltbild einer bestimmten Partei und deren Befürworter passe? Das verstehe ich nicht. Und was ich nicht verstehe, macht mir Angst. Doch diese Angst möchte ich nie mehr haben, denn die abzulegen hat mein Leben erst lebenswert gemacht“, sagte sie und bekam für ihre Worte kräftigen Applaus. Später erzählte sie, dass es das Parteiprogramm der AfD war, das sie so richtig aufgerüttelt habe. „Ich habe begonnen, es zu lesen, konnte es aber nicht zu Ende bringen.“

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Unter den Demonstrationsteilnehmern waren unter anderem auch Kommunalpolitiker wie Johann Waschnewski (CDU) als Stellvertreter für Landrat Andreas Heller (CDU), Landtagsabgeordneter Markus Gleichmann (Die Linke), Stadtrodas Bürgermeister Klaus Hempel (parteilos), Schlöbens Bürgermeister Hans-Peter Perschke (SPD) sowie die CDU-Fraktion des Stadtrodaer Stadtrates. Auch Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Kirche und Bildung zeigten Gesicht. Moderiert wurde die gut zweistündige Veranstaltung von Ute Waldenburger. Verschiedene Redebeiträge wurden gehalten, Musik wurde gespielt und die Demonstranten zogen von der August-Bebel-Straße über die Straße Am Burgblick zum Goetheweg und über die Heinrich-Heine-Straße wieder zurück auf den Parkplatz, wo weitere Redebeiträge folgten. Zum Abschluss gab’s Musik von Stadtrodas Rapper „Klausn“ alias Klaus Richard Meier. Mit seiner Art und seinen Liedern „Limbo“ und „Lieb haben“ hatte er das Publikum sofort auf seiner Seite. Und „lieb haben“, sagte er, sei das Klügste, was er hier auf der Demo in Stadtroda sagen könne.

Der Stadtrodaer Rapper „Klausn“ konnte mit seiner Art und Musik das Publikum sofort für sich gewinnen.
Der Stadtrodaer Rapper „Klausn“ konnte mit seiner Art und Musik das Publikum sofort für sich gewinnen. © Funke Mediengruppe | Ute Flamich

Weitere Informationen und Unterstützer der Demonstration sind im Internet zu finden unter: kurzelinks.de/SHKbleibtbunt